Wir schaffen das!
Myrtha drückte den Knopf.
Das Zeichen mit dem grünen Telefon vibrierte. Es zuckelte wild.
ACH NEIN!
Myrtha jammerte auf. Sie musste wohl zu lange gedrückt haben. Das grüne Telefon-Signet verabschiedet sich in diese elektronische Wolken-Welt, die sie nie verstehen wird.
Ihre Enkelin Louise hatte ihr das Handy im letzten Mai zum Muttertag aufgerüstet.
Dazu gab es die obligaten drei Töpfe mit Geranien.
Die bereits etwas dümpelnden Blumenstöcke hatte Myrtha auf der Stelle mit ihren Wunderkugeln gedüngt. Und das Handy zum Teufel gewünscht.
«…die Wolke mit der Sonne beispielshalber ist das heutige Wetter», dozierte Louise.
SIE DRÜCKTE DARAUF.
AUF DEM KLEINEN BILDSCHIRM ZEIGTE SICH EINE STRAHLENDE SONNE. UND: «ZÜRICH – 21 GRAD».
Myrtha war hier aber in Basel. Es regnete Bindfäden. Und die Temperatur war kaum über dem Gefrierpunkt.
«Na ja», nervte sich Louise gereizt, «die Wetterprognosen sind seit dem Klimawandel etwas schlampig… Aber du weisst so, wie es sein könnte…»
Louise fingerte dann wieder an den Tästchen herum. Das Telefon piepste dazu wie ein Gummischweinchen: «Der Hörer hier bedeutet Verbindung mit uns allen. Das ist die Mammi… Erkennst du die Foto…?»
Nein. Myrtha hatte die Brille nicht auf.
«…und hier das gähnende Kätzchen, das bin ich… Aber natürlich braucht es WI-FI.»
«Ja klar», sagte Myrtha.
Sie schaute weniger auf das gähnende Kätzchen als vielmehr zu den Geranienstöckchen…
«HOFFENTLICH SIND DIE BLÜTEN NICHT WEISS – WEISSE GERANIEN WERDEN BEIM ERSTEN REGEN BRÄUNLICH…», galoppierten Myrthas Gedanken in der realen Welt herum.
«Du kannst hier drücken, dann sehen wir, dass du noch lebst…», tippte die Enkelin nun auf eine kaum nadelkopfgrosse Kamera.
Myrthas Handy klopfte aufgeregt, als stünde es kurz vor dem Infarkt.
Doch da öffnete sich die Wunderwelt. Und Tochter Hortense bellte verärgert aus dem Bildschirm: «Was ist los? Ich kann jetzt nicht… Bin an einem Zopfteig…»
TATSÄCHLICH – GEREIZT WIE IMMER. Aber hier live im Bild.
Wie eine Tagesschausprecherin.
«HALLO», winkte Myrtha ihrer Tochter zu.
Da war sie auch schon weg. Vermutlich beim Zopfteig…
ES WURDE SCHWIERIG.
Myrtha besuchte einen Kurs für die Benutzung technischer Hilfsmittel im 21. Jahrhundert.
«WIR SCHAFFEN DAS» – bot der Quartiertreff Lektionen «für unsere lieben Alten» an.
Myrtha hatte dann viermal den Notdienst der Polizei am Apparat.
Und einmal war es ihre Tochter, die bellte: «ICH SEHE NUR DEIN OHR … SCHAU AUF DEN BILDSCHIRM, MAMMA! ICH HABE KEINE ZEIT… BIN AN EINEM ZOPFTEIG…»
Mit der Zeit verschwanden alle diese seltsamen Zeichen auf Myrthas Handy – meistens war sie mit dem Finger zu lange drauf gewesen.
NUR DAS SIGNET MIT DEM «HÖRER» HATTE BIS ZULETZT DURCHGEHALTEN.
JETZT ABER WAR WOHL AUCH IHRE TOCHTER WEG – UND FÜR IMMER UND EWIG AM ZOPFTEIG.
Ach so – die Geranien blühten prompt weiss. Und wurden nach dem ersten Regen braun.
Böse reale Welt!