Es musste Salina sein.
Und dort der schickste Kasten!
INNOCENT KOMMT INS VIBRIEREN: «Es gibt dort auf dem Campingplatz ein Gästehaus erster Güte…»
DANKE.
Man duscht in solchen Gästehäusern stets gemeinsam im Badesaal.
Rennt gemeinsam zum Beine-Dehnen in den Frühsport…
Und seift gemeinsam am tröpfelnden Brunnen die Turnhosen ein.
MUSS ICH NICHT HABEN!
Innocents schmale Lippen (tausendmal schon habe ich ihm gesagt: «Lass sie aufspritzen … Frau Versace hat es auch gekonnt … und jetzt sind es prächtig geschwungene Vordächer zu einer frischgeplättelten Zahnreihe!») – Innocents schmale Lippen also (es ist ein Familienübel!) werden zu einem einzigen dünnen Strich: «Du weisst, dass ich dir nichts abschlagen kann, aber hast du schon mal die Preise in diesem Luxuskübel reingezogen?!»
O.k. Kenne ich. Ich weiss auch, dass er sich in jungen Jahren vor mir auf die Knie geworfen und heulend gebebt hätte: «Das bringt uns in den Ruin.»
HEUTE MACHEN ES SEINE KNIE NICHT MEHR. SIE SIND AUS TITAN. UND GESCHRAUBT.
ALSO KLOPFT ER ENERGISCH MIT DEM GEHSTOCK AUF DEN BODEN, SODASS EINE AMEISE KÄSEBLEICH VOR SCHRECK AUS DEM BETON HERVORÄUGT: «Ein Frühstücksei schmeckt immer gleich: ob aus Drei-Sterne-Küche oder ab Campingkocher!»
Aber der Gute ahnt, dass er den Kampf verloren hat.
DENN JETZT ZIEHE ICH MEINEN TRUMPF:
«Im Camping von Salina dürfen sie null Alkohol ausschenken – die haben kein Patent!»
SO EINE ANSAGE STICHT BESSER ALS VIER ASSE IM SPIEL!
Er gibt kleinlaut bei: «Aber nur ‹Hotel garni› – zum Nachtessen streichen wir uns Brötchen.»
WER HÄTTE GEDACHT, DASS ICH MIT 71 LENZEN NOCH AUF DEN STULLENSTRICH MUSS!
Nach Salina kam ich wegen Massimo Troisi.
Wer den schüchternen Schauspieler als «Postino» über die Inselhügel radeln sah, verliebte sich sofort.
In ihn.Und in diese bizarr-schöne Landschaft.
Natürlich stemmte auch hier Innocent dagegen: «Das ist am Arsch der Welt… und mit deinen Koffern brauchen wir drei Schiffe.»
ZUGEGEBEN. DAS MIT DEM SCHIFF WAR DIE ARSCHKARTE.
Ich mag keine Schiffe. Sie schaukeln immer. Da halte ich es mit Hercule Poirot: Kaum bin ich an Bord, wird mir flaukäsig. Ich sehe nicht ein, weshalb ich auf ein schaukelndes Schiff muss, wenn im Frutiger Bahnhof der Boden schön fest ist.
ABER FÜR DIE ERINNERUNG AN MASSIMO NEHME ICH AUCH STÜRME AUF MICH.
Wenn ich den «Postino» sehe, heule ich am Schluss jedes Mal.
Ich habe damals, anno 1993, die Dreharbeiten in den Römer Medien verfolgt. Und miterlebt, wie das Finale rabenschwarz kam:
Troisi hatte schon als Kind Herzprobleme. Er wurde als junger Mann in den Staaten operiert. Nun riet man ihm dringend zu einer Herztransplantation.
«ZUERST DREHE ICH NOCH DEN ‹POSTINO›», ERKLÄRTE ER DEN JOURNALISTEN, «DA STECKT MEIN GANZES SÜDITALIENISCHES HERZ DRIN!»
