Die alte Frau sass auf einer Bank. Sie guckte ins Leere. Tränen kullerten über ihre welken Backen.
Alice setzte sich zu ihr.
ALICE HATTE EIN GUTES HERZ.
«Viel zu gut für diese Welt!» – hatte ihre verstorbene Mutter die Sache immer auf den Punkt gebracht. Und: «Das dumme Mädchen wird nur ausgenutzt. Sie zieht Problemmänner an.
Hat sie deren Sorgenkiste aufgeräumt, hauen die Kerle ab…» «Irgendwann lacht auch mir das Glück», grinste Alice dann. Den Spruch hatte sie aus einem Sonntagsfilm im ZDF. Sie ergriff jetzt zögernd die Hand der Frau. Die stierte noch immer ins Leere. «Kann ich Ihnen helfen?»
Die alte Dame drehte sich. Und schaute an Alice vorbei: «Ich habe mein Kind verloren!»
Erst jetzt sah Alice den weissen Stock.
Alice fühlte sich bei blinden Leuten stets etwas gehemmt. Irgendwie versagte da ihr Helfersyndrom. Wenn Blinde vor dem Zebrastreifen beim Rotlicht standen, hatte sie nie den Mut die Leute mit dem weissen Stock am Arm zu nehmen.
AUCH JETZT FÜHLTE SICH ALICE UNWOHL.
«Ihr Kind verloren… Wie meinen Sie das…?»
«ARTHUR», schluchzte die Frau, «ARTHUR IST NICHT MEHR DA. ICH TRAGE IHN STETS BEI MIR. ER IST DER WICHTIGSTE TEIL IN MEINEM LEBEN – UND JETZT IST ARTHUR WEG…»
Wieder Schluchzen.
«Es kommt schon gut», versuchte Alice zu trösten. Sie brauchte immer diesen Satz. Die vier Worte waren ihr Multivitamin für eine schwache Welt.
Die alte Frau mit dem Blindenstock sniefte:
«In der Metzgerei war Arthur noch da… Dann gab’s plötzlich ein Gerangel. Jemandem war eine Flasche Bier auf den Boden gefallen. Ein Durcheinander. Und zehn Minuten später habe ich gemerkt: Arthur ist weg…»
Alice wollte Näheres über Arthur erfahren: «Wie sieht er denn aus?»
«NA – ARTHUR HALT. EIN STOFF-ELEFANT!»
ALICE SCHWIEG ETWAS RATLOS.
Die Frau schluchzte wieder: «Es war ein Geschenk zu meinem sechsten Geburtstag. Überall schleppte ich ihn mit. Als dann das Unglück mit dem Auto passierte und ein Glasregen über mich niederprasselte, da habe ich Arthur festgehalten. Ich habe mein Augenlicht verloren. Jedoch nicht Arthur…»
Alice drückte den Arm der Frau: «ES KOMMT SCHON GUT. Wollen wir ihn zusammen suchen gehen…? So ein Stoffelefant verschwindet doch nicht einfach…»
Die blinde Frau lächelte jetzt: «Sie sind ein liebes Kind … Das spüre ich… Aber Sie sollten an sich selber denken… EIN MENSCH KANN AUCH ZU GUT SEIN FÜR DIESE WELT!»
IN DIESEM MOMENT KAM EIN JUNGER MANN IN WEISSER METZGERSCHÜRZE ANGERANNT: «Frau Gerber – wir haben Arthur hinter der Aufschnitt-Maschine gefunden!» Die alte Frau drückte das Stofftier an sich.
Der Metzger schaute interessiert zu Alice: «Hallo …» «Ein Problemmann. Er hat Kummer mit seiner Freundin. Überdies Geldsorgen…», flüsterte Frau Gerber... «PROBLEME?» lächelte Alice jetzt den Metzger an. Und: «ES KOMMT SCHON GUT!»
Seither sind zehn Jahre vergangen. Alice und der Metzger sind glücklich verheiratet. Frau Gerber war Trauzeuge. Der Bub des Paars spielt mit Arthur. MANCHMAL KOMMT ES WIRKLICH GUT.