Von klirrender Kälte in Wien und «Frittatensuppe»

Illustration: Rebekka Heeb

Die Eiszapfen flimmern in der Sonne.

Sie funkeln, als wären es glitzernde Säbeltiger-Zähne aus der Kristallwelt der Swarovskis.

Nun gut – sonnig ist es.

ABER ARSCHKALT.

UND ICH ZÜNDE MIR MEINE LETZTE ZIGARRE AN. DENN IM HAUS HERRSCHT RAUCHVERBOT!

«Mer saan zwar in Österreich, aber rauchen könnens hier trotzdem net», kennt der gute Hausmeister nichts. Er lässt im Hof die Ratten Cha-Cha-Cha tanzen.

«…Ober, bitte, gell Se paffens net… des Appartamäng hobens frisch gstrichen… eierschoolig… für den Herrn Doktor…»

DER HERR DOKTOR BIN ICH.

Und Otakar Wanzel ist mein Wohnungsvermieter. Er schlurbt gerne mit einem Besen herum. Stöhnt viel. Hat aber nichts zu sagen.

Das Regiment führt Jana, seine ungarische Bissig-Seite.

«DÖS WEIBSBILD WOR DOCH NET ANDERS NET OLS A VERSAUTS SCHLOMPENWAIB OM TRESEN VOM SCHWEIZER BIERGORTEN IM PRATER …», hat mir Fräulein Henriette im letzten Herbst zugewispert. Und sie wolle damit nichts gegen die Schweiz gesagt haben.

NUN GUT – GEGEN DIE ALTE WANZEL HAT SIES ABER MIT HOCHGENUSS RAUSGELASSEN!

Fräulein Henriette lebt Hochparterre. Sie ist Klavierlehrerin. Und paukt ihren kleinen Schülern «Auf, du junger Wandersmann!» in die talentlosen Finger.

DIE WANDERSMÄNNER WANDERN VON MORGENS UM ZEHN BIS ABENDS UM ACHT UHR! PAUSENLOS.

Auch wenn ihnen der Arsch zufriert wie jetzt.

Fräulein Henriette kennt in ihrem ungeheizten Klavierzimmer kein Erbarmen: «Auf, du junger Wandersmann … und zwei, drei!»

KLIMPERTIKLIMPERTI …!

«Y hoff, die Musik stört en net…?», hat Fräulein Henriette rein theoretisch noch ein Fragezeichen zur Feststellung hinzugefügt, «Se saans jo auch e gebüldets Monnsbild! Und in Wien gehört Musik zer hohen Büldung…»

Gut.

Doch bestimmt nicht der junge Wandersmann, den es alle zwei Takte flach hinlegt…!

Natürlich sage nichts. Ich bin ja Gast in diesem Land. Schweige. Lächle. Assimiliere. Und kleistere mir diese dicke Schicht von Buttercreme um mein schreiendes Herz, um jeden Anfall von Zorn in Kalorien zu ersticken.

SO AUCH JETZT:

«Lieber Herr Otakar … IN DIESER WOHNUNG IST ES SO EISIG WIE AUF DEM HIMMALAJA …KÖNNTEN WIR DIE HEIZUNG EIN QUÄNTCHEN MEHR AUFDREHEN!»

Otakar beseelt seufzend vor meiner Türe. Er wischt an Ort. Seine Worte sind längst eingefroren.

Umso hitziger bellt jetzt seine Jana (DER VERSAUTE EX-TRESENSCHLAMPEN, so man Fräulein Henriette glauben mag): «JA SIND WIR HIER IM ‹RITZ›?! KAUF ÄR SICH DOCH LONGE UNTERWÄSCH, DER HÄRR…»

Immerhin: H e r r! Das ging wie Honig runter. Ansonsten aber tun wir es uns schwer mit diesem slawischen Unterton, der ganz Wien beherrscht. Jeder zweite Wiener – so weiss es Fräulein Henriette, schnallt sich so etwas «Blondgefärbtes aus dem Vorhof des Balkans» an.

DIESE FRAUEN HABEN ES EINFACH DRAUF!

KEIN «ME TOO»-GESCHREI. AUFGESPRITZTE LIPPEN WIE KARPFEN-MÄULER. UND IMMER EINE LAGE «GUMMI» IM KÖRBCHEN…

Verständlich also: Die Wiener denken, diese nahöstlichen Vollblutweiber seien wunderbar flachzulegen.

ALSO LEGEN SIE FRÖHLICH LOS. Und stehen dann ohne zu wissen wie und weshalb vor dem Traualtar.

«WILLST DU, OH OTAKAR…?»

«Ich will!» – das war das Letzte, was man von Otakar Franzl je gehört hat.

Seit jenem feierlichen Augenblick in der Barmherzigkeitskirche des 9. Bezirk hat Jana das Zepter samt Dialogkultur an der Pichlergasse übernommen …

«DER OTAKAR WOR SO A HERZENSGUATS MANNSBILD …», hat mir Fräulein Henriette versichert. Sie war an der Trauung und anschliessend im «Beissel» bei der Frittaten-Suppe und der Kardinals-Torte dabei gewesen.