Die Arbeiten zum Film, in dem Philippe Noiret den chilenischen Dichter Neruda im Exil spielt und vom Pöstler die Briefe aus seiner Heimat bekommt – der «Dreh» auf den Inseln Pantelleria und Salina war damals der tägliche Aufmacher in den italienischen Medien.
Alle wussten: Es wird ein Wettlauf mit dem Tod. Denn Troisi wurde während der Filmerei immer fahler. Immer blasser. Immer schwächer. Gewisse Szenen mussten gedoubelt werden.
Obwohl die Ärzte ihm vom ungeheuren Stress abrieten, kam der legendäre Schauspieler täglich zum Drehort.
Als der Film am 3. Juni im Kasten war, reiste Troisi zu seiner Schwester nach Neapel zurück. Er starb, ein paar Stunden nachdem die letzten Aufnahmen zum «Postino» im Kasten waren.
O.k. Ich bin eine Kitschgurke! Und ich liebe solche Geschichten.
Ich kann mich dabei gesundheulen.
NICHT SO INOCENT.
Ich zeige ihm die DVD. Und er schläft ein.
Ich zeige ihm die wunderbare Stelle mit dem Strand von Salina und der wackligen Bar, wo der Postmann sich verliebt.
INNOCENT: «HATS NOCH EIN BIERLEIN KALTGESTELLT…?»
ABER DEN TROISI, SALINA UND DEN WUNDERBAREN STRAND MIT DER ELLENLANGEN TREPPE WÜNSCHE ICH MIR ZU MEINEM RUNDEN GEBURTSTAG!
(Und wenn ich hinschwimmen muss.)
ALSO GIBT INNOCENT NACH. Aber klemmt gleich noch Bedingungen ans Päckchen: «UND NIE MEHR EIN WORT ÜBER DIE ROLEX – VERSPROCHEN?»
Natürlich ist die Reise zu den Äolischen Inseln etwas umständlich.
In Catania mieten wir ein Auto. Und düsen nach dem Hafenörtchen Milazzo.
Ich will jetzt nicht schildern, wie ich in der Biglietteria bei 40 Grad Raumtemperatur Schlange stand.
Ich sage auch nichts über den Schalterbeamten, der vor mir sein Fensterchen schloss: «Pranzo!»
Nach seiner Mittagspause wäre das Schiff nach Lipari bereits weg gewesen. Und das nächste schaukelt erst vier Tage später.
ICH BRÜLLTE. HEULTE. DONNERTE ANS KUNSTSTOFFSCHEIBCHEN.
Nützte nichts.
ICH WEDELTE MIT 20 EURO.
Ich hätte auch mit einem alten Schuh wedeln können.
Aber dann kam eine junge Frau. Schön wie die Busen-Lollo. Und feurig wie der Stromboli-Vulkan.
Sie fegte mich auf die Seite: «Ich muss sofort aufs Schiff, Gino – und dieser alte Man auch!»
ICH HABE IHR DEN «ALTEN MANN» VERZIEHEN.
Und ihren Busen heiliggesprochen.
UND NUN SIND WIR ALSO HIER!
Als Erstes sind wir im Miet-Opel die kurvenreiche Strasse an den Strand von Troisi gefahren.
Natürlich muss man das Auto stehen lassen. Es ist ein ellenlanger Gehweg. Und dann der Schock: Der Strand ist weg – das Meer hat ihn davongespült…
Trotzdem poltern Touristenbusse von den Nachbarinseln Stromboli, Vulcano, Lipari an.
Sie schütten Herden von «Postino»-Fans aus.
Eine kleine Holzhütte verkauft Souvenirs – Troisi als Postkarte. Und als Eiskasten-Magnet.
Ich bin stumm.
«Na, na, na…», klopft mir Innocent auf die Schultern.
Dann schaut er zum kleinen Souvenir-Kiosk: «Die haben auch Insel-Wein, setzen wir uns hier in den Schatten.»
Ein Akkordeon-Spieler lässt die Film-Musik des «Postino» auf die Touristen los.
Ich heule.
Innocent verdreht die Augen: «Gott, bist du eine Drama-Queen!»
Nicht nur sein Knie – auch das Herz ist aus Titan!