«Da saans ja die feschen Burschen!» – Die Baronin drückt Innocent mit einem dramatischen Ruck an sich, sodass dessen Ohren aufgeregt sphärisch piepsen – als wären sie vom Mars neben Innocents Grauhaar-Toupet gelandet.
«Fesche Burschen» ist natürlich der totale Zucker.
Ich meine: Innocent und ich bringen zusammen mehr als anderthalb Jahrhunderte auf die Platte. Dazu: Knieprothesen, Zahnimplantate, Kunststoff-Gelenke, Arthrose und stets die Aufregung «machts mein Bypass noch?».
DOCH IN DIESEM HOTEL DER BARONIN SIND INNOCENT UND ICH DIE KÜKEN! Die restliche Gästeschar modert schon. Und führt ihr One-Way-Ticket zur Gruft im Gepäck.
Seit Jahrzehnten steigen wir in Sissis Sommerfrische ab. Elisabeth sitzt hier in Marmor gehauen unter einem Baum im Park.
Tag für Tag besprühe ich sie mit Chanels Fünfer-Duft und bringe ihr Rosen. Der Meraner Kurverein wollte mir das verbieten, weil das schwere Parfum Schwärme von Wespen anzieht.
Aber die Baronin sprach ein Machtwort. «Lassts doch dem Depperten sai Freud… er hot n Schweizer Bankkonto!»
Der harte Schweizer Franken war stärker als die Weichköpfe im Kurverein.
NUN SIND WIR ALSO WIEDER DA. UND FREUEN UNS, DASS ALLE NOCH LEBEN.
Jeden Morgen rollt im Speisesaal das Horrorkabinett an: der alte General, der beinlos wie die Billig-Ware im Billa-Wagen an den Tisch geschoben wird. Immer wieder brüllt der alte Haudegen: «Die verdammten Briten sind an allem schuld. Kein Bein war sicher vor ihnen. Die haben mir einfach alles weggemäht!»
«Jawoll, General», sagt seine Dienerin, eine schwarze Krankenschwester, die es in Kenias Militär auch nicht einfacher hatte. Sie ist stark wie eine Bärin. Und mit Armen beschenkt – dick wie ein Nilpferdarsch. MAN MUNKELT, SIE SEI MEHR ALS NUR DIE HERUMTRÄGERIN DES ÜBELGELAUNTEN KRIEGSHERRN OHNE BEINE.
Aber das ist Geschwätz. Und ich kann mich für die Richtigkeit nicht verbürgen – nur für so viel: Sie buttert ihm auch den Gipfel.
Als ich Shirley, so heisst die liebenswerte Kenia-Frau, einmal für ein paar Minuten alleine hatte, weil ihr Befehlshaber in der Massage gesalbt und geknetet wurde – als ich Shirley also an der Hotelbar zu einem Marillen-Likör einlud, erzählte sie mir unter dem Siegel grösster Verschwiegenheit, dass nicht die Engländer an den verschwundenen Beinen ihres Herrn schuld seien. Sondern: «…der General fiel stockbesoffen in Mombasa vom Hoteldach!»
Im Spital habe Shirley sich seiner angenommen. Eigentlich sei sie gelernte Elefantenpflegerin. Aber die Unterschiede zwischen Dickhäutern und Militaristen seien eh nur minim… also alles o.k. und easy.
Das Hotel der Baronin ist eigentlich eine schlossähnliche Villa mit elegant gebogenem Dach. Innocent meint, dass die schweren Hypotheken die Balken biegen würden – aber wir kennen ja sein Giftmaul, eines der wenigen Dinge, welches ihm seine liebe Mutter als Erbe hinterlassen hat.
Na ja – jedenfalls hat die Baronin ein bisschen umgestellt. Und alles zum Hotel umgemodelt.
Ich glaube, wir kamen zum ersten Mal, als sie im Park einen Rhododendron in der Grösse einer Colaflasche einsetzte. JETZT WUCHERT HIER EIN WALD. DER RHODODENDRON IST HÖHER ALS EINE AFRIKANISCHE GIRAFFE. UND DANN STEHT DA IM GRÜNEN NOCH DIE MARMORSISSI, WELCHE DIE BARONIN EINEM BOZENER ANTIQUARIAT ABKUPFERN KONNTE.
