Von Wahrsagerinnen und Facebook-Freunden

Illustration: Rebekka Heeb

Die Anzeige kam mit drei Glücksschweinchen.

KLAR. JEDER WILL SCHWEIN. JEDER WILL GLÜCK.

Deshalb habe ich die Sache auch neugierig gelesen: «DEM JUNI-GEBORENEN WINKT SCHWEIN UND GLÜCK!»

Ich hätte schon damals merken müssen, dass die Sache faul ist. HAT EINER SCHON MAL EINE SAU WINKEN SEHEN? Na also.

Und grammatikalisch war alles auch falsch gebündelt: Denn es sollte WINKEN heissen. Nicht winkt. Es WINKEN ja zwei: SAU u n d GLÜCK. IM PLURAL.

Ich sage das Klugscheisserische nur, um zu sagen, dass keiner sagen kann, ich sei unwissend.

UNWISSEND NICHT. ABER SAUDUMM.

Denn obwohl ich auf Facebook die ganze No-Billag-Scheisse, das Gesülze der Befürworter und die Giganten-Propaganda der Gegner einfach ignoriert habe – und obwohl ich in diesem Forum auch keine Kätzchen-Bilder kommentiere oder Merkel-Witze «I like» finde – AUF SAU UND SCHWEIN BIN ICH ABGEFAHREN WIE DIE RAKETE AUF DEN MARS.

Kommt dazu, dass es mein Facebook-Freund «Norbert» auch getan hat. Ich kenne Norbert nicht. Aber wir sind befreundet. Er hat mir einen Antrag gemacht. Und ich habe «Ja» gesagt. Zum Dank schickt Norbert mir jetzt einen Link, in dem er mir mitteilt, dass die liebe Agnes ihm die Karten gelegt hat – etwa so: «ABER HALLO – DA IST DIE POST AB! AGNES HAT MIR EINEN DIREKTIONSPOSTEN FÜRS 2019 SOWIE EINE DRITTE FREUNDIN PROPHEZEIT. Was sagst du jetzt?»

Ich will keine dritte Freundin. Und mein «Hausfrauen-Job» genügt mir vollkommen. Dennoch war ich natürlich gwundrig, welche Karten Agnes m i r legen würde.

JEDER WLL NÄMLICH EINEN BLICK IN DIE ZUKUNFT WERFEN. DAS IST NICHT DOOF. SONDERN URALT. SCHON DIE GRIECHEN GINGEN ZUM ORAKEL. UND DA AGNES JETZT SCHON MAL DA IST – EBEN!

Man musste also auf Facebook lediglich ihr Werbefenster hochladen. Ein paar harmlose Daten wie Geburt, Wohnort und Hobby angeben. Dann Mausklick auf «WEITER».

Sphärische Musik ertönt: DAS BIMMELN VON FROHEN ZIMBELN. Und eine fette Schlagzeile: «Minnu – ein unerwartetes Glück erwartet dich!»

Na dann wollen wir mal nicht so kleinlich sein und über das zweite «n» im Namen hinwegsehen.

Ich muss sagen: Agnes hat sich Mühe gegeben. Sie hat mich besser durchleuchtet als die russische Spionage Frau Merkel per Telefon. Agnes sah in Minnu ein sinnliches, harmoniesüchtiges, kostbares Wesen, das immer für seine Menschen da ist.

ICH MEINE: D A S IST HELLSICHT! DAS WERDE ICH GLEICH MAL DEM KLEINEN STINKER DAHEIM UNTER DIE NASE REIBEN …

Agnes sah in mir die Güte, die aber leider hin und wieder ausgenutzt werde.

UND DA HAT SIE JA SO WAS VON RECHT!

Mein Vetter Thommy, der Fitte, wie ihr alle wisst – der besttrainierte Arsch dieser Stadt also, hat mir zwischen einer Käseschnitte und drei Portionen Vanillecrème mit Sprayrahm vorgekaut: «Musch … morgen Auto haben … sch nehm deinen Kübel …»

JA SOLL ICH DA NEIN SAGEN? ICH BIN NUN MAL DIE GÜTE SELBER, WIE AGNES RICHTIG GESEHEN HAT.

