«Papa – das sieht echt heiss aus!»
Nancy versuchte, ein entzücktes Gesicht zu machen.
Aber Karl bellte sie gleich an: «BLÖDSINN. EIN MANN AM STOCK IST NICHT HEISS… ER KLOPFT DAMIT AN DIE TÜRE ZUM JENSEITS!»
«Chaplin hatte auch einen Stock…», versuchte es die Tochter jetzt gütig, «dann Maurice Chevalier… oder Heesters. Er wurde 108 Jahre alt. DIES MIT STOCK!»
«Ja», nickte Karl grantig. «…aber ich bin nicht Heesters. Und ich will auch nicht ein 108-jähriger Dandy werden!»
Natürlich schwatzten sie ihm doch so einen Stecken auf. Verstellbar. Gummizapfen. Und Silbergriff – das dann immerhin.
«Sie fühlen sich sicherer so», hatte der Arzt gesagt.
Aber Karl fühlte sich nur stockalt!
Er war immer ein Womanizer gewesen. Ein bisschen rundlich. Bauch. Aber das mochten die Frauen an ihm.
UND JETZT EIN BAUCH AM STOCK!
Was wohl Fräulein Schmid zu dieser Schande sagen würde.
Karl schwärmte für Mizzi Schmid. Sie wohnte auf derselben Etage. Aber sie beachtete ihn nicht. Sie schaute nur aufs Handy. Immer.
AN JENEM FREITAG ABER MACHTE IHM SEIN STOCK DEN TAG.
Karl traf Fräulein Mizzi im Treppenhaus. Zum ersten Mal schaute seine schöne Nachbarin von ihrem verdammten Handy auf.
Sie lächelte sogar: «Oooh – guten Tag … Das sieht gut aus mit diesem Silber!»
Er wuchs um 5 Zentimeter. Lobpreiste den Herrn sowie den Silbergriff. Und sah plötzlich all die versteckten Stock-Vorteile: Im Tram sprangen die Leute auf und machten Karl Platz.
In den Menschen-Schlangen vor den Supercenter-Kassen liess man ihn vor: «Gehen Sie nur…» Und in den Museen gab man ihm automatisch Senioren-Rabatt.
Er konnte mit dem Stecken auch rüpelhaften Velofahrern hinterherwedeln. Oder für seine Enkel den Tambourmajor spielen.
Er spazierte jetzt wieder mehr. Setzte sich, wenn er müde wurde (und er wurde schnell müde!) auf eine Parkbank. Und döste dann vor sich hin.
AUCH JETZT.
Da fiel ihm plötzlich ein, dass er auf der Post noch Geld holen sollte.
Er humpelte also hin.
Es gab viele Leute, die eine Nummer gezogen hatten. Und warteten. AUCH MIZZI SCHMID WARTETE. Sie schenkte ihm ein so bezauberndes Lächeln, dass er zwei Stöcke fürs Gleichgewicht benötigt hätte.
Aber die Idylle platzte sofort, als ein Mann mit Strickkappe über dem Kopf zum Schalter jagte: «DAS IST EIN ÜBERFALL!»
«Oooh», hauchte Mizzi Schmid. Und schaute in Panik zu Karl.
Einige Leute schrien. Aber der Gangster fuchtelte mit seiner Pistole herum: «EINE FALSCHE BEWEGUNG UND IHR KÖNNT DEN KAFFEE BEI DEN ENGLEIN TRINKEN!»
Karl spürt, wie ungeahnte Kräfte in ihm aufsteigen. Er schleicht nach vorne, wo der Posträuber die Scheine in einen Migros-Sack einpackt. Dann schlägt er ihm den Stock über die Birne.
Der Bankräuber fällt zu Boden – und Mizzi in Karls Arm. Sie drückt ihn ganz fest und …
«HALLO… HALLO… IST BEI IHNEN ALLES OK?!» – eine Verkehrspolizistin rüttelt Karl. Und ihn somit aus seinem kleinen, wunderbaren Traum.
«Was soll nicht in Ordnung sein?!», knurrt er giftig. Und zieht sich am Stock von der Bank hoch.
Die Polizistin geht brummelnd weiter: «Typisch altersverstockt!»