Die Bank

Die zwei Alten sitzen auf der Bank.

Es war das Erste, das sie sich damals angeschafft haben: die Bank vor dem Haus.

Jedes Jahr wurde sie frisch gestrichen.

Seit nun fast 40 Jahren schauen sie hier im Sommer zu, wie der feurige Sonnenball am Horizont hinter dem Berg untergeht.

Im Juni wirft die Kugel ein rotes Kleid über die grauen Felswände. Ganz langsam erlischt die Farbe – wie die Hitze auf einer abgestellten Herdplatte.

Sie schaut ihn von der Seite an: «Du solltest einen Pullover überziehen – du bist keine 20 mehr!»

Auch das – wie jedes Jahr.

Das Haus war ein Glücksfall gewesen.

Ein Freund hatte sie darauf aufmerksam gemacht. Der Besitzer zog ins Altenheim.

Sie kauften ihm die etwas verwahrloste Hütte mit dem Land und den vielen Kirschbäumen drumherum ab.

«Da koche ich Kirschenkonfitüre…», strahlte sie.

Die Kirschenpflückerei war zu mühsam. Überdies hatten die Früchte Würmer. Also überliessen sie alles den Vögeln. Und freuten sich im Frühling an den weissen Blüten. Die Bäume sahen dann aus, als würden sie zum Altar geführt.

SIE HATTEN EIN ERFÜLLTES LEBEN.

Beide arbeiteten.

Aber abends, wenn es irgendwie ging, deckten sie den rostigen Eisentisch vor der Bank. Öffneten eine Flasche Wein. Und säbelten vom Käse und der Wurst ab.

An den Wochenenden wurde auch das Frühstück draussen gedeckt.

Sie konnten den Sommer kaum erwarten. Und sassen bereits im März auf ihrer Bank: «Zieh dir etwas Wärmeres an!» – sagte sie dann.

Die Vögel sangen. Die Krähen lachten heiser.

«So ist das Paradies», sagte er.

MIT DEN JAHREN VERLOREN DIE BÄUME IHRE BRAUTKLEIDER. UND TRUGEN KEINE FRÜCHTE MEHR.

Er ging jetzt am Stock. Und sie hatte ein Knie, das bei Flughafenkontrollen einen Alarm auslöste.

Also: keine Städteflüge mehr. Auch keine Bus-Reisen.

Sie sassen auf der Bank. Sahen die Sonne untertauchen. Und freuten sich an den Bäumen, die jetzt blattlos wie schwarze Gespenster die Arme zum Himmel erhoben.

IM WINTER SCHAUTEN SIE AUS DEM FENSTER. Und überlegten: «Ob wir noch einmal den Sommer geniessen können? Gemeinsam – auf der Bank…»

Sie behielten solche Gedanken für sich. Aber jeder wusste, was der andere dachte …

Am ersten schönen Frühlingstag holte er dann die Farbe. Und strich das Holz… Er schaute zum Himmel, aus dem das Winteranthrazit verschwunden war: «Es geht wieder aufwärts!»

«Zieh dir etwas Wärmeres an», sagte sie zu ihm.

«Alle Vögel sind verstummt», realisierte er eines Tages.

Sie nahm seine Hand: «…und das Heu hat aufgehört zu duften!»

Aber doch existierte alles noch. In ihren Erinnerungen. In ihrer Zweisamkeit.

So sitzen sie. Und schauen schweigend auf die saftige Matte, die ihr Nachbar am Morgen für sie gemäht hat.

«Es ist schön zu wissen, dass unsere Asche hier verstreut wird…», sagt er plötzlich.

Sie klopft ihm energisch auf den Rücken: «Das hat noch Zeit… Ich hole dir den Pullover!»

Er nimmt ihre Hand: «Schmeckst du das frisch gemähte Gras?»

«Ja», lächelte sie.

Sie schmeckte nichts.

UND DOCH WAR ALLES DA.

Freitag, 25. Mai 2018