Wie hätte ich ahnen können, dass dieser Scheisskerl nicht einfach nur Mineralwasser im Supercenter holt und dieses trotz dreistündigem Gewichtestemmen täglich nicht tragen kann, sondern bequem im Kofferraum transportieren will. Also gebe ich Grünlicht. Und: «Bring mir eine Cola light!»

WAS ABER PASSIERT?

DER MUSKELHÄMMERER HAT SICH MIT IRGENDEINER SEINER STRAMPELTUSSEN NACH HAMBURG AUF UND DAVON GEMACHT. DIES FÜR SIEBEN TAGE.

Und hat er mir drei Flaschen Cola light mitgebracht? – EINEN SCHEISSDRECK HAT ER. HAT ER NÄMLICH NICHT. Und eben das hat Frau Agnes genau in ihren Tarot-Karten sehen können.

FRAU AGNES WÜSSTE NOCH EINIGES MEHR – ABER DAFÜR MÜSSTE ICH SIE ANRUFEN. UND DAS KOSTET DANN 2.50 FRANKEN DIE MINUTE. VON DER STEUER NICHT ABZIEHBAR …

Ja, bin ich blöd? Bin ich nicht. Deshalb: VERSCHIEBEN DER MINNU-ANALYSE IN DEN PAPIERKORB!

Es vergehen drei Tage. Da meldet sich Simone. Per Mail. Stufe d r i n g e n d: «Ich bin eine Kollegin von Agnes. Sie bat mich, für dich drei Patchouli-Räucherstäbchen anzuzünden. Und die Tarot-Karten zu legen.»

Auch Simone sieht sofort, dass ich ein äusserst wertvoller Mensch bin: «ABER MINNU – SEI VORSICHTIG MIT DEN MENSCHEN, DIE DIR NAHESTEHEN. SIE WISSEN DEINE LIEBE NICHT ZU SCHÄTZEN!»

M e i n e Worte: ALLES BLUTSAUGER!

Mehr brauche ich hier nicht zu wissen. SO ETWAS WEISS ICH SCHON LANGE. Und für Ähnliches gebe ich sicher nicht 2.50 Franken inklusive Mehrwertsteuer pro Minute aus.

OBWOHL – EINES MUSS MAN DER KARTENLEGERIN LASSEN: SIE KENNT IN IHRER BERUFUNG KEINE LADENSCHLUSSZEITEN: «Du kannst mich jederzeit anrufen – egal ob früh oder spät!»

ALSO DARAN KÖNNTE SICH DIE GEWERKSCHAFT GERNE MAL EIN BEISPIEL NEHMEN!

Nur fünf Stunden später meldet sich Lucia auf meiner Mailadresse:

Betreff: MINNU – ES BLEIBT NICHT VIEL ZEIT!

Zuerst möchte Lucia eine Sache klarstellen:

«Mein Name ist Lucia und ich bin von Geburt Hellseherin. Ich darf dir jetzt sagen: DER MOMENT, AUF DEN DU SO LANGE GEWARTET HAST, IST ENDLICH GEKOMMEN!»

O Gott – der Hausgang wird doch noch gestrichen! Die Maler kommen nach neun Wochen Wartezeit und Vertröstungen. SO EIN GLÜCK!

Lucia verspricht mir: «Ich kann dich durch diese unerwartete Situation führen. Mit meiner Hilfe kannst du das Beste aus der grossen Chance herausholen und …»

FREUDENJUBEL!

VIELLEICHT MALEN SIE DAS BAD JA AUCH GLEICH NOCH MIT? SOLL ICH LUCIA ANRUFEN – für 2.50 Franken pro Minute und inklusive?

Ich sollte nicht!

Deshalb drängte Elisabeth, die persönliche Assistentin von Romy, in einer DRINGEND-Mail: «IM MAI WIRD DIE LIEBE VOR DEINER TÜR STEHEN. MELDE DICH!»

Ehrlich – mir wären die Maler im März lieber. UND ÜBERDIES HERRSCHT DRAUSSEN WIEDER TIEFER WINTER.

FRAU ELISABETH HAT SICH GEIRRT: KEIN MAI IN SICHT.

P.S.: NACH DREI STRÄUSSCHEN PATCHOULI RIET MIR MEIN PERSÖNLICHES KARMA: STREICHE NORBERT AUS DEINER FACEBOOK-LISTE.

O. k. Getan.

Und sorry, Norbert – auch wenn wir einander nie persönlich begegnet sind.

Dienstag, 20. März 2018