Innocent findet «Bad Sissi» (wie die Baronin ihre kaiserliche Oase getauft hat) «so etwas von originell. Und nirgendwo fühle ich mich frischer, als hier…» KUNSTSTÜCK. IN DIESER STAUBIGEN UMGEBUNG VON SCHWÜLEM VEILCHENPARFUM UND «HAT WIEDER JEMAND MEINEN ROLLATOR VERSCHOBEN?»-GEMECKER IST ES LEICHT, EIN FRISCHLING ZU SEIN… Abends dann treffen sich die Hotelgäste am brüchigen Damast. Die Tischtücher sehen aus, als hätten die beiden Yorkshire-Hunde der Baronin darüber getropft, und wir hoffen ganz fest, dass es nur die Hunde waren … Nun gut – wegen der paar gelben Fleckchen regt sich keiner gross auf, da das Augenlicht der Gäste nicht das beste ist und «Bad Sissi» selbst im Sommer bei 35 Hitzegraden auf Kerzenlicht zum Dinner besteht.
Seit neuerer Zeit – und seit sich die Balken noch tiefer biegen – muss die Baronin ihre Zimmer auch an Reisegruppen-Leute vermieten. Meistens sind es «Das ist meine zweitletzte Reise»-Rentner.
Jedenfalls bietet jedes Zimmer auch ein Sauerstoffzelt sowie einen direkten Kontaktknopf zu Pater Sigmund, der sich mit seinen liebevollen letzten Ölungen einen Namen gemacht hat.
Kürzlich kam wieder so eine Gruppe aus Bad Ischl. Es waren lauter Damen. Alle mit dezentem lila Haar, als sei eine Herde Milka-Kühe auf Reisen. Dazu dann: grellfarbene Wanderrucksäckchen, die liebevoll ihre krummen Altersbuckel verdeckten. Unten dann das Elend: elastische Stützstrümpfe in der rosigen Farbe einer frisch abgebrühten Sau. Die Strümpfe schauen lustig aus dem wieder so hip gewordenen Birkenstock-Schuhwerk. Und die Gruppe zeigt sich munter aufgestellt. Die Gruppenleiterin, ein gewisses Fräulein Schröder, das NICHT mit dem einstigen Kanzler verwandt oder verschwägert sein will und engstirnig auf die Anrede «FRÄULEIN» besteht – Fräulein Schröder also war einst Kindergärtnerin oder «Kita-Tante» der alten Schule. Sie wechselte ins Alten-Fach. Und die Kindergartenerfahrung bezeichnet sie «als eine grosse Hilfe».
Nun war bei der Ischl-Gruppe auch eine Frau Bitter. NOMEN EST OMEN. Sie rollatorte brummig wie gallig durch die Gegend. Behauptete, die Zahngläser seien angeschlagen und die Motten im Schrank – kurzum: Die Bitter war eine bittere Erfahrung für die Schröder. Und als sie dann am dritten Morgen am Frühstückstisch jammerte, der Fisch vom abendlichen Diner sei älter als die ganze Gruppe gewesen und sie habe das böse Rumoren untenrum, da liess man die alte Stänkerin einfach in der Villa zurück, wo sie sich untenrum statt hoch oben auf der Alm austoben konnte.
Abends beobachten dann Innocent und ich, wie das Blaulicht über den weissen Marmor von Sissi gespenstisch funkelt. Eine Bahre wird ausgepackt. Wieder Blaulicht. Schon hastet auch Pater Sigmund herbei – DA WAR IN «BAD SISSI» ENDLICH MAL LEBEN IM TOD!
Nicht lange – denn die Baronin erschien zum Diner in Trauerschwarz und verkündete, ein lieber Gast sei von uns gegangen.
«Ich esse hier keinen Fisch mehr…», flüsterte Innocent beim Tischgebet. Und da tourte doch tatsächlich die alte Bitter am Rollator in den Esssaal und wollte wissen, was das ganze Theater soll: Vor ihrer Toilette habe blaues Kugellicht und Tatüütataaa geherrscht…
INNOCENT WAR VERSTEINERT: «Jetzt laust mich aber der Ameisenbär… ich dachte, das alte Rabenaas sei bereits auf der Fahrt zur Hölle…»
Es war falscher Alarm gewesen. Das heisst: Die Frauen waren alle am Leben. Aber der General war mause, weil er versehentlich sechs Blutdruckpillen mit Strohrum (99 Prozent) aus dem Flachmann runtergespült hatte… ICH WAR FROH FÜR SHIRLEY. KONDOLIERTE. UND FRAGTE SIE, OB SIE JETZT ZU DEN ELEFANTEN ZURÜCKKEHREN WÜRDE… Doch der General hat sie im Testament bedacht. Auf Ende Jahr hin wird Shirley Partnerin der Frau Baronin in «Bad Sissi».
SO GESEHEN HAT DAS ALTER AUCH SEINE GUTEN SEITEN!