Von den sterbenden Palmen und traurigen Herzen

Illustration: Rebekka Heeb

Die Palme stirbt. Alle Palmen sterben hier. ES BRICHT MIR DAS HERZ.

Als wir das Haus am Meer übernommen haben, waren da zwei grosse Palmen. Und eine kleine. Um ehrlich zu sein: Für mich war dies für den Hauskauf ausschlaggebend. Und nicht die Bausubstanz (die Innocent Zentimeter für Zentimeter abklopfte, benörgelte und mit jedem wackligen Stein den Preis runterzog).

Okay – natürlich war es auch wichtig, das Meer zu sehen. UND DIE KATZEN! DIE KATZEN HABEN MICH SOFORT AUF DAS HAUS HEISS GEMACHT.

Aber Innocent winkte ärgerlich ab: «Jetzt sei nicht so tuntig. KATZEN. PALMEN. DIE MERKEN DOCH SOFORT, DASS DU DIESE HÜTTE UM JEDEN PREIS HABEN WILLST. WIE SOLL ICH DA VERHANDELN KÖNNEN? GOTT, BIST DU BLÖD!»

Okay. Ich b i n blöd. Aber ich liebe Katzen. Und Palmen.

Dann Fortsetzung des Lamentos: «…im Übrigen ist die Palme kein Baum aus dieser Kulturgegend. Hier in der Toskana sind Zypressen und Pinien daheim. Vor allem aber OLIVENBÄUME. Es gibt in dieser Gegend keine Tausendundeine-Nacht-Romantik! Also mach mich wegen dieser paar grünen Wedel nicht verrückt.»

ES WAR GIANNI, DER DAS ENTSCHEIDENDE SAGTE: «Palmen brauchen kaum Pflege. Aber Olivenbäume sind intensiv im Unterhalt…»

«NA DANN…», knurrte Innocent.

Immer wenn ich ankomme, begrüsst mich als Erstes die kleine Palme, die nun in den letzten 20 Jahren gross gewachsen ist. Sie schwingt mir ihre Palmenblätter entgegen. Und ich fühle mich zu Hause – und weit weg von daheim … Wenn ich in Basel einfahre, ist es der BIZ-Turm, der mich willkommen heisst – in Adelboden der Wildstrubel. UND HIER IST ES EBEN DIE PALME.Auch auf die Gefahr hin, dass ihr mich für verrückt erklärt: Ich umarme sie. Ich könnte weinen vor Glück – ENDLICH WIEDER DA!

Und: «DAAAAAA… DAAAAA!», rauscht mir das Meer zur Begrüssung entgegen. (Es rauscht italienisch – deshalb: «Eeeeeeecomi… eeeeecomi!»)

Vor zwei Jahren habe ich es dann erstmals beobachtet: Die Palmenblätter hatten goldbraune Ränder. Und die verschiedenen Strünke, an denen die Bäume jeweils Datteln (allerdings nicht geniessbare) bildeten, waren kahl. Fruchtlos. Sie sahen aus wie die letzten Haarbüschel auf Onkel Jules’ Glatzkopf.

«Was ist mit den Palmen?», fragte ich Gianni.

Der Gärtner hat immer eine Ausrede. Wenn die Frauen im Haus sind, welche die Wäsche bügeln oder Pasta kneten, taucht er ab der ersten Stunde auf: «Ich muss schauen, ob die Wasserpumpen funktionieren.» Er hält uns für blöd. Die Wasserpumpen funktionieren nie. ES GEHT GIANNI EINZIG UND ALLEINE UM SEIN TESTOSTERON UND DIE WEIBER. Alles andere ist pures Ausrede-Gefasel.

BEI DEN PALMEN NUSCHELT ER ENTSPRECHEND: «DAS GIBT SICH WIEDER… AUCH PALMEN STECKEN IN DER ABÄNDERUNG.»

Gianni ist zwar ein grosser Hecht im Frauenteich – aber er hat nicht unbedingt das Händchen fürs Grüne. Deshalb lasse ich aus Grosseto einen Fachmann kommen. Und der runzelt die Stirn: «Die sind krank, Signore, die typische Palmenkrankheit. Haben Sie Schlangen im Stamm und auf den Wedeln beobachtet?»

ACH GOTTCHEN – DIE SCHLANGEN HIER!

Natürlich sind sie der Schrecken aller unserer Gäste. Manchmal sind sie gut drei Meter lang. Einmal ist eine aus den obersten Ästen direkt vor die Füsse von Liesel gefallen. GOTT, HAT DIE DUMME GANS GESCHRIEN. Dabei sind die Tiere nicht giftig. Sondern sie holen sich Palmen-Ratten oder Eier aus den Vogelnestern. Manchmal übernehmen sie sich eben. Und fallen dann runter.

LIESEL FIEL AUCH – IN OHNMACHT. SIE PACKTE NOCH AM SELBEN TAG DIE KOFFER. Ich habe die Schlange heiliggesprochen.

UND DESHALB: «JA KLAR, SCHLÄNGELT DA MITUNTER SO EIN ARMES TIER HOCH, UM SICH ZU VERGNÜGEN ODER EINEN HAPPEN ZU HOLEN, ABER…»

«Eben», nickt der Fachmann. «Die Schlangen schleppen die Biester an. Es sind kinderfingergrosse Maden. Und die fressen sich durch den Stamm. Wenn sie genau lauschen, können sie die Biester nagen hören.»

ICH LAUSCHTE, HÖRTE NICHTS. UND LIESS MIR DENNOCH 150 LITER TEURE MEDIZIN AUFSCHWATZEN.

«Signore Gianni muss einen Turm um die Bäume bauen. Dann muss er ganz oben pro Palme 50 Liter von der Tinktur eingeben. Tröpfchenweise. Nicht alles auf einmal.»

«DAS KOSTET UNS HUNDERT GÄRTNERSTUNDEN», jaulte Innocent auf.

Er ist zwar auf sein Schambecken gefallen – aber nicht auf den Kopf. Und deshalb: «Dann müssen die Bäume eben sterben – das müssen wir schliesslich alle auch einmal.»

DAS IST DIE TESTAMENTARISCHE BACKSTUBEN-PHILOSOPHIE DES EINFACHEN JURISTEN.

Na ja – jedenfalls habe ich ein derartiges Drama losgelassen, dass die Türme um die Palmen gebaut wurden. Und Gianni hundert Stunden lang mit der Pipette das Innenleben der Bäume mit dieser seltsamen Tinktur beträufelte.

SPÄTER HAT ER IM DORF HERUMERZÄHLT, DIE MADEN, DIE DA IN PANIK HERVORGEKROCHEN SEIEN, HÄTTEN DEN UMFANG EINES KINDERARMS GEHABT. UND IHN MIT IHREN GIFTZÄHNEN ANGEGRIFFEN …

Jedenfalls: Gebracht hat die Sache nichts. Die Palmenblätter brachen plötzlich ab, wie die Zähne des alten Gianfranco, wenn er den Kindern zeigen will, wie man Haselnüsse mit den Vorderschaufeln knacken kann.

Ich habe dann wirklich alles versucht. Habe mit den Bäumen geredet. Ihnen erklärt, dass sie für die Vögel wegen der Nester so wichtig seien. Dass sie mir im Sommer herrlich Schatten schenken würden. Und dass ich ohne sie hier nicht glücklich sein könne.

«DU BIST EINE SENTIMENTALE TANTE», war das Einzige, das Innocent dazu wusste.

Aber kurz vor Neujahr fuhr ein Lastwagen vor. Amando, der Chauffeur der Gärtnerei «Verdissimo» schleppte ein Pälmchen an, das kaum grösser war als eine Migros-Ananas. DOCH IMMERHIN! Und es ist der gute Wille, der zählt.

ICH HABE INNOCENT UMARMT, WIE MEINE BÄUME: «Was würde ich ohne dich tun – du bist mir wichtiger als alle Palmen!»

«Na, na, na», hüstelte er verlegen.

UND DANN TAUCHTE AUCH GIANNI AUF: «Signore, unten im Garten, hinter den Rosen, wächst eine Sorpresa für Sie. Schauen Sie nach!»

EIGENTLICH IST ES EIN KLEINES WUNDER: Unbeachtet von uns ist dort eine junge Palme gewachsen. Sie ist zwar winzig klein. Und ich kann sie noch nicht umarmen, aber irgendwie ist es doch wieder ein Heimkommen.

Dienstag, 9. Januar 2018