Von der Oliven-Ernte und den Tricks

Illustration: Rebekka Heeb

«Nein. Kein Öl dieses Jahr!»

Innocents Nase ist spitz. Das ist sie immer, wenn er mir vorrechnet, dass SPARSAMKEIT grossgeschrieben werden muss.

KEIN ÖL! DA IST ER ABER TOTAL MIT DEM FALSCHEN FUSS AUFGESTANDEN! Wir leben hier in der Toscana von Olivenbäumen umgeben. Sie sind die einzigen Pflanzen, die unter der Hitze nicht gelitten haben.

UND SIE HÄNGEN VOLL VON DEN WUNDERBAREN KÜGELCHEN, DIE – SO UNSER GÄRTNER GIANNI – «DAS BESTE ÖL DER TOSKANA GEBEN, SIGNORE!».

Gut. Wir wissen auch, dass jeder, der irgendwo aus einem Olivenbäumchen einen Liter Öl rauspresst, eisern behauptet: MEINES IST DAS BESTE!

DAS IST WIE BEI DEN KLEINKINDERN. KAUM IST EIN FRISCHLING GEBOREN, WERDEN HANDYFOTOS HERUMGEREICHT: «UNSER BABY IST DAS SCHÖNSTE.»

Das ist natürlich verblendete Überschätzung. Und so ist es auch bei den Olivenöl-Bauern: Jeder hat das Beste. Aber unser Öl i s t es. Da gibt es gar nichts zu rütteln.

Innocent holt einen Block. Und kritzelt ihn mit Zahlen voll: «Gianni berechnet für die Oliven-Ernte unglaublich viele Stunden. Wenn ich die übrigen Ausgaben wie Olivenmühle, Transport, Abfüllen, Znüni für die Arbeiter (dies zwei Mal pro Tag!), also wenn ich all diese Summen zu den Arbeitsstunden addiere, können wir uns 169 von den teuersten Olivenöl-Flaschen in der «Delicatessa» leisten.

IST ES DAS, WAS DU WILLST?»

Nein. Eben nicht. Denn wie kann ich sonst mit bescheidenem Augenaufschlag dick bei Einladungen angeben: «Träufelt davon auf das Weissbrot. Ein bisschen Salz darüber –SCHON HABT IHR DEN HIMMEL AUF DER ZUNGE.»

Dann so nebenbei hergeworfen: «Es ist übrigens unser eigenes Öl.» «EIGENES», sagen wir eine Terz höher!

ABER HALLO – SO ETWAS PUNKTET DOCH IM GROSSEN SHOWGESCHÄFT DES LEBENS.

Das tönt ganz anders, als wenn ich den Gästen nur ein NUTELLABROT schmiere und sage, es komme aus der «Delicatessa».

Innocent macht das Spitzmaul-Nashorn. Und unkt: «Mit solcher Angeberei schüttest du nur Öl ins Feuer der Neider.» STIMMT. ABER ES IST M E I N ÖL. UND NICHT VOM EINKAUFSCENTER.

Innocent weigert sich also, den Geldsäckel zu öffnen. Aber da mir die gute Louise in ihrem Testament zwölf Früchteteller und etwas Barschaft hinterlassen hat, pfeife ich drauf. Und rufe Gianni: «Wir machen auch dieses Jahr unser Öl – aber wenn mich der Liter auf mehr als zehn Euro kommt, pfähle ich dich. Und ich erzähle überall im Hafen herum, dass du es mit der Fischfrau Loredana treibst.»

Er sperrt die Augen in gespieltem Entsetzen auf: «Das ist Verleumdung. Wie wollen Sie je so etwas beweisen.»

Ich gebe es ihm eiskalt: «Dein Parfüm nach Schwertfisch und abgestandenen Gamberetti jeden Dienstag ist Beweis genug.»

Loredanas Mann fischt tagsüber auf dem Meer herum. Ich wundere mich schon lange, dass das klapprige Fischerboot noch nicht unter der Last des Riesengeweihs dieses betrogenen Ehegatten untergegangen ist.

IM ÜBRIGEN SAGEN ALLE AM HAFEN, LOREDANA WÜRDE MIT IHREN NEBENEINKÜNFTEN MEHR AN LAND HEREINZIEHEN ALS MICHELE MIT DEM FISCH.

Immerhin – die Drohung trifft. Gianni mault herum. Dann ruft er seine Helfer zusammen. Und schon werden die grünen Tücher unter den Bäumen ausgelegt: «Aber wenn ich nicht mehr als zehn Euro pro Liter bekomme, können wir sie nicht von Hand lesen, Signore. Dann lassen wir die Früchte mit der Kamm-Maschine runterrattern …»

«NICHTS DA! NIENTE. DIE OLIVEN WERDEN HANDGEPFLÜCKT – UNSERE BASELBIETER KNALLEN DIE KIRSCHEN JA AUCH NICHT MIT DER KREISSÄGE VOM BAUM! NUR SO GIBT ES EIN GUTES OLIO.»

Wieder Geknurre. Und Gebrumme. Dann: «Unter solchen Bedingungen muss ich die Schwarzarbeiter aus Rumänien holen und...»

Innocent hat gleich wieder das Herzflimmern: «ES KOMMT MIR KEINE SCHWARZARBEIT IN DIESES HAUS – ES REICHT, WENN GANZ ITALIEN DEN STAAT BESCHEISST. WIR SCHWEIZER TUN SO ETWAS NICHT.»

Ach Gott – er ist immer so helvetisch korrekt.

Und deshalb gebe ich Order an Gianni: «Du rufst wie jedes Jahr deine Freunde – ich bezahle noch eine Flasche Schnaps. Und eine Runde bei Loredana.» NA ALSO. DAS HAUT IMMER HIN!

Jedenfalls haben nun ein Dutzend zahnloser Rentner unter den bellenden Befehlen von Gianni die Bäume leergepflückt. Und die Oliven in grünen Plastik-Harassen zum «Frantoio», der kommunalen Insel-Mühle, transportiert.

Der Zufall wollte es, dass wir Giannis Transporter vor der Ölmühle stehen sahen. Wir wollten dabei sein, wie unser wunderbarer, frischer Olivensaft ins Fass abgefüllt wird. Und dann sahen wir es:

SIE FÜLLTEN DIE HÄLFTE DES INHALTS MIT EINEM ÖL AUF, DESSEN FASS VERDÄCHTIG NACH TUNESISCHEM IMPORT AUSSAH!

«Stopp!», brüllte ich. «Sofort stopp – was soll das?!»

Gianni druckste ein bisschen herum: «Alle panschen hier ein bisschen… es ist dennoch u n s e r Öl Signore. Und bei d e m Preis, den Sie bezahlen… also wirklich!»

ALSO WIRKLICH!

Grappa und Loredana wurden sofort gestrichen.

UND WENN DIE GÄSTE DEMNÄCHST VOM JUNGEN, PRICKELNDEN OLIVENÖL AUF DEM WEISSBROT KOSTEN, SO WIRD TUNESIEN NATÜRLICH VERSCHWIEGEN: «Mit etwas Salz darauf schmeckt es am besten. Es ist übrigens unser eigenes Öl!»

DA BRAUCHT GAR KEINER NEIDISCH ZU WERDEN!

Dienstag, 21. November 2017