Von einer schielenden Amsel und Würstelständen

Illustration: Rebekka Heeb

Es schellt an meiner Tür.
Wenn die Wiener Glocke schellt, ist das, als würden 100.000 Morgestraich-Wecker synchron rasseln.
ICH WERFE MIR DEN MORGENROCK ÜBER. ER IST FLAUSCHIG. UND DAS KAM SO:
Eigentlich ist es ein ganz gewöhnlicher Morgenrock mit einem Eichhörnchen drauf, das sich ans Herz greift. Es zwinkert verliebt einem zwitschernden Ämselchen zu.
DARUNTER IN BLATTSTICH UND GRÜN- FÄDIG: «DAS WIRD EIN SCHÖNER TAG!»
Das Eichhörnchen hat aus Versehen drei Vorderschaufeln eingestickt bekommen. Und die Amsel schielt.
ALSO: 80 PROZENT AUF DEN VERKAUFS-PREIS!
Natürlich greife ich zu. Das Kleinod kostet kaum mehr als ein Stück Sachertorte. Allerdings ist es auch so hart und trocken.
UND EBEN DESHALB BIN ICH ZUM HERR POLTNER HIER UM DIE ECKE.
Herr Poltner führt einen Laden mit Sachen – ALSO DAS GLAUBT IHR NICHT!
Man bekommt bei ihm noch die goldgelbe Lockenspule, die sich von der Decke ringelt. Und an der dann keuchend die Fliegen kleben.
ES GIBT STREICHHÖLZER MIT SCHWEFELKÖPFCHEN DRAN – ICH HABE MICH HINGELEGT. UND VOR FREUDE GEHEULT!
Und er führt in einem Zuber auch Seifenflocken. ABER: «Däs hoby nur noch für mei Grossnichterl, s Trauderl… die mochts gern Saifenbloosen… und mit den Flocken und am Strohhalm geht's am schööönsten…»
Ich lege mich nochmals hin: «Ach, Herr Poltner… dass es so etwas, wie Sie noch gibt. Das ist die gute, alte Zeit… aber kommen wir zur Sache: Ich habe diesen wunderbaren Morgenrock am Theresien-Bazar gekauft. Sie sammeln für ein neues Altartuch.»
80 PROZENT RUNTERGESCHRIEBEN! UND ALLES WEGEN EINER SCHIELENDEN AMSEL!
Das Ganze kratzt aber wie eine Putzbürste…
«Jetzt, wos der Herr Doktor sogen – Putzbürsterln hobmer früher auch im Angebot ghobt. Bis dann der Blocher kummen ist…»
DER BLOCHER?
«Ja freilich – der hott doch olles umkrempelt. Jeder wullte die Böden nur noch blochern und net mehr mit der Hond und dem Bürstel fegen… ober denn saans die ersten Sponnteppig kummen. Und do wor oooch der Blocher wieder weg…»
Herr Poltner seufzt. «Dös isch die heutigä Zait… a Kummen und Gehn. Nur der Ischias blaabt…»
Herr Poltner ist wirklich reizend. Aber er hat etwas viel Geschwätz im Angebot. Und deshalb reduziere ich: «Dieser Morgenmantel sollte weichgespült werden. Haben Sie so etwas…»
Er verkauft mir ein Säckchen mit Pulver:
«DORIN WOSCHENS DÖS GSCHLAMP AUF HÖCHSTTEMPERATUR … DONN KOMMT ER SU WAICH RAUS WIE AN OPFELSTRUDEL…»
Ich wusch. Und er wurde wirklich wunderbar kuschelig – da ist nichts zu sagen.
Allerdings färbte das Stickgarn das Eichhörnchen grün – dafür schielt die Amsel jetzt nicht mehr. Ihre beiden Augen sind mirakulös in einem Grau verschwunden.
ALSO – ICH WOLLTE IHNEN DAS HIER NUR KURZ ERZÄHLEN, DAMIT SIE VERSTEHEN, WIE GEFUMMELT ICH DIE TÜRE AUFMACHTE – MIT EINEM GRÜNEN EICHHÖRNCHEN UND EINER GESICHTSLOSEN AMSEL AM HERZEN.
Vor mir stand Fräulein Henriette. Die Klavierlehrerin hatte vermutlich eine Wandersmannpause – denn in der Nachbarswohnung klimperte nichts. Und im Haus war es so wunderbar still wie in dieser Theresien-Kirche mit dem neuen Altar- Tuch, das bald kommen soll…
