Als kleiner Bub trieb ich es bunt.
DAS HAT BEREITS IN DER WIEGE ANGEFANGEN!
So jedenfalls wurde die Story immer an Familientagen und Beerdigungen durchgegeben: Rosig gedresst lag der kleine Junge auf dem weissen Kissen. Rosig – weil Basler Buben zu jener Zeit noch rosa auf die Welt kamen. Die Mädchen himmelblau.
WEISS DER TEUFEL, WESHALB BASEL DA IN SEINER VERHÜLLUNGSPOLITIK ANDERS TICKTE.
Aber es war Tradition: künftige Grossräte rosa. Die ersten Emanzen: himmelblau!
Hatten die Grossmütter auf das Ereignis hin Wollsöckchen und Mini-Käppis in der Farbe bläulich dragierter Zuckermandeln gestrickt, kam Panik auf, wenns ein Bub wurde.
DIE FRAUEN GRIFFEN ZUM ROSA GARN. UND HÄKELTEN UM.
Nun war ich also ein rosiger Bub. Doch eigentlich wäre mir der Gesinnung nach das Himmelblaue zugestanden.
MEIN HOHES «C» AUF DEM TAUFKISSEN SCHRIE GERADEZU NACH REGENBOGENFARBEN!
ABER NEIN: ROSA! STATT HIMMELBLAU. Doppelt verkehrte Welt!
Zurück zur Wiege allen Farbendramas: das Kind also rosig gewickelt. Die Kembserweg-Omi mit einem Flunsch davor: «Wo ich bereits sieben Wollsöckchen in zartem Pflaumenblau gestrickt habe, Lotti!»
Und vorwurfsvoll zur Urheberin all dieses Irrtums: «Weshalb kein Mädchen – pflaumenblaue Mädchen sind netter anzuziehen!»
Mutter, der die Omi eh immer auf den Keks ging, konterte bissig: «GIB DEINEN WUNSCHKATALOG BEIM STORCH AB. Überdies schleppt uns dein Herr Sohn genug Pflaumen ins Haus, Anna.»
Vermutlich spürte das kleine, wunderschöne Kind mit dem Gemüt so zart wie Kükenflaum die Spannung in der Luft. JEDENFALLS SCHRIE ES ZETERMORDIO.
Da tauchte Tante Gertrude mit einer goldbestickten Stola auf. Der lange Shawl war lindengrün. Und für den Opernbesuch gedacht.
DAS KIND STRECKTE DIE HAND DANACH WIE DER KLEINE JESUS NACH DEN GABEN DER HEILIGEN DREI KÖNIGE.
Die Tante deckte den Kleinen gutmütig mit dem Prachtstück zu.
Er gab zwei nasse Bäuerchen darauf. Und schlief zufrieden ein. Die Tante besuchte daraufhin die Oper ohne Stola.
Ich werde an Talkshows, im Freundeskreis und von besorgten Jung-Eltern immer wieder gefragt: «Wann hast du erstmals gespürt, dass du...»
PAUSE.
Sie sprechen das Wort auch heute noch nicht aus. Es ist ein Unwort. Wie «Mohrenkopf». Oder «Zigeuner».
ABER NATÜRLICH WEISS ICH, WAS SIE MEINEN.
Also setze ich mein weises, altes Gesicht auf. Und doziere: «So etwas s p ü r t man nicht. So etwas i s t man!».
SIE SCHAUEN DANN LEICHT VERUNSICHERT. AN MIR HERUNTER. SEHEN LINDENGRÜNE SCHUHE UNTER EINER ORANGEN CORDHOSE. UND OBEN EIN LILAFARBENES HEMD MIT EINGESTICKTEN PAILLETTEN-ROSEN.
Mann i s t es eben!
Ich hatte wunderbare Eltern, die nicht lange hinterfragten. Sondern mich einfach leben und auf meine Art lieben liessen.
Im Kindergarten war ein sogenanntes «Znüni-däschli» Pflicht. Darin verstauten die Mütter handgeschmierte Butterbrote für ihre Lieblinge.
Meine Mutter war nicht von der handschmierigen Sorte.
Sie kaufte mir einen Rosinenschneck. Und als ich ihr goldenes Satin-Theatertäschchen aus dem Kasten entwendete, sagte sie nichts.
