Konfitüre

«Es klebt alles, Hildi!» – Walter führte einen Eiertanz auf.

ER GING AUF ZEHENSPITZEN DURCH DIE KÜCHE. UND SCHAUTE, DASS SEIN NEUER TENNISPULLOVER MIT DEM KRUMMEN KROKODIL DARAUF KEINE KONFITÜRENSPRITZER ABBEKAM.

Natürlich war er dann doch zu nahe an der Pfanne.

Die Himbeeren-Marmelade blubberte hoch. Und spuckte wie ein Vulkan.

VOLLTREFFER.

Walter sah aus, als käme er direkt vom Schweineschlachten.

«JA LECK MICH DOCH…!» – er griff verbal immer in die unteren Schubladen, wenn seine Eier kochten!

JETZT ALSO VOLLES GEJAMMER:

«Ich habe den eben erst von Alice bekommen… Jetzt ist er dahin!»

DER PULLOVER WAR EIN GEBURTSTAGSGESCHENK DIESER DRECKSCHLEUDER GEWESEN.

Typisch.

Nur Weiber, die nicht selber handwaschen müssen, verschenken Männern weisse Pullover!

Hilde mochte Alice nicht. ABER GAR NICHT!

Sie spielte Tennis mit Walter. Und weiss der Teufel, wo die sonst noch Walters Racket hielt…

Nein. Hildegard war nicht eifersüchtig. Nach über 40 Ehejahren hatten sich solche Panikgefühle verflüchtigt – wie der Morgennebel am frühen Abend.

NUR: HILDE WAR IN GOTTES NAMEN KEIN TENNISTYP.

Sie kochte gerne.

Sie nähte gerne.

Sie strickte Regenbogen-Pullover für ihren schwulen Enkel.

UND SIE PFIFF AUF MAHNFINGER-DISKUSSIONEN: «DU SOLLTEST AN DEINE GESUNDHEIT DENKEN, HILDEGARD!»

Immer schwärmte Walter, wie initiativ Alice sei: «Sie ist sportlich, agil, gespickt mit Ideen…»

BLÖDE ALICE!

Wenn Hilde zu den Pralinen griff, stellte ihr Walter ein Glas «Gewürzgurken» hin: «Nimm das! Zucker ist schädlich…»

DAS EINZIGE, DAS IHR AN DEN GEWÜRZGURKEN GEFIEL, WAR DAS GLAS. SIE KONNTE ES FÜR DIE ZWETSCHGENKONFITÜRE WIEDERVERWERTEN.

Hilde war nun mal der zuckrige Typ – ein «süsses Schleckmäulchen» wie ihr Nachbar, Herr Sütterli, der sie stets anmachte.

Sütterli war ein brandmagerer Wurm. Solche flogen auf runde Zuckermäulchen. (Dies nur als Neben-Oper).

Jedenfalls liess sie sich nicht wegen ein paar Himbeerspritzer aus der Ruhe bringen: «Wenn du zum Tennis gehst, bringe Alice ein Glas Konfitüre mit…!»

DAS LEBEN HATTE SIE GELEHRT, GROSSZÜGIG ZU SEIN. MIT SICH SELBER. UND AUCH MIT ANDEREN.

Sie deckte den Verschluss mit einem Provence-Stöffchen ab. Und schnurpfte alles nett mit einer roten Kunststoff-Kordel zusammen: «So – bitte!»

Walter war nun doch gerührt – «du hast ein grosses Herz, Hildi-Maus. Aber vermutlich hast du auch Diabetes! Ich glaube, das ist jetzt das 157. Glas Konfitüre in dieser Saison…»

HIMMEL, WAR IHR ALTER EIN UNSENSIBLER VOLLPFOSTEN!

An Einladungen, zu Geburtstagen und Hochzeitsfeiern brachte sie stets einen Korb von ihren Konfitüren mit.

ES WAR EINE SÜSSE FREUDE – und zwar für beide Seiten!

Als sie abends dann die Aprikosenwähe aus dem Ofen zog, kam Walter vom Tennisspiel heim. Und strahlte: «Wie viele Konfitürengläser hast du…?»

Er umarmte sie: «Alice hat gesagt, dass deine Gläser genau das Richtige für den Bazar des Tennisclubs seien… So schön mit diesem Provence-Stoff dekoriert… Sie seien wirklich zauberhaft. Und die Konfitüre schmecke göttlich…»

Okay. 175 Glas Konfitüren gingen an den Bazar. Künftig würde sie zu Geburtstagen gehäkelte Topflappen mitbringen.

ALICE MOCHTE WOHL EINE AGILE DRECKSCHLEUDER SEIN.

ABER GUTEN GESCHMACK HATTE SIE!

Freitag, 17. August 2018