Vom Schweizer Brot und den anderen…

Illustration: Rebekka Heeb

Nein. Ich kriegs einfach nicht auf die Reihe.

Dabei sollte doch Brotbacken keine Hexerei sein.

IST ES ABER.

Und ich bin vermutlich die falsche Hexe dafür.

Meine Freundin Kathy hat mir erklärt: «Du Depp – du knetest zu stark!».

Alfred, ein Hobbykoch mit Gourmet-Stern, schüttelte den Kopf: «Du knetest das viel zu wenig durch!»

Arthur, mein Masseur und ein dreifach diplomierter Kneter walkte meine Bauchschwarten: «Du solltest überhaupt kein Brot essen – Brot macht dick!»

KEIN BROT?!

DARF MAN MIR DEN HIMMEL VERBIETEN?

Ich kann auf Hummer, Kaviar und Sauerkraut mit Bohnen verzichten – ABER NICHT AUF BROT!

Ich ziehe mir selbst zu Teigwaren noch ein Schnittchen rein.

Das mit dem Brot ist ein Familien-Gen.

Schon meine Mutter soll als ansonsten zahmes Mädchen geschrien haben, wenn kein Brot auf den Tisch kam. Sie winkte bei jedem Kuchen ab. Und verlangte nach Brot.

Butterschnitten waren ihr Liebstes: Basler Brot, fingerdick eingebuttert. Dann Konfitüre drauf. Und fertig.

Ich sass sabbernd daneben. Und wartete darauf, dass sie mir die «Schnitte» strich.

ES WAR – ZUGEGEBEN! – NICHT UNBEDINGT DAS, WAS DER KÜNFTIGEN LINIE GUTTUN SOLLTE.

Aber auch später, als die Menschen die Körner zu schroten begannen und eine ganze Müesli-Industrie aufblühte wie ein Mohnfeld im Juni, verzichtete ich immer noch auf das Gesunde. Ich nährte die Fettzellen mit Butterbrot und Aprikosenkonfitüre.

Auch mein Vater, der gute alte Schienen-Hans, war ein Brotfresser. Allerdings weniger auf der süssen Seite. Für ihn mussten drei Spiegeleier in sehr viel goldener Butter neben dem «Pfünderli» schwimmen.

Die Eier wurden meistens in einem orangen Emaille-Pfännchen gebraten.

Vater würzte mit Salz und Pfeffer – dann brach er ein Stück vom Brotlaib ab. Und stiess dieses ins Gelbe vom Ei.

GENÜSSLICH SCHLÜRFTE ER DIE KÖSTLICHKEIT UNTER DEM SCHNAUZER REIN.

«Das ist ja zum Abdanken!», nervte sich die Schwiegermutter. Und stierte auf das Schnurrbarthaar, in dem sich bereits gelbliche Eierspuren zeigten.

Vater schlürfte unbeeindruckt weiter.

UND TUNKTE DIE RESTLICHE BRAUNE BUTTER MIT DER BROTRINDE AUF: «Du weisst nicht, was wirklich gut ist … meine Liebe!» Sie schoss einen gletschereisigen Blick: «So isst man es auf jeden Fall nicht – wie soll der Kleine da Tischmanieren lernen…»

DER KLEINE WAR ICH.

ER LERNTE ES NIE.

UND HAT AUCH HEUTE NOCH DAS SPIEGELEI IM SCHNAUZ.

Als ich ein Jahr in Paris lebte, war die frisch gebackene Baguette das Höchste aller Gefühle. Allerdings merkte ich bald einmal: man muss sie sofort reinziehen. Schon nach einer Stunde verliert der phallische Stängel an Qualität – und ist nur noch ein müdes, weiches Stängelchen.

Ausser der schlanken Stange gabs in Paris damals kaum eine andere Brotsorte. Aber Baguettes wurden alle Stunde frisch gebacken – und so wehte um die Bäckerei in der Rue St-Paul dieser unvergleichliche Duft von Brot, das eben aus dem Ofen gezogen wurde.

LEIDER WEHTE DER DUFT VON MORGENS UM FÜNF BIS UM MITTERNACHT. DIE FETTZELLEN JUBELTEN!

Auch bei Bäckermeister Schneiderhan dufteten die Brote verführerisch. Frühmorgens wurde ich zu ihm geschickt:

«Ein Basler Pfünderli – aber wehe wenn du wieder ‹gnüübelst›!»

«Gnüübeln» bedeutete: Die weiche Bruchstelle mit den kleinen Fingern anzupfen. Und sich ein paar von den noch lauwarmen Flocken reinziehen.

SELIGKEIT!

Es kam schon mal vor, dass die Gier grösser war als die Furcht vor der Toberei daheim. Und dann gab der Bub eben ein Brot ab, das aussah, als hätte es kein Bäcker frisch verkauft, sondern ein «Backer» ausgelöchert.

DIE LUST AUF BROT WAR STETS STÄRKER ALS ICH!

In Italien nun: das Drama.

Ich laufe von Pontius bis Pilatus, bis ich ein gutes Brot bekomme. Meistens sind die weissen Fladen hier bleich wie liegen gebliebener Mozzarella. Oder Engländer im Nebel.

Sie haben weder Kraft noch Kruste. Und nach zwei Stunden sind sie härter als die Kurie im Vatikan.

In Rom gibt es im jüdischen Viertel einen österreichischen Bäcker, der noch anständig backt. Aber wenn ich auf der Insel bin, kann ich nicht jeden Tag ins römische Österreich fahren.

Schlussfolgerung:

ICH BACKE SELBER.

Und da wären wir wieder ganz am Anfang: Brotbacken i s t eine Hexerei! Meine Fladen, die ich da jeweils aus dem Ofen ziehe, sind entweder zu teigig. Oder zu hart.

UND SO LASSE ICH ES LIEBER.

Doch nun haben mir meine wunderbaren Freunde auf den runden Geburtstag hin eine Brotbackmaschine gekauft: «Mit diesem Brotautomaten gelingt dir einfach alles… AUF WEITERE 100 JAHRE!» – haben die Guten auf die Glückwunschkarte geschrieben.

Es ist simpel: Mehl, Milch, Wasser, Hefe oben rein.

Knopfdruck.

UND HEXEREI – DAS BROT LIEGT GEBACKEN VOR DIR!

Es sieht sehr schön aus.

Aber essen kannst dus nicht.

Auch dieses Automatenbrot hat die Konsistenz eines Gummiboots.

Und so sitze ich heute Morgen an meinem Müesli auf der Insel. Knabbere lustlos an einem dänischen Knäckebrot. Und rufe euch zu:

STREICHT EINE SCHNITTE … TAUCHT DIE KANTEN IN DEN DOTTER … UND SCHMIERT FINGERDICK KONFITÜRE AUFS GLÜCK.

Pfeift auf Fettzellen und Ernährungs-Propheten.

GENIESST DAS BROT, SOLANGE ES NOCH AUS DEN ÖFEN KOMMT!

Und singt ein dreifaches Halleluja auf die Schweizer Bäcker!

PS. Und wer nicht bis daheim warten kann: «Gnüüble» ist erlaubt!

Dienstag, 4. September 2018