Von zwei lädierten Kniescheiben und dem Personal

Illustration: Rebekka Heeb

Letztes Jahr: das Schambein angerissen.

Diesmal sind es die Scheiben.

JAMMERTAL. GESTÖHNE. UND GEWACKEL: «SO GEHT DAS NICHT WEITER!»

Vor allem: So geht Innocent nicht weiter!

O.K. – WIR HABEN JA ALLE UNSERE SCHEIBEN! DIE EINEN MEHR, DIE ANDERN WENIGER.

Aber bei Innocent sind es zwei. Und diese kann man rauchen.

Herr Siso, sein Arzt, zeigte es auf dem Röntgenbild: «DIE KNIESCHEIBEN SIND NUR NOCH BREI… DAS MÜSSEN WIR REPARIEREN!»

Also ab unters Messer!

Und ich: schon mal die Krücken, den Rollator und die Bettpfanne aus dem Keller geholt!

Nach der OP sass Herr Innocent quietschfidel auf dem Bett: «Du glaubst es nicht – dieses Spital ist wie ein Premium-Luxus-Hotel.»

ER DRÜCKTE EINEN ROTEN KNOPF.

Wie ein Geist aus der Flasche tauchte eine wunderschöne Maid vor uns auf: «Was darfs denn sein? Ein Flütchen Champagner? Oder ein hausgemachtes Linzertörtchen?»

DA WAR ICH SOFORT FÜR DAS TÖRTCHEN. Und sprach punkto Champagner gleich mal Klartext: «Herr Innocent ist noch schwer angeschlagen. Er bekommt Tee. Und zwar derjenige mit den Blüten, die beruhigen!»

Die wunderbare Frau aus der roten Knopfdruck-Flasche lächelte: «Aber gewiss doch – mit Honig gesüsst?»

Innocent versuchte sich noch kurz einzubringen: «GEHT AUCH RUM?!»

Ein Blick von mir genügte. Und die Frau wusste: Der auf dem Bett ist zwar der Patient – aber diese Schraube hier in den violetten Shorts gibt den Marschbefehl.

Deshalb freundlich zu mir: «Bio-Honig? Waldhonig? Türkischer Honig…?»

Ich war für «türkisch». Und erzählte zu Hause alles meinem fitten Vetter Tom.

Der therapiert als «Physio» pfundweise kranke Knochen. Und kennt sich aus.

Entsprechend war er dann auch an der Decke – denn Tom therapiert im Konkurrenz-Spital:

«DAS IST DOCH EINFACH SCHRÄG – HEUTE WIRD IN UNSEREN SPITÄLERN NUR NOCH IN DIE HOTELLERIE INVESTIERT… JEDER WILL DAS WÜRSTCHEN NOCH FEINER, NOCH ELEGANTER SERVIEREN. JA, TICKEN DIE SPITÄLER DENN NOCH RICHTIG? IN ITALIEN MACHEN SELBST DIE HALBTOTEN IHRE BETTEN SELBER… UND HIER? FÜNF-STERNE-LUXUSTHEATER BEI EINEM VEREIERTEN KNIEGELENK!»

«Zwei! Innocent hat sich gleich beide synchron operieren lassen!»

Tom wischt das als nebensächlich vom Tisch:

«WICHTIG IST DIE GUTE PFLEGE. UND NICHT EIN SECHS-GÄNGE-MENÜ.»

Also die gute Pflege hatte Innocent neben dem Sechs-Gänge-Menü auch.

Und als ich ihm eine Woche «Rheinfelden» zum Therapieren vorschlug, schaute er entsetzt über sein Bordeaux-Glas: «Spinnst du – ich bleibe hier. DAS IST WIE IN DEN FERIEN. MORGEN LADE ICH DICH EIN IN DIE PREMIUM-LOUNGE!»

Der Küchenchef hat uns dann persönlich die Haube vom Teller gehoben.

Natürlich meinte Innocent, das Premium-Leben müsse daheim so weitergehen.

