Von Rebhäuschen und dem paffenden Stromboli

Illustration: Rebekka Heeb

ES IST ÜPPIG.

Alles ist üppig auf Salina: die Kapern, gross wie Pflaumen.

Mit einer Hibiskusblüte deckst du die halbe Insel.

Und mit den Oliven kannst du spielend auf die Bocciabahn.

DAS PROBLEM: DIE INSEL IST KAUM SCHUHSCHACHTELGROSS.

Und in Catania haben sie uns einen Opel vermietet, in dem eine neapolitanische Grossfamilie campieren könnte.

SOMIT HAT UNS DAS BASLER PARKPLATZPROBLEM MITTEN IM ÄOLISCHEN MEER EINGEHOLT.

O.k. Wir lassen den Kübel im Hotel parkiert. Und dort schaufeln sie ihn alle vier Minuten aus der Auffahrt, weil er im Weg steht. Aber die Leute, die im Gegensatz zu ihren Früchten und Gurken winzig klein sind, haben riesige Herzen. Sie lachen nonstop. Stehen beieinander. Und zeigen einander die neusten heruntergeladenen Videos auf ihren fröhlich plastikverhüllten Handys.

SIE SIND NUR STINKIG, WENN DAS WIFI AUSFÄLLT.

Und das tut es relativ viel.

Wir bedanken uns bei höheren Gewalten für jedes WIFI-OUT. Denn jetzt haben die guten Geister Zeit, einen Espresso zu servieren. Und uns auf den Bauch zu klopfen: «Bello belli…»

(ICH VERMUTE MAL, DASS DAS SO VIEL WIE «PRÄCHTIGE WAMPE» HEISST).

Die Küsten von Salina sind steil lavasteinig. Es gibt einen Sandstrand. E i n e n nur. Aber der ist so voll mit Humba-Stimmung wie der Basler Marktplatz am Morgenstreich.

Wir sind nur einmal dorthin gegondelt. Und gleich mal für Stunden festgefahren.

Als Innocent mit seinem Gehstock und den Original-Bermudashorts aus den späten 50er-Jahren auftauchte, sind die Bambini schreiend auf ihn losgerannt.

Sie haben um den Stock gebettelt.

Dieser markiert nun den linken Pfosten des Fussball-Tors. Das Spiel dauert immer noch an …

Es war Roberto, der uns alles organisierte. Mit Halleluja-Geschrei wie «die Trauben fallen dir als 14,5-Prozent-Tropfen direkt auf die Gurgel» machte er Innocent auf die Insel heiss.

Bei mir: «Die Männer haben Waden wie Rinderlenden!»

Das war dann arg übertrieben. Denn die Männer hier sind recht klein gebaut – dafür spucken ihre Herzen Feuer wie der Stromboli.

Das Resultat: Die Schiffe fluten Tonnen von deutschen Witwen an. ALLE GUTER HOFFNUNG AUF DEN HEISSEN STROMBOLI.

Roberto also hat uns ein Hotel gebucht. Aber das war so vornehm, dass Innocent sich zuerst ans Herz, dann an die Brieftasche fasste: «In so etwas gehe ich nicht.»

O.k. Die Salzstreuer waren aus Marmor, die Tischwäsche bestickter Damast – und wenn du die Klospülung betätigt hast, ist sofort jemand dagestanden, der gesprayt hat.

DAS WAR DANN AUCH MIR ZU VIEL.

Also habe ich dem Hotel-Mann klargemacht: «Ich will mich zu einem Stück Cassata-Torte nicht aufbrezeln müssen, als würde ich in die Oper gehen. Ich möchte zwei Häuschen, wo mein Freund ungestört schnarchen und ich ohne dieses nervende Herumwischen um die Ohren meinen Alain Sulzer lesen kann.»

