«Ceeeenoviiis!» – es ist Innocents Schlachtruf zum Tag. Ich habe ihm Schnittchen gebuttert. Konfitüren in silberne Schälchen abgefüllt (Holunder mag er am liebsten). Und Honig auf einem grossen Löffel vorgesetzt.
Ich habe ihm den Stotzen einer Sau gescheibelt. Und drei Eier pochiert. Ich fand überdies noch ein leicht angegammeltes Stückchen Gugelhupf. Also SCHUMMELN: Schimmelpilz wegkratzen und Puderzucker darüber. Das merkt er nicht.
UND DAMIT INNOCENT AUCH ETWAS GESUNDES REINZIEHT, HABE ICH IHM EINEN APFEL GERAFFELT.
Doch was ist das Höchste seiner Morgenlust: «CEENOVIIIS!»
Er wird ungehalten und reagiert wie ein Junkie ohne Stoff: «Hol endlich die Tube!» – Dann läuft er käsig gelb an «Sag nicht, dass wir kein Cenovis mehr im Haus haben…»
KEIN CENOVIS MEHR?
ER SCHLEPPT DIE TUBEN TONNENWEISE IN DEN VORRAT. WIR KÖNNTEN DAMIT DIE AUTOBAHN VON BASEL BIS BELLINZONA FRISCH BELEGEN.
Von jeder Einkaufstour kommt er mit mindestens fünf Packungen heim: «Man weiss ja nie; im Krieg waren wir froh darum.»
ÜBERLEBEN MIT DER TUBE IST SEINE UREIGENE CENOVISION.
Nun gut. Auch i c h habe gesündigt. Und als Kind Aromat-Schnittli das Höchste aller lukullischen Gefühle gefunden. Gleich nach Kondensmilch – genuggelt ab Tube.
ABER DANN WURDEN WIR GROSS. UND WUSSTEN, DASS CHAUTEAUBRIAND, EIN GEROLLTES SUSHI ODER MEINETWEGEN AUCH TOFU VOM GRILL ESSKULTUR SIND.
Es ist nicht so, dass Innocent die Esskultur von heute verneinen würde. IM GEGENTEIL, ER IST KEIN KOSTVERÄCHTER, wie man so sagt. ABER AN ALLES KOMMT CENOVIS. PFUNDWEISE.
Jetzt eben hält er die Tube wie der Mörder die Pistole. Innocent drückt ab. Und schon zieht ein bräunlicher Strich über meinen eben frisch überpuderten Gugelhupf. Es ist, als würde das Gebäck nach dem Schuss bluten – TATORT BEIM FRÜHSTÜCK! DA HÄTTE ICH ES AUCH SCHIMMLIG SERVIEREN KÖNNEN!
Der Strich wird dann ebenfalls über meine pochierten Eier gezogen (ich habe mich mit einer Sauce Béarnaise zu den Œufs pochés abgemüht, aber die Tunke wird mir immer flitterig – ich weiss nicht, was die Eier sich dabei denken!), der Tubenstrich kommt also auch über die Eier, an den geraffelten Apfel und ins Joghurt nature.
Das Höchste aller Gefühle ist aber das Cenovis-Schnittchen.
Das spart er sich bis zum Schluss auf. Die nun weiche Butter wird mit Cenovis zu einer Salbe vermatscht. Und dann auf den Zopf geschmiert.
«OHHHHHH» – saftet Innocent genüsslich, «da können mir alle Dreisterneköche den Tango blasen.»
Ich sage nichts. Ich stiere nur mit kalkweisser Hühnerhaut zu ihm. Und flüstere. «Morgen kommt Professor Schnurzel. Er ist einer der angesehensten Biologen auf dieser Welt. Und er gibt nur ganz selten Interviews.»
«Ach ja – Schnurzel? Nie gehört.»
«Ja. Er kommt mit seiner Gattin. Die beiden leben an der Nordsee. Sie führt ein erstklassiges Guesthouse.»
«Das Schnurzel-Heim», kichert Innocent. Seit seinem Sturz in Wien kann er herzlich über jeden Mist lachen. Es ist seine ganz persönliche Noch-einmal-davongekommen-Stimmung.
«Ich werde halbrohen Thunfisch servieren. Dazu hausgebackene Vollkorncakes. Und einen Algensalat mit harten Wachteleilein – also blamier mich nicht! Wenn du auch nur einmal zur Tube greifst, sind wir geschiedene Leute.»
«MEIN GOTT – ALGENSALAT OHNE CENOVIS? DAS IST DOCH WIE DIE NETREBKO OHNE BUSEN.»
«Du wirst es überleben», antwortete ich steif. Und rupfte Innocent die Tube, die er einfach so zum Mund führen und daran lossaugen wollte, aus der Hand.
Es scheint, dass in unserer Familie der Ärger mit Geschmacksverstärkern programmiert ist. Mein Vater war nicht nur Macho. Er war auch Maggio – der Maggi-avelli seiner Zeit.
Er liess die braunen Tropfen in Suppen, über Kartoffelstock und auf Spiegeleier prasseln. Mutter bekam Vögel: «Probier doch zuerst, es ist wunderbar im Geschmack.»
«Ja, Lotti», lächelte er jeweils geistesabwesend. Und klopfte auf den Hinterteil des Maggifläschleins, wie seine Generation auch auf die Hinterbacken des weiblichen Servierpersonals geklopft hatte.
Nie werde ich den Moment vergessen, als Innocent zum Todestag meiner verehrten Mutter den Trämler-Hans zu Hans Stucki einlud. Der Meisterkoch servierte eine wunderbare Bisque aus Hummer, kleinen Gemüsen und einem Hauch von edlem Cognac.
«HATS MAGGI?», rief mein Vater nach dem Kellner.
Der Lüster über dem Tisch klirrte genervt – es war die Art meiner Mutter, aus dem Jenseits zu protestieren.
«Cenovis ist aber sehr gesund», klärte mich mein Hausarzt Doktor Zarti auf, als ich mich bei ihm über Innocents Ess-Deformation beklagte. «Es hat Hefe drin. Ist vitaminreich. Und wurde 1935 von Alex Villiger, einem Braumeister im ‹Salmen› von Rheinfelden entwickelt.»
«Ach ja?»
«Es hat auch Karotten drin.»
Um Karotten zieht Innocent sonst einen Bogen wie der Leibhaftige um das Weihwasserbecken.
Zarti schaute mich grinsend an. Und zog ein Päckchen Cenovis aus seiner Kartei-Schublade: «Das ist für die kleine Lust – ICH STEHE DARAUF.»
Professor Schnurzel war dann ein wirklich interessanter Interviewpartner. Als ich ihn an den Tisch bat und er den Algensalat sah, stutzte er allerdings für einen kurzen Moment.
«Algensalat zu meinen Ehren? Das ist sehr aufmerksam … haben Sie vielleicht auch Cenovis im Haus?»
DEM IST NICHTS HINZUZUFÜGEN.