DIE GUTE ROTE-KNOPFDRUCK-FEE SCHAUTE MICH FAST SCHON BEDAUERND AN:

«Sie werden es mit ihm nicht einfach haben. Er ist jetzt unseren Standard gewohnt. DEN EGGNOG MAG ER ÜBRIGENS NUR EISGEKÜHLT…»

Eine Limousine surrte ihn vor unser Haus zurück ins Elend.

Er schälte sich aus dem Auto – und als er im Korridor den Rollator sah, fing das Theater schon an: «Den kannst du gleich wieder zurückstellen. Ich bin ja noch keine neunzig!»

IST ER NICHT. ABER BALD.

«…und ich tausche diese Spitalkrücken jetzt gegen meine beiden eleganten Gehstöcke mit der Goldglasur und dem Vogelgriff ein! Wenn ich mit 83 etwas gelernt habe: Die Umgebung, die Ambiance und das Umfeld sind für die Heilung mindestens so wichtig wie die Quarkwickel gegen geschwollene Beine! Apropos: Haben wir Quark im Haus?!»

Da wusste ich: Aus ist es mit der ruhigen Schreiberei. Vorbei das wunderbare Leben mit Sulzers «perfektem Kellner» auf der Couch.

ICH WURDE HIER ZUR KNOPFDRUCK-FEE AUSGERUFEN. UND DA GING ES AUCH SCHON LOS:

«Ich soll proteinreich essen, aber nicht fett –also vergiss deine übliche Kocherei.

Zum Abendessen wäre mir nach Zander mit Zitronenschaum; vorher ein kleines Lachstatar. Aber ohne Kapern. Die machen mir Blähungen.

UND ZUM DESSERT CRÊPES. MIT COINTREAU FLAMBIERT. HAUCHDÜNN. NICHT DIESE FETTEN PFANNKUCHEN-BRÄTSCHER, DIE DU IMMER AUFTISCHST.»

Er klopfte mit seinem Gehstock energisch auf den Boden: «So. Und jetzt muss ich mich zuerst einmal ausruhen. Mehr als zwanzig Schritte kann ich noch nicht gehen.»

IMMERHIN! VOM BETT BIS ZUR TOILETTE SIND ES NUR 17! DA HABEN WIR JA NOCH MAL GLÜCK GEHABT.

Schon am zweiten Tag schleppten die Freunde Flaschen, Pralinen und Blumen für den armen Patienten an.

Ein einziger – es war ein Pfarrer – brachte auch mir eine kleine Freude: ein aufbauendes Gebetbuch!

Was mich aber wirklich stinkig machte: Innocent jammerte über die schrecklichen Schmerzen im linken Bein.

Also jagte ich mit der Pille herbei.

DANN JAULTE ER AUF, ALS DIE BETTDECKE AUF DAS RECHTE FIEL!

Also Quarkwickel. Das Bett sah danach aus, als hätte eine Schlammschlacht in Weiss darauf stattgefunden.

DOCH JEDES MAL WENN BESUCH AUFKREUZTE, STRAHLTE INNOCENT ALLE AN: «Mir geht es wunderbar. Schaut, das sind die Narben – darauf wollen wir jetzt anstossen!»

In Ermangelung des roten Klingelknopfs betätigt er eine Handsirene, die er den Lufthyyler-Waggis an einem Grümpel-Basar abgekauft hat.

UND DAS DUMMI VOM DIENST SERVIERT SOFORT DIE FLASCHE. UND MUSS SICH ANSTINKEN LASSEN: «Die ist ja zimmerwarm! Hol einen Kühler mit Eis!»

Später höre ich dann das fröhliche Lachen der Gäste. Und Innocent mit der Narbenschau.

Ich werde heute Abend das Servierbrett auf seine Knie fallen lassen!

Und was ich mit dem Gejammer klönen will: DENKT MANCHMAL AUCH AN DAS PERSONAL!

(Es mag Pralinen übrigens nur dunkel.)

Dienstag, 21. August 2018