Elvira sah sich um.
SIE SAH ROT.
SIE SAH PLÜSCH.
SIE SAH KRISTALL.
«Wunderbar», seufzte sie. «Einfach grossartig!»
Es war Michi gewesen, der sie mit einer «Reise nach Wien» und einem Opernticket für «Bohème» überrascht hatte.
MICHI WAR ANDERS ALS SEINE GESCHWISTER.
Als er mit zwölf für Freddy Quinn und Zuckerwatte schwärmte, wusste Elvira: Mit 15 wird er sich ein Lidschatten-Set zum Muttertag wünschen.
Wie gesagt: Er war anders. Und Elvira haderte nicht damit.
Sie kaufte ihrem Sohn das Lidschatten-Set.
NATÜRLICH FREUTE ELVIRA SICH AUCH ÜBER IHRE ZWEI TÖCHTER. DAS WÄRE JA NOCH…!
Die beiden gaben ihr die Möglichkeit, den andern eine Hand voll Enkel per Handy-Fotos herumzuzeigen.
«Sind das die Kleinen von Michael?», erkundigten sich die Freundinnen spöttisch.
DABEI WUSSTEN DIESE HEXENBESEN GENAU, DASS DER SICH VOR DREI JAHREN MIT ALF, EINEM DEUTSCHEN PROFESSOR DER SEXUALKUNDE, VERMÄHLT HATTE.
Auch damals hatte Elvira die Fotos herumgezeigt – zwei gutaussehende Männer in weissen Smokings vor rosa Torte!
DIE FRAUEN GRINSTEN.
«Ein schwuler Sohn ist die beste Altersversicherung – der schaut immer zu seiner Mamma!», sagte Elvira kühl.
«Ist so viel Anhänglichkeit nicht sehr anstrengend?», hatte Susi süffisant gegrinst…
Gut. Es war anders: Während ihre Töchter die Omama als Babysitter aufboten, boten Alf und Michi die Mamma zu einem «Essen im Sternenrestaurant» auf.
UND JETZT ALSO: BOHÈME!
Das letzte Mal starb Mimi, als sie mit Karl die Bregenzer Festspiele besucht hatte. Im zweiten Akt, wie diese lustige Musetta so hoch sang, begann es aus Kübeln zu schütten. Und im dritten Akt wurde es auch noch kühl.
Karl holte sich eine schwere Grippe. Dann die Lungenentzündung. UND SO FIEL DER VORHANG – für Bohème. Und für Karl.
Bei Letzterem ging er nie mehr hoch.
Elvira schaute jetzt zu den Logen. Sie streckte den Arm. Und machte ein Selfie...
IM LETZTEN MOMENT GABS UNRUHE: SO EINE HOCHFRISIERTE HATTE IHREN ALTEN IM SCHLEPPTAU: «Karl-Heinz. Hier ist es…»
Leicht grummelnd erhob sich die Reihe vor Elvira.
Jemand schoss leise Gift: «…dass die Leute nie rechtzeitig erscheinen können!»
«Wir haben sonst Loge…» – kam es gallig zurück. Und «Zicke!» – dachte Elvira.
Dann sah sie nur noch schwarz. Und atmete den Lackspray der Hochgetürmten vor sich ein.
Elvira versuchte, am Hals dieser dummen Kuh vorbeizugucken.
DER DIRIGENT HOB DAS STÖCKCHEN – UND «GRSCHHHGRSCHHH» RASCHELTE ES IN DER VORDERREIHE.
Die Zicke griff nach einem Cellophan-Beutel mit Frucht-Bärchen drin.
«Karl-Heinz – hier!»
Die Celli kämpften wild gegen das Knistergeräusch der Cello-Fruchtbärchen.
«Nein Walpurga», flüsterte der Mann gereizt.
«Und dann hustest du mir wieder den Krimi voll!», tobte Walpurga.
«Psssst!», fiepste eine ganze Reihe.
«DAS HIER IST KEIN FERNSEHEN!», rief ein ganz Mutiger.
ENDLICH RUHE!
NUR NOCH PUCCINIS BONBON-MUSIK. BIS ZU DEM MOMENT, ALS MIMIS EISKALTES HÄNDCHEN IN DER PRANKE VON RUDOLF LAG…
Da ertönte der Radetzkymarsch auf Elviras Handy. Und ein SMS leuchtete auf:
«MAMMA – ALLES GUT?»
DAZU: ZITRONENGELBER SMILEY.
Okay. Susi hat recht:
Manchmal konnten diese «anhänglichen» Söhne auch etwas anstrengend sein…