Dufttännchen

Lilli wurde schwach. Bei Käse bekam sie stets einen hohlen Bauch. ALLE «NUR-EIN-JOGHURTZNACHT!»-VORSÄTZE WURDEN ÜBER BORD GEWORFEN.

Sie stand vor der riesigen Auslage. Und beschloss: «Gschwelti und eine Käseplatte!» Das war bei diesem Herbstwetter gerade das Richtige!

Gut. Max war nicht der Käse-Typ. Er baute schon bei Fondue die Krise. ABER FRAU SOLLTE AUCH EINMAL AN SICH SELBER DENKEN.

Deshalb: «...bitte vom Appenzeller. Aber vom Rezenten. Und dann vom Emmentaler –nein, nicht der milde. Würzig bitte. Gibts schon Vacherin?» Der Verkäufer, ein gemütlicher Elsässer mit Dickbauch, schüttelte bedauernd den Kopf: «Erscht murne, Madame ...hitte isch keiner ynekumme!».

Sie liess sich vom Brillat Savarin ein Schnippelchen abschneiden, dann vom wunderbar läufigen Brie – mit wachsendem Appetit ging sie die verschiedenen Sorten durch.

Natürlich kaufte sie zu üppig ein. Man sollte nie mit leerem Magen vor einem Käsebuffet stehen...

«Kenne-n-er dr Epoisse, Modome...?» – der Elsässer zeigte auf eine runde, kleine Schachtel. Der Inhalt hatte eine orange, aufgerissene Haut – etwas Goldgelbes blitzte Lilli verführerisch entgegen. Sie erfuhr, dass nur noch drei Firmen diesen ganz speziellen Käse aus dem Burgund herstellen würden: «Mit ‹lait cru›, Modome... dos git-em syner gonz bsunders Gschmägglä...»

Lilli kannte den Epoisse nicht. Aber es brauchte nicht viel Überredungskunst – an der Kasse des Nobel-Centers bekam sie dann eine knappe Sekunde Atemnot: Mit dem Geld für den Käse hätte sie Max ins Drei-Sterne-Restaurant einladen können.

UM IHR GEWISSEN ZU BERUHIGEN, HOLTE SIE BEIM TRAITEUR NOCH EINE METTWURST. MAX FUHR TOTAL AUF METTWURST AB!

Lilli war spät dran. Nein. Das überfüllte Tram war jetzt nicht ihr Ding. Also stieg sie in ein Taxi.

Der Chauffeur sprach schlecht deutsch – hatte aber diesen sonnigen Charme all dieser Schnauz-Männer, die irgendwo vom Balkan hierher kamen.

«Schönes Frau... wohin?!»

Sie sagte die Strasse. Und der Schnauzer nickte anerkennend: «Schönes Frau... gutes Strasse... gutes Essen!»

Er nickte anerkennend zu ihrem übervollen Traiteur-Sack.

Dann: «Ich viel Knoblauch... Knoblauch gesund. Ich nie krank...»

«Ach so!» – dachte Lilli. Kaum war sie nämlich im Auto ins Polster gesunken, hatte sie diesen ziemlich starken Geschmack in der Nase gehabt.

DAGEGEN KAM AUCH DAS GRÜNE DUFTTÄNNCHEN AM RÜCKSPIEGEL NICHT AN.

«Ich würde gerne Knoblauch essen – aber er bläht mich...», erklärte Lilli trocken.

Der Fahrer lachte schallend: «Ist gesundes Blähen... dann Luft raus... und alles wieder gut!»

Ohgottohgott! WURDE BEIM TAXIFAHRER-LEHRGANG DENEN NICHT EINGETRICHTERT, SIE DÜRFTEN KEINEN KNOBLAUCH ESSEN – DAS WAR JA ZUM WÜRGEN!

Der Chauffeur lachte ihr noch immer in den Rückspiegel mit dem baumelnden, nach Fichtennadelwald duftenden Tännchen darunter : «In unser Land sagen: Wo Knoblauch, ist Wind. Wo Wind, ist Leben!»

Jetzt war ihr endgültig schlecht: «Bitte lassen Sie mich beim Rotlicht raus...»

Die restlichen zwei Kilometer ging sie zu Fuss.

Daheim wickelte sie alle Einkäufe aus dem Papier. Und bereitete eine Käseplatte für 35 Personen zu.

Zwischen Emmentaler und Brie legte sie die Mettwurst.

Max betrat die Küche. Es schlug ihn gleich wieder zurück: «UMHIMMELSWILLEN – WAS STINKT HIER SO SCHRÄG?!»

Erst jetzt schnallte es auch Lilli: Es war nicht der Taxichauffeur gewesen. Auch nicht der Knoblauch und die Winde.

ES WAR IHR EPOISSE.

«Wo Käse, ist Wind. Und wo Wind, ist Freude...» änderte sie grosszügig den Balkan-Spruch ab.

Abends aber wetterte Chauffeur Ahmed bei der Fahrtenabrechnung zu seinem Chef:

«In dieses Land alles essen Käse ... und dann Blähung. Selbst duftiges Tannchen machtlos dagegen...»

Freitag, 3. November 2017