Das Klavier-Fräulein kennt Otakar noch von ganz früher und hat schon an dessen erster Trauung die Frittaten-Suppe gelöffelt: «Des war, als er Huldegard gheiratet hott.

Huldegard met -u-. Darauf hott das Weiberl wertglegt. Huldegard wors nämlich ka Schlampen, sondern e vornehme Person. Deshalb das -u-…» Die Ehe von Otakar blieb kinder-, aber (wenn man Fräulein Henriette glauben mag) nicht glanzlos. Huldegard spekulierte in den fetten 80ern wild herum.

Kaufte Wohnungen auf. Restaurierte sie. Und verkaufte sie mit Gewinn weiter.

So kamen die beiden zu einem ganz hübschen Vermögen und konnten es sich gutgehen lassen.

Doch dann passierte die Sache mit der Droschke. Es war beim Museums-Quartier. Huldegard mit -u- war pressiert. Zu Hause wartete ein neuer Mieter auf den Schlüssel. Und sie wollte nur noch eins: so rasch als möglich auf die Ringbahn bis zum Schottentor.

Also: Huldegard jagt wie der Teufel über die Strasse. Und da kommt ein Fiakerl von links. AUSGERECHNET MIT V I E R PFERDEN.

Die Rösslein in Wien haben noch zünftig einen drauf. Sie werden nicht alle fünf Minuten Cortège-geprüft. Sondern sie rösseln einfach drauflos. Ganz natürlich. Und immer mit einem charmanten Lächeln um die Nüstern.

DIESE KUTSCHE HIER WAR FÜR EINE HOCHZEIT GEBUCHT – ABER DAMIT WURDE JETZT NICHTS! Denn Huldegard kam unter die beiden Vorderpferde. Und war auch schon weg.(Da hatte ihr das vornehme -u- dann auch nichts mehr gebracht.)

DIE DAHINGALOPPIERTE HINTERLIESS DER WELT IHREN OTAKAR. UND DIESEM ZEHN RENOVIERTE WOHNUNGEN.

Ist ja auch nicht nichts.

Der Witwer soll jedenfalls nach der Trauerfeier (wieder Frittatensuppe!) – SO ERZÄHLT ES FRÄULEIN HENRIETTE – für einen kurzen Moment aufgeblüht sein, wie die Tulpe in zu viel Vasenwasser.

Doch dann, als Otakar noch immer die schwarze Trauerbinde trug, lechzte der längst totgeglaubte Docht in ihm nach Feuer … es kam so etwas wie Fleischeslust über den Witwer. So war es ein kleiner Weg zum Tresenschlampen aus Ungarn-Nord und der zweiten «viel zu stark gesalzenen Frittatensuppe!» (Quelle: Fräulein Henriette).

Das Resultat: Ich schleppe meine 20 Koffer und Hutschachteln in eine Wohnung, über deren rissiges Parkett ein weisser Reif liegt.

Die Fenster scheinen in Jugendstil-Manier wunderbar ziseliert. Aber es sind gewöhnliche Fabrikscheiben, mit Eisblumen behangen.

NA BINGO!

«Gibts kein Elektro-Öfelchen…», mache ich beim stummen Otakar einen Versuch.

Der stützt sich auf den Besen. Und schaut mich so verwirrt an wie Mieze Lumpi, wen ich ihr statt einer Büchse Ölsardinen ein Schälchen mit Bio-Müesli vorsetze. «Öfelchen» ist hier ein Unwort.

«Ist morgen schääänes, wormes Wetter…», übernimmt Frau Jana aus Ungarn wieder das Steuer.

«GEHÄNN TIEF UNTER BÄTTDÄCKE…!», zwinkert sie mir nun zu, «UND NIX OLLEIN… SUCHÄÄN SCHEENES , HAISSES BUSENWEIB AUS UNGAAARN… MOCHEN KOLTES WOHNUNG ZU FEIRIGES HÖLLENLOCH…»

Aber hallo – hat diese dumme Kuh meine Hutschachteln nicht gesehen!

SEHE ICH ETWA NACH «FEIRIGES HÖLLENLOCH» AUS?

«Ich koch fesches Monnsbild mit Fraid a pfefferts Frittatensupperl…», kichert sie nun.

SO KOMMT ES, DASS ICH AM KÄLTESTEN TAG, DEN WIEN SEIT 86 JAHREN ERLEBT HAT, UNTER EINER DÜNNEN KUNSTPELZ-DECKE ZITTERE. UND DARAUF WARTE, DASS MIR FRAU JANA AUS UNGARN-NORD DAS SÜPPCHEN LÖFFELT.

Dazu stolpert unermüdlich «Auf, auf der junge Wandersmann!» durch die Nachbarswohnung.

Immer wieder fällt er hin.

Vermutlich ist das Parkett gefroren.

ES KLINGELT. DER TRESENSCHLAMPEN AUS UNGARN-NORD STEHT VOR DER TÜRE. DAMPFEND. MIT FRITTATEN.

Im Haus ist es nun still.

Es scheint, dass der «junge Wandersmann» angekommen und das Auge von Fräulein Henriette am Schlüsselloch ist…

Dienstag, 13. März 2018