Er hat schmerzlich die Augen verdreht: «Wir geben hier unser Bestes, Signori. Wir sind ein Relais Château und…»

«DANKE. EIN SCHLOSS HABE ICH AUCH ZU HAUSE», STRICH ICH DEM GELACKTEN DACKEL DEN SCHMALZ AUF DIE STULLE! «UND BEI UNSERM PERSONAL HERRSCHT HANDY-VERBOT!»

Das sass.

Er schickte uns in die Dépendance.

So hocken wir also gemütlich in zwei Rebhäuschen, wo abends die Inselratten an Innocents Apnoe-Schlauch nagen. Aber die Lungenliga hat uns vorsorglich einen Koffer mit Reservepneus (oder heisst das jetzt Pnös?) mitgegeben. Und so lebt er noch.

Das Schöne an Salina: Da der Stromboli vis-à-vis immer Dampf ablässt, darf man hier auch paffen. Der Raucher ist ein Bestandteil der Natur.

Das andere Schöne: Es gibt einen einzigen Supermarkt. Und der ist lediglich an Heiligabend geöffnet.

Ich vermute mal, das Ganze ist eh eine Attrappe. Er steht in einer Hügelkurve. Und einen Eingang sieht man nicht.

Drei Mal bin ich mit der deutschen Karre, die so ungelenk ist wie ihre Kanzlerin, darum herum gefahren. Dann winkte Innocent ab: «Wir finden den Käse auch anderswo.»

DAS TATEN WIR DANN BEI LUIGI.

Luigi, mit dem fulminanten Nachnamen «di Vulcano», stellt immer gegen Mittag auf der einzigen Strasse, die sich durch Salina schlängelt, ein paar Kisten an den Strassenrand.

Drin liegen die herrlichsten Aprikosen, Kirschen, Pfirsiche. Es gibt auch Gurken, Melonen und zwei, drei Salate.

Wenn nun jemand hält, packt Luigi di Vulcano nicht einfach die Früchte in einen Plastiksack. Nein. Er wickelt sie in altes Zeitungspapier. Und nimmt einen bei der Hand – nicht etwa um diese zu streicheln. Sondern er führt uns daran in seine Hütte, die gerammelt voll mit Inselköstlichkeiten ist: Würste von den schwarzen Nebrodi-Schweinen, Joghurt von fröhlichen Ziegen (da wird nicht herumgemeckert), Ricotta salata, die alle Sizilianer über ihre Pasta streuen.

Und das Allerschönste: es gibt edle Weine von all den heimischen Insel-Winzern.

JETZT GREIFT INNOCENT ZUM ERSTEN MAL NUR ANS HERZ. UND NICHT AN DIE BRIEFTASCHE.

Wenn die Flaschen auch total überzahlt sind und ich für einen dieser Inseltropfen sechs Kisten Cola Light kaufen könnte – Innocent ist bereits im Delirium. Es ist, als hätte man einen Dürstenden zur Quelle geführt.

Abends hocken wir in den Reben. Sie tragen schon grüne Traubenbeeren. Und versprechen auch künftig die Gäste grosszügig zu laben.

Ich stecke mir eine Zigarre an. Und schaue zum Stromboli.

Gemeinsam raucht sichs netter.

BEVOR WIR INS EXIL FUHREN, HABE ICH IM SCHICKERIA-KASTEN DREI MESSER UND VIER GABELN MITLAUFEN LASSEN. DAZU ZWEI BESTICKTE SERVIETTEN. UND DEN MARMOR-SALZSTREUER.

Auf Innocents Geburtstag hin decke ich den Holztisch bei den Reben. Sicht: auf Stromboli. Und die Flasche, die Luigi di Vulcano als «Amore del Fuoco» angepriesen hat.

SCHANDE! Den Zapfenzieher habe ich im Schloss-Hotel zu klauen vergessen.

Aber Innocent führt immer Reserven mit.

DA IST ER SO WUNDERBAR VORSORGLICH, WIE DIE LUNGENLIGA MIT DEN ERSATZSCHLÄUCHEN.

Dienstag, 10. Juli 2018