Elvira steckt in der Krise.
Zwölf Jahre Ehe. Zwei mal Kinder – davon eines streng vegetarisch («Ich esse nichts, was getötet wurde!»)
Und ein Ehemann, der den Feierabend beim Trommeln verbringt. DA IST DER STRESS PROGRAMMIERT.
Sie heult mir im Telefon einen runter: «Ich kann nicht mehr.»
MEIN GOTT!
Hat die Welt keine anderen Probleme als einen trommelnden Ehemann und eine Tochter, die sich weigert, Hühnerschenkel zu schlucken. ABER ELVIRA IST MEINE PATENTOCHTER. UND DