Vom Frust, wenn das Handy weg ist

Illustration: Rebekka Heeb

Handy weg!

NA BINGO!

Da können sie dir auch gleich die Ganglien wegpusten.

OHNE HANDY BIST DU WIE IM LUFTLEEREN RAUM.

Schwebend. Nicht mehr auf dieser Welt. Und mit der erschreckenden Erkenntnis: «KEINE SAU RUFT DICH AN!»

Also – alles kam so.

Klärchen meldete sich. Klärchen kommt aus Schaffhausen. Und ist eine wunderbare Freundin.

Ich habe sie an einem Vorsingen in Zürich kennengelernt. Klärchens Sopran war einmalig. Ihre Koloratur kletterte zum Mond.

Und natürlich gewann das blutjunge Klärchen den Gesangswettbewerb. Sie bekam einen Freibrief für eine Masterclass bei Frau Gruberova. Dazu einen neuen Namen: Clara del Monte im Austausch zu Klärchen Berger.

ALS KLÄRCHEN BERGER ROCKT MAN KEINE OPERNHÄUSER.

Na gut – für mich blieb sie Klärchen. Wir sahen uns nur noch selten. Ihre Koloraturtöne waren gefragt. Sie meistert «Lakmés» Glöckchen-Töne so sicher wie ein Wecker. Und ihre «Rache»-Arie: rein wie Walser Wasser. Selbst beim hohen Ypsilon.

Klärchen also jagt heute von Opernhaus zu Opernhaus – einmal singt sie die Königin im Taucheranzug. Dann wieder am Trapez.

DIE HEUTIGEN REGISSEURE FORDEN IHRE PRIMADONNEN. Sie müssen nicht nur tonrein sein. Die armen Frauen müssen auch den Feldaufzug meistern.

Es gibt Zeiten, da wäre Clara del Monte lieber wieder das alte Klärchen Berger. ABER MAN KANN EINEN FAHRENDEN ZUG NICHT EINFACH STOPPEN.

Jetzt ist sie also am Telefon auf meinem Handy. Damals hatte ich es ja noch – es war die sogenannte X-Version. Das Neuste vom Neuen.

Weil ich bei Swisscom ein guter, treuer Kunde bin, hat man es mir für die Hälfte des Preises angeboten – also halb geschenkt. Obwohl ich mit dem Halb-Preis noch immer Ferien in der Karibik hätte buchen können.

«Hallo – mein kleiner Fresssack!»

«Gioia mia!» – seit Klärchen auf italienisch mutiert hat, versuche ich es bei ihr in italienischer Sprache. Umsonst.

Sie kann nur: «Va fa in culo», das ihr die Bühnenarbeiter der Scala beigebracht haben.

«Ich bin für eine Nacht in Zürich und fliege morgen Mittag an die Met. Ich springe als Lucia ein… und ich möchte dich sehen!»

ALSO BITTE – DA KÖNNEN DIE SCHNITZELBÄNGGLER NOCH SO LANGE SCHWUCHTELN VERSPOTTEN – DIE FRAUENWELT SCHREIT NACH UNS!

Ich nichts wie in den Intercity. Und ab in die graue Stadt am noch graueren See.

Vorher: zwei Schachteln Whiskystengeli vom Quartierbäcker Krebs! Ich kenne doch mein singendes Zwitschermaul; es liebt die Schokoladenfüllung!

Klärchen sitzt in diesem wunderbaren Café mit den üppig dekorierten Geburtstags-Gugelhöpfen am Bellevue.

UMARMUNG. UMARMUNG.

Dann tratschen wir los. Drei Sahnetörtchen, ein Teller mit Mignardises und vier heisse Schokoladen gehen drauf. Ich erfahre, wie schrecklich Mundgeruch bei Tenören sein kann. Und dass man in Buenos Aires die «Lakmé»-Arie für ihre Rivalin, diese Schlampe, drei Töne runtertransponiert hat.

Kurz: Klärchen aus Schaffhausen ist in der ganz grossen Welt der Oper angekommen – HAST DU TÖNE?!

Ein wunderschöner Mann in dunklem Anzug und mit noch dunklerem Bartschatten auf den pausigen Backen taucht auf.

«Alles klar, Iwan?»

Er schüttelt energisch den Kopf. Seine gelackte Igelfrisur bleibt dennoch stramm und starr, wie die Soldaten bei einer Trump-Parade: «Sie haben für morgen eine Stellprobe angesagt – das schaffen wir nicht.»

«Wir schaffen alles – ALLES», lässt Klärchen den Sopran sprudeln.

Dann wieder: UMARMUNG. UMARMUNG.

Und: «Es war so schön, mit dir zu plaudern, Fresssack!»

Ich drücke sie. Und: «Ich würde dich so gerne als Lucia an der Met sehen! Aber ich komme erst, wenn der Präsident des Landes gewechselt hat.»

Sie packt den Sack mit den Schokoladen. Ich möchte auch noch Herrn Iwan drücken. Aber der kratzt mich von seinem Anzug weg, als wäre ich Taubenscheisse.

Schon sind beide draussen in diesem Grau, wo demnächst ein explodierender Wattemann ein bisschen frühlingshaftere Farben ankündigen wird.

Da wir schon mal in Zürich sind: Niederdorfspaziergang… Shopping an der Bahnhofstrasse (1 mal 1 Wegwerf-Feuerzeug)… Kaffeebesuch bei «Teuscher» (2 Stückchen von der Cremetorte und ein wundervoll verpacktes Schokoplätzchen zum Preis eines Mondflugs).

Am Nebentisch sitzen zwei Mexikaner. Sie sind ein bisschen klein – aber gross im Charmieren. Die zwei wollen wissen, wo man hier Rolex-Uhren am preiswertesten kauft.

Ich bitte sie an den Tisch. Spendiere eine «latte macchiato». Dann müssen sie aber schnell wieder gehen. Und ich auch.

IM ZUG MERKE ICH ES: MEIN HANDY IST WEG.

Im ersten Reflex will ich mich bei Innocent ausweinen. ABER KÖNNEN VOR LACHEN. DA IST JA KEIN HANDTELEFON MEHR.

Innocents direkte Nummer wüsste ich eh nicht. Sie ist neu. UND ICH HABE SIE IM GEKLAUTEN HANDY GESPEICHERT.

Die einzige Nummer, die ich auswendig kann, ist diejenige ins Claraspital, als mein lieber Vater darniederlag. Und ich ihn täglich 23-mal anrufen musste.

JETZT WEINE ICH STILL VOR MICH HIN. UND DENKE AN ALL DIE SCHÖNEN GESPEICHERTEN ADRESSEN, BILDER, NACHRICHTEN – ALLES WEG!

Man hat mir mein Leben gestohlen.

Zu Hause erwarten mich keine sanften Streicheleinheiten. Sondern das gestöhnte: «GOTT, BIST DU EIN BLÖDEI!»

Am folgenden Morgen jage ich sofort zu diesem kleinen Geschäft, das sich «mobile zone» nennt.

DIE SIND JA SO WAS VON GOLDIG.

Ich trete ein. Und ich sehe es an ihren Gesichtern: «ACH JERUM – HAT WIEDER SO EINE ALTE LUSCHE IHR HANDY MALTRÄTIERT!»

Aber sie bauen eine neue SIM-Karte in das alte Handy. Dann lächeln sie: «Jetzt holen wir alle Ihre Daten aus dem All; Sie haben doch iCloud?»

ICH HABE BLUTHOCHDRUCK. Mehr weiss ich nicht.

Und dann ist alles wie früher – die alten Nummern. Die alten Fotos. Die alten Adressen. Die alten Pornos. – ALLES WIEDER DA!

ICH KÖNNTE DIE MÄNNER UND IHRE WOLKEN IM ALL ABKNUTSCHEN! Aber das wollen sie nicht. Also spendiere ich einen Kaffee.

Zu Hause dann Innocent: «Klärchen hat angerufen; es ist dringend!»

Ihre Koloraturtöne trällern durch die Stellproben an der Met: «Dickerchen – im Flugzeug habe ich mich nicht zurückhalten können. Und deine herrlichen Whiskystengeli ausgepackt. Aber was flutscht mir noch entgegen?»

Immerhin – mein Handy hat Klärchen jetzt als Lucia gesehen. Und dies, noch bevor der Präsident gewechselt hat.

Dienstag, 6. März 2018