Kinder

Milli packte ihre Einkäufe in die Papiertasche: 3 Äpfel, 1 Kopfsalat, 6 Eier. Die Tasche nahm sie stets von zu Hause mit. Milli war alt. Aber noch lernfähig. Und sie wusste, was sie der Umwelt schuldig war.

Sie machte sich auf den Weg – rechts der Gehstock. Links die Einkäufe. In der Mitte: das traurige Elend. Ach was! Milli wollte nicht hadern. Der Staat sorgte mit einer guten Pension für sie.

Sie humpelte am kleinen Park entlang. Er war eben «zeitgerecht umgestaltet» worden. Früher hiess es einfach «die Anlage». Damals gab’s eine eiserne Kletterstange.

Unter den Bäumen sassen die Mütter auf braunen Bänken. Sie gaben einander den neusten Quartierklatsch durch. Und wenn eines der Kinder ganz oben auf der Kletterstange stand, unterbrachen sie die Strickarbeit: «Milli – komm sofort runter!» Am Brunnen, mit der Frau auf dem Sockel, spritzten die Buben die Mädchen ab.

Milli lächelte jetzt leise. Ja. Glück gehabt. War eine schöne Kindheit… Und nun war also aus der Anlage ein «Erlebnispark» geworden.

Die Mütter auf den Bänken trugen Kopftücher. Und junge Familien hatten am ersten schönen Sonntag Grillgeschirr angeschleppt. Statt der Kletterstange gab es einen Hindernislauf, der in einem Kunststoff-Tatzelwurm endete. Aber das laute, lachende Geschrei der spielenden Kinder war dasselbe geblieben. IRGENDWIE BERUHIGTE MILLI SO ETWAS: Man konnte die ganze Welt verändern. Kinder lachten immer gleich.

In diesem Moment passierte es: Eine Frau fuhr mit dem Velo auf dem Trottoir – hinter ihr drei übermütige Kinder auf ihren Trottinetten.

Eines der Kinder kollidierte mit Millis Einkaufssack – Milli schwankte. Gottlob rettete sie eine Bank. Sie sank darauf, während die Äpfel am Boden herumkullerten. Und die Schachtel mit den Eiern gelb zu tränen begann.

DIE MUTTER STIEG VOM VELO AB.

Und schrie die Kleinen genervt an: «Könnt ihr nicht aufpassen!» Dann ging ihr Blick zu Milli: «Sind Sie verletzt?»

Millis Herz klopfte wild. Sie suchte in ihrer Jackentasche nach den Tropfen. NUN NAHM SIE DIE MUTTER INS VISIER: «Sie dürfen auf dem Trottoir nicht Velo fahren…»

Die junge Frau nahm ihren Helm ab: «Ich weiss – aber ich kann mit den Kindern nicht auf die Strasse…» «Wie wär’s mit Velo stossen?», wetterte Milli. Die Frau schaute jetzt zerknirscht.

Dann: «Eva – sammle die Äpfel ein. Und gib der Frau den Salat…»

Sie streckte nun Milli die Hand entgegen: «Sie haben recht – tut mir leid. Aber es ist mit drei Wildfängen nicht so einfach… Die Eier bezahle ich natürlich», lächelte die junge Frau.

«Blödsinn…», knurrte Milli nun.

Und dann: «Ich hatte nie Kinder. Aber ich war mal eines…»

Der kleine Bub, der Millis Einkaufstasche gerammt hatte, kam auf die alte Frau zu. Er streckte ihr ein paar gepflückte Gänseblumen entgegen: «Du bist lieb!»

Milli spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen: «Dann fahrt schon mal los, ihr Racker!»

Der Bub winkte ihr an der Strassenecke nochmals zu.

Milli stand da – im Jackensack die Herztropfen und drei Äpfel. In den Händen: der Gehstock. Ein Kopfsalat. UND DIE GÄNSEBLÜMCHEN.

«So ein schöner Tag», lächelte sie.

Freitag, 4. Mai 2018