ES WAR EIN SCHOCK.
Die Mutter sperrte entsetzt die Augen auf: «DAS NICHT AUCH NOCH!»
Die Hebamme erstarrte. Und versuchte es auf die gütige Art: «Es ist jetzt vielleicht ein bisschen schlimm – aber Menschen mit einem Down-Syndrom können ein grosses Geschenk sein. Sie sind sensibler als ihre Umwelt. Und sie können uns das Glück des Lebens aus ihrer Sicht näherbringen!» «BRINGEN SIE ES WEG!» – schrie die Frau hysterisch.
Die Hebamme drückte den Kleinen fest an sich: «Das wird schon werden, mein Kind…»
ES WURDE NICHT!
Die Mutter wollte ihre Freiheit. Der Vater des Kindes hatte sie vor drei Monaten verlassen.
UND JETZT DAS!
Adieu der Traum vom Trampen in Kalifornien.
Futsch die Illusionen vom eigenen Coiffeursalon mit prominenten Kunden.
NEIN – SIE LIESS SICH DOCH NICHT WEGEN DIESES BALGS DIE ZUKUNFT VERMIESEN!
Also gab sie Georg zu einer entfernten Cousine ihres Vaters. Georg musste «Frau Binz» zur Pflegemutter sagen.
Frau Binz hatte Hühner. Und die legten nicht immer goldene Eier. Also kam ihr der Zustupf, den ihr die Behörde für die Betreuung des Buben monatlich überwies, gelegen.
Der Kleine durfte den Hof nicht verlassen. COUSINE BINZ SCHÄMTE SICH IHRES ENTFERNTEN VERWANDTEN. WENN SIE AM SONNTAG ZUR KIRCHE GING, SCHLOSS SIE GEORG IM KARTOFFELKELLER EIN.
Und wenn der Pfarrer einmal im Monat mit ihr die Bibel studierte, legte Cousine Binz den Kleinen mit diesen blauen Pillen still, die sie mitunter selber nahm, wenn der Vollmond sie unruhig im Bett hin und her schaukeln liess.
MAN KÖNNTE NUN MEINEN, GEORG SEI EIN UNGLÜCKLICHES KIND GEWESEN.
War er nicht. IM GEGENTEIL!
Georg freute sich an den Kleinigkeiten, die ihm die Welt zeigte: an der Spinne, die so wunderbare Netze schuf… an den ersten lilafarbigen Krokussen, die sich durch den Schnee kämpften… an dem zittrigen Flaum der eigelben Küken, welche Cousine Binz unter einer rötlichen Infrarotlampe zu Legemaschinen heranzüchtete.
Eines Tages schnappte sich Georg so ein Flaumküken. Und zog es heimlich gross.
Cousine Binz reagierte mit Donner und Doria: «Lass meine Junghühner in Ruhe… du Arsch!»
Aber Georg hatte sich in das Huhn verliebt.
Für jemanden, der nie Wärme bekommt, scheint auch ein Huhn wie die Sonne.
Er nannte seine Freundin «Bibbälä».
Und «Bibbälä» gedieh unter so viel Zuneigung prächtig.
Als Bibbälä das erste Ei legte, war Georg unglaublich stolz. Er streckte es Frau Binz hin: «Bibbälä hat Ei gelegt.»
«Hau ab!» – sagte die. Und nahm das Ei.
Bibbälä legte zwei Jahre fleissig. Dann flachte die Produktion ab.
Eines Tages überraschte Georg Frau Binz, wie sie mit einem scharfen Beil auf den Hals seines Bibbälä einhackte.
DER KOPF LAG AUF DEM BODEN.
Der Bub stiess einen hohen Ton aus. Er schrie noch, als er zum Bach rannte.
PS I: Georgs Mutter arbeitet als Kassiererin in einem Supermarkt von Miami.
PS II: Cousine Binz züchtet jetzt Hanf.
PS III: Georg selber wurde nie mehr gesehen.
Aber sicher ist er von allen der Glücklichste gewesen.