Von der Bimmelbahn und keinen Kontrollen im Tram

Illustration: Rebekka Heeb

Es geht so nicht weiter. DIESE ÖSTERREICHISCHEN SCHMANKERL BRINGEN MICH UM!

Na ja – nicht um! Aber sie bringen einen Bauch, sodass kürzlich in der Strassenbahn eine junge Frau in guter Hoffnung aufgehüpft ist und mir ihren Schwangeren-Sitzplatz überlassen hat.

IN DIESER RINGBAHN HAT JEDE SCHWANGERE FRAU EIN HOCKRECHT!

Ich meine: DAS ist Lebensqualität. Und SO ist es wirklich eine Freude, schwanger zu sein.

MUSS SICH JA KEINER MEHR WUNDERN, DASS WIEN DIE STADT NUMMER EINS PUNKTO LEBENSFREUDE GEWORDEN IST.

WER BUMST NICHT GERNE DRAUFLOS, WENN IM TRAM EIN SITZPLATZ ALS BELOHNUNG WINKT!

Ich habe mir also die Monatskarte geleistet. Sie kommt an jedem Wiener Strassenbahn-Automaten raus – natürlich nur, wenn man vorher die Blechkiste mit 17 Euros füttert.

Das Wunderbare jedoch: Es gibt keine Kontrollen. Jedenfalls fahre ich nun schon seit über einem Monat mit der roten Bimmelbahn. Und nie hat auch nur einer ein Ticket sehen wollen.

Seit drei Tagen habe ich deshalb kein Monatsticket mehr. ICH BIN JA NICHT BLÖD!

Meine heiss verliebte Parterre-Mizzi, das Fräulein Henriette, hat mir in einer ihrer Klavier-Pausen den Tipp gegeben: «Se kaafens a ganz normals Fahrscheinerl. Des trogens immer ba sich. Und stöllen sich zem Entwertungskisterl. Sollt mal aaner kummen, stupfens s Scheinerl ab – und kaaner kann s Maul verreissen!»

Na also.

Man versteht nun, weshalb im Wiener Tram um die Entwertungsapparate immer so ein Gedränge herrscht. Jeder hat ein Not-Ticket. Keiner entwertet es. Und wenn dann doch mal einer kontrolliert … ran an den Schlitz!

Gut. Ich hocke jetzt da: von sechs «Kardinälen» geschwängert. Es waren Kardinalsschnitten der Vanille-Art. DA KOMMT JEDER AUF SÜSSE GELÜSTE.

Ich fahre in der Tram 71. Man nennt die Linie auch «Witwen-Express». Im 71er hocken nämlich meistens dunkel gekleidete Weiberl mit leicht welken Blumen in Zeitungspapier.

Sie steigen beim «Friedhof-Tor 2» aus – dort, wo Udo Jürgens’ Flügel aus Marmor steht. Und auf Falcos Grab ein elektronisches «Rock me Amadeus» die Eichhörnchen erschreckt.

Ich fahre nicht zum Witwentreffen – obschon ein Friedhofbesuch in Wien sich mitunter mehr lohnt als die «Bohème», die auch nach 60 Jahren immer noch auf die uralte Zeffirelli-Art den Geist und das hohe Cis aushaucht …

Also – ich bekomme beim Schottentor den Schwangeren-Platz. Strecke meine müden Beine mit den arg dicken Krampfadern von mir. Und dann muss ich doch tatsächlich hören: «Zeigens ihre Fahrscheinderl, bittschöön, die Chefitäten.»

ICH MEINE, ICH BEKOMME DEN HERZKASPER!

Das Entwertungsapparätchen ist viel zu weit weg. Im Übrigen herrscht dort jetzt Hochbetrieb. Jedes Ticket macht beim Einstupf «bimm… bimm». Deshalb: Bimmelbahn.

WIE ERSTARRT BLEIBE ICH AUF MEINEM EXTRA-SCHWANGERNSTUHL HOCKEN. AN DER FENSTERSCHEIBE SCHAUEN MICH ZWEI KLEBEFIGUREN – EIN BLINDER MANN MIT STOCK UND EINE FRAU MIT KINDERWAGEN – MISSBILLIGEND AN. AUCH S I E HÄTTEN RECHT AUF DEN SCHWANGERN-PLATZ GEHABT.

«Dorf y den Fahrschein sehn?», fragt der Mann in seiner Uniform.

Nun hat mir ja mein Römer Freund Max einiges übers Schwarzfahren beigebracht.

Nachdem er als Psychologe keine Stelle gefunden hatte, weil jede psychologische Unterstützung in der Ewigen Stadt so viel bewirkt, als würde man ins All furzen – weil Max also in seinem Beruf mit all den Diplomen, der Laurea und vielen besiegelten Papieren nicht gefragt war, wurde er Tramkontrolleur von Rom. Speziell ärgern ihn da die vielen dunkel gekleideten Nonnen, die durch den Schleier weg alle im wahrsten Sinne des Wortes schwarzfahren.

Ebendieser Freund hat mir dann verraten: «Du musst im Dialekt sprechen. Der Kontrolleur versteht kein Wort. Weil er sich vor den anderen Fahrgästen dann keine Blösse geben mag, sagt er so etwas wie ‹so wollen wir in Gottes Namen bei diesem Fremden mal ein Auge zudrücken›.»

ICH ALSO NICHT DUMM – ein grosser Fragezeichen-Blick.

Und aufgeregt dahinredend: «Z Basel an mym Rhyy, jo, dert mecht i sy…»

DER KONTROLLEUR STUTZT: «Wos homms gsogt?!»

«…weiht nit d Luft so mild und lau, und der Himmel isch so blau…»

«JA GUATS MANDERL, DEN TRICK KENN Y. REEDENS GFÄLLIGST ONSTÄNDIG. ASSIMILIERENS SICH IN UNSREM SCHÖNEN WIEN!»

Da kommt mir die nette, junge Schwangere zu Hilfe. Dies in perfektem Bühnendeutsch: «Sehen Sie nicht, dass mein Papilein im Schmerz gebrochen ist? Er fährt aufs Grab zur Mamma. Und da machen Sie so ein Theater. Schämen sollten Sie sich, Sie Staatsbüffel!»

Ich schaue sofort mit diesem herzzerbrechenden Hundeblick, als wäre mir die Wurst weggenommen worden. Dazu in jammerndem Moll: «…uff dr Basler Pfalz, allne Lütte gfallts…»

DIE LEUTE IN DER STRASSENBAHN SIND AUF MEINER SEITE.

SIE BELLEN AUF DEN KONTROLLEUR EIN.

Ein Sprachgemisch von Slowenisch, Ungarisch, Kroatisch und Österreichisch prasselt auf ihn nieder.

UND DANN SAGT ER SEUFZEND DIE VON MAX PROPHEZEITEN WORTE: «SO WOLLEN WIR IN GOTTES NAMEN BEI DIESEM FREMDEN MAL EIN AUGE ZUDRÜCKEN.»

Doch gehässig zischt er mir noch leise zu: «Y KENN DAS LIEDARL, DU FETTER BOSLER ORSCH – MAI ERSCHTE FRAU WOR AU SO EN SCHWAIZER DEPPENSCHÄDEL AUS BIEL-BÄNKEN!»

Aber das ist gar nicht das Thema, über das wir hier reden wollten. Sondern einfach über die Tatsache: Schwangere habens in Wien gut!

Dienstag, 10. April 2018