Erst als die Kindergartentante zu Hause vorsprach: «Finden Sie es richtig, dass Ihr kleiner Bub Kaugummi und Zuckererdbeeren in einem Funkelsäckchen mit Chanel- Verschluss anschleppt?», horchte Mutter auf.
Sie hob die Augen zum Himmel und seufzte: «Tausend Mal schon habe ich ihm gesagt, dass diese verdammten Zuckererdbeeren seinen Zähnen schaden würden. Aber er schminkt sich gerne die Lippen damit…»
Das Täschchen war kein Thema! Und die Eltern schenkten mir auf den Muttertag einen Lippenstift: «Das ist gesünder, Kind!»
In der Primarschule hatten wir Buben tintenblaue Turnsäcke, in denen wir noch blauere Turnhosen herbeischleppen sollten.
NICHT MIT MIR. ICH WAR EH NICHT DER TURNIGE TYP! UND WEIGERTE MICH «SO EIN GESCHLAMP» ANZUZIEHEN!
Ich war auch nicht der Kickschuh-Fan.
Erst jetzt, im Alter, wo die Füsse immer breiter werden, lerne ich das Bequeme eines Turnschuhs schätzen.
Vor ein paar Jahren noch sprayte ich Sneakers farblich korrekt um. Es war damals schwierig, eine 44 in Pink zu bekommen. Aber heute hat mich die Mode eingeholt. Es pinkt sich gar mit Grösse 47.
ABER ALS BUB – AUF KEINEN FALL DIESE GRÄSSLICHEN TURNSCHLAPPEN, DIE IN DER GARDEROBE IMMER DIESE LUFT VERBREITETEN, DASS DIE FLIEGEN RÜCKWÄRTS FLOGEN!
ICH WOLLTE ROSIGE BALLETTSCHUHE, IN DENEN MAN WIE JUNGE ENTEN MIT LEICHT AUSGEDREHTEN FÜSSEN GEHEN KONNTE.
Mein Vater versuchte zu protestieren: «…und wie willst du mit so etwas Fussball spielen?!»
FUSSBALL?!
Ich hatte ein Hüpfseil, das an zwei hölzernen Fliegenpilz-Griffen angebracht war.
NOCH FRAGEN?!
Im Gymnasium achtete ich dann sehr auf korrekte Kleidung. Keine Krawatte – aber ein Plüschpullover! Darauf war etwas Weisses drapiert, das sie einen Weibel-Kragen nannten! Der Kragen wurde mit einer zitronengelben Schleife zusammengebunden, die ich einem Osterei entnommen und aufgebügelt hatte.
Eigentlich sah ich darin aus, als würde ich sofort ins Kloster gehen. Und für ein paar Monate liebäugelte ich auch mit solchen Gedanken, bis ich den ersten Kapuzinermönch in seiner Kutte mit dem Strick um den Bauch sah.
DAS DANN DOCH NICHT.
UND SCHON GAR KEINE KNEIPPSANDALEN!
Die Konfirmation war dann eine teerschwarze Angelegenheit.
Der Pfarrer nahm mich ins Gebet: «Wehe, wenn du das Konfirmanden-Foto mit einem deiner Tunten-Fummel aus dem Rahmen sprengst!»
Also gingen wir zu Kleider Frey.
Die Anzüge sahen damals alle gleich düster aus – eine triste Uniform-Parade junger Gottessoldaten.
«Haben Sie auch etwas in Samt und diesem Maisgelb, wie es Vico Torriani trägt?»
DIE MUTTER SCHAUTE ZUM HIMMEL. – DER VERKÄUFER RUNZELTE DIE STIRN: «JA IST DAS GANZE EIN FASNACHTSBALL ODER EINE KONFIRMATION?!»
Wir fanden einen Anzug, der silberne Streifen hatte. IMMERHIN.
ES GAB EINEN KURZEN MOMENT DER IRRITATION, ALS DER PFARRER MICH NACH VORNE RIEF UND ICH SO TAT, ALS WOLLTE ICH MIR EINE SEIDENE HORTENSIE INS HAAR STECKEN.
Okay.
War alles nur ein blumiger Scherz.
Ich nahm den Bibelspruch natür entgegen. Er ging nach Johannes 8:12 und war auf den kleinen Schlaumeier gemünzt: «Ich bin das Licht der Welt…»
Na ja, wo die Bibel recht hat, hat sie recht.