UND DAMIT WÄREN WIR WIEDER BEIM MORGENROCK.
Fräulein Henriettes Zähne klappten bei meinem Outfit runter wie ihr Klavierdeckel, wenn Feierabend ist. Dann saugte sie alles wieder fest. Wurde rosenrot. Und stammelte. «Y wollt nur froogen, ob S mit mir zem Würstelstand mitkummn… der Mohammed gibt heut ‹zwaa für aans›.»
Es geht Fräulein Henriette nicht ums Würstel. Das heisst: schon auch. Aber um m e i n e s. Denn Fact ist: Das klavierklimpernde Muatterl hat ein Auge auf den Schweizer Schlamperich geworfen. Und seit ich ihr offenbart habe, dass ich auch Piccolo könne, ist sie eh nicht mehr zu bremsen: «Do geeben wir a schööns Konzertl zammen…»
NA JA, SO UNGEFÄHR: WETTSTAIMARSCH (PICCOLO DOLCE) MIT KLEINEM WANDERSMANN (PIANO FORTE).
Fräulein Henriette will also an die Wurst.
Und das mit den Wiener Würstelständen ist eine alte Tradition. Man trifft sie hier überall. Im Angebot ist der Käsekrainer, eine Brühwurst mit sehr, sehr grob-rosigem Schweinefleisch und gelbstichigen Käsemocken drin. Dann hat es die Burenwurst – sehr fett, obwohl sie sagen, es sei reines Rind.
UND EBEN: DIE WIENERLI, DIE IN WIEN FRANKFURTER UND IN FRANKFURT WIENER WÜRSTCHEN HEISSEN.
Oh, verkehrt gewurstelte Welt!
Die ersten Wurststände sind nach dem Krieg in Wien noch gezogen worden – es waren fahrende Karren, auf denen aufgewärmte Suppen angeboten wurden. So konnten sich die Kriegs-Invaliden mit dem mobilen Geschäft über Wasser halten.
Den Würstelstand, wie ihn die Wiener so heiss lieben (weil er bis in alle Puppen den Grill dampfen lässt und man nach dem Theater dort noch etwas Warmes reinsülzen kann) – den fix-gemauerten Würstelstand also gibts erst seit 60 Jahren. Seither trifft man ihn allerdings überall. Die fettwolkenumnebelten Kioske machen einen Teil von Wien aus – doch selbst in Chinatown von Singapur steht dieses Wiener Wurstwunder. Erich Sollbeck führt dort «den letzten Wiener Würstelstand 137 Kilometer nördlich vom Äquator».
Und der einstige Opernsänger Thomas Dadecek ist für die Wiener seit etwa zehn Jahren mit seinem Luxus-Würstelstand beim Schwedenplatz der Knüller: Zum Käsekrainer lässt man sich Kaviar schmecken. Und spült mit Moët & Chandon. Credo: «Wir wollen Fast Food nicht den Kebab-Buden überlassen.»
Allerdings: ES SIND KAUM MEHR WIENER, WELCHE HINTER DEN RICHTIGEN WÜRSTELBUDEN STEHEN.
Heute drehen da Chinesen, Araber und Türken den Käsekrainer. Überdies ist das Angebot auf Falafel, Sushi und «hausgemachte China-Noodles» erweitert worden. Alles chinesisch frittiert und japanisch sushisiert. Wie auch in Rom ist jedoch jeder Japaner ein umgebauter Chinese.
DESHALB KANN ICH RUHIGEN HERZENS AUF MEINEN VERFÄRBTEN MORGENROCK ZEIGEN UND FRÄULEIN HENRIETTE ABWIMMELN:
«So lieb von Ihnen. Aber heute ist mir nach einem gemütlichen ‹Tatort›-Abend. Und Kaiserschmarrn…»
«DEN MOCHY BSUNDERS GUAT!», strahlt sie.
Manchmal ist das FräManchmal ist das Fräulein so schwerverdaulich
wie diese Käsekrainer hier …ulein so schwerverdaulich wie diese Käsekrainer hier…

Dienstag, 3. April 2018