Von der tropfenden Decke und Pinggeli ohne Hose

Illustration: Rebekka Heeb

Es tropft.
«Dlagg … dlagg … dlagg. NERVEND!

Meine feinen Ohren hören so etwas.

Nicht so die verhaarten Lauscher von Innocent. Die stellen sich nur noch beim «Blobbb!» von herausgezogenen Weinkorken.

«ES TROPFT!», ich rufe es in den oberen Stock.

Der Herr hockt auf einer dieser Folter-Apparaturen. Und spult fünf Fitness-Kilometer runter.

WOZU TRAINIERT ER HIER BEWEGLICHKEIT? – DER GESCHIRRSPÜLER IST NOCH PROPPENVOLL. DAS WÄREN DOCH PRAKTISCHE ÜBUNGEN: BÜCKEN … TELLER HEBEN … STRECKEN … TELLER OBEN EINRÄUMEN!

Aber nein. Er strampelt sinnlos auf einem Stahlgaul.

«EEEEESSS TROOOOPFT?!»

Das Stahlpferd spult nun leer. Und die Stimme quäkt: «WEEER KLOPFT?»

Es gibt Menschen, die verdienen sich den Himmel auf Erden. Ich bleibe ruhig. Atme durch. Hechle wie vor der Grossgeburt. Und brülle dann ganz ruhig nach oben: «Es tropft im Baaad … der Boden ist schon ganz nass. Und die Decke hat gelbe Monde!»

Nun Geschlurfe. Dann das zischelnde Gemecker: «Nie hat man seine Ruhe … macht er nur, um mich zu ärgern … es gibt Menschen, die verdienen sich den Himmel auf Erden …»

Okay. DIE MENSCHEN HABEN RECHT.

WIR ÄHNELN UNS JEDEN TAG MEHR.

AUCH IN UNSERN GEDANKEN.

Innocent steht nun im Badezimmer. Schaut zur Decke. Dann zu mir: «Es tropft!»

Ich zähle stumm auf 99.

Er: «Das ist dein Vetter, diese Wassersau. Der hat das Badewasser wieder nicht abgestellt … das kommt davon, wenn man sich mit Kopfhörern und Mick Jagger im Seifenschaum suhlt …»

Ich jage in den oberen Stock: «Thooomas …»

Keine Antwort.

Ich schaue in den Hof. Sein Velo ist weg. ER WIRD DOCH NICHT MIT LAUFENDEM BADEWASSER ABGEHAUEN SEIN?»

Ich suche in unserem Schlüsselsalat denjenigen zu seiner Wohnung. Jage wieder rauf. Aber in seinem Badezimmer ist es still wie in der Obduktionshalle vom «Tatort»-Fräulein Alberich.

«Es muss eine Leitung sein», sage ich zu Innocent, «ruf einen Spengler an!»

Fünf Minuten später bellt er in den Hörer: «Was heisst erst am Mittag – unsere Wohnung ist ein Aquarium … und Sie haben keine Zeit?! Lieber Herr, wie stellen Sie sich das denn vor!» Verärgert knallt er das Haustelefon auf den Tisch. Und kritzelt daneben auf einen Block: «Spengler – Telefon. Fr. 1.10.»

Jetzt macht er eine schlaue Miene. Und funkelt: «Schreib alles auf, was wir ausgeben, das blecht die Versicherung. WOFÜR BEZAHLEN WIR SEIT EINEM HALBEN JAHRHUNDERT PRÄMIEN!»

Schon ist er wieder am Hörer: «Ist hier die IMMERDA? Hören Sie, ich muss einen Wasserschaden melden. Das Badezimmer ist ein Schwimmbad und ich habe eben den Spengler alarmiert. Ja … bitte … ABER DAS GIBTS DOCH NICHT?! DANN LÜPFEN SIE GEFÄLLIGST IHREN ARSCH HIERHER …»

Ein wütender Blick zu mir: «Wir dürfen den Spengler erst bestellen, wenn die Versicherung einen Augenschein genommen hat.»

Notiz auf dem Block: «Anruf Versicherung. Fr. 1.30 (verärgert).»

Zweite Notiz: «Spengler zurückgepfiffen – Fr. 1.10.»

Es passierte dann einfach gar nichts mehr. Langsam füllte sich das Badezimmer mit Wasser auf wie der Pool unserer Nachbarn, wenn Herr Müller während der Sommerferien das Plastik-Becken mit dem Schlauch volltankt.

Innocent bellte immer mal wieder ins Telefon. Der Notizblock war bereits bis auf drei Seiten gefüllt. Die Spesensumme belief sich jetzt auf satte Fr. 18.90.

DANN KAM HERR PINGGELI – Versicherungsmann der IMMERDA.

Herr Pinggeli zog das elegante Flanell-Beinkleid und die schwarzen Socken aus. Er schaute uns nun in Jockey-Unterhose strafend an: «Weshalb haben Sie das Wasser nicht weggeputzt?»

INNOCENT KNIPSTE MIT DEM HANDY HERUM. UND MACHTE SEIN SCHLAUMEIERGESICHT: «Sie haben gesagt, wir sollen alles so lassen, wie es ist, aber ich habe es hier dokumentiert.»

«MEIN GOTT!», stöhnte Herr Pinggeli von IMMERDA. Aber er schien keinen guten Draht nach oben zu haben. Denn als er mit unserem neuen Besen an die Gipsdecke klopfte, stürzte die ein. Und füllte das Klosett auf.

Innocent fauchte ihn stinkmuffig an: «SIE SIND JA EIN GANZ SCHLAUER – UND WO SOLLEN WIR JETZT, WENN WIR MÜSSEN …?!»

Herr Pinggeli zückte das Telefon aus seinem Veston – ein goldiger Anblick: unten die schlotternde Jockey-Unterhose mit nicht Vielversprechendem drin – oben: ein Veston mit Tupfenkrawatte. Und im Sack ein Handy, bei dem aber wie schon beim Inhalt der schlabbrigen Unterhose der Akku abgelaufen war.

«GIBTS HIER EIN TELEFON?!» – brüllte der IMMERDA-Schadeninspektor gereizt.

Und: «Rufen Sie verdammt noch mal einen Spengler an. Dann buchen Sie sich ein Pensionszimmer.»

Innocent war zufrieden. Er flüsterte: «So kommst du doch noch zu Basler Hotel-Ferien, Bummilein … überdies zu einem neuen Badezimmer mit Versace-Kacheln.»

Schliesslich rief er die Spenglerei an: «Sie können jetzt kommen!» – Dann notierte er: «Telefongespräch mit Spenglerei – Fr. 1.10.»

Er schob Herrn Pinggeli den Hörer zu: «Ins ‹Drei Könige› für eine Doppelsuite können Sie selber anrufen; ich berechne Ihnen für das Telefon auch keine Spesen.»

«SIE SPINNEN DOCH!», japste der.

Aber Innocent zeigte auf sein Handy und die Fotos darauf. Es waren keine Schadenbilder. Es war Herr Pinggeli in Jockey-Unterhose. Und mit abgelaufenem Akku.

«Unten ohne und adrett – stell ich Sie ins Internet», kalauerte mein lieber Freund.

SO GENIESSEN WIR JETZT DIE DOPPELSUITE ÜBER DEM RHEIN. UND SIND AN DEN BLÜHENDEN ZAHLEN DES HEIMISCHEN TOURISMUS MASSGEBLICH BETEILIGT.

Okay – es war zwar Erpressung. Aber ich hatte Pinggeli in der Unterwäsche auch schon auf dem Fotospeicher.

WIE GESAGT – IM ALTER WERDEN INNOCENT UND ICH EINANDER IMMER ÄHNLICHER …

Dienstag, 27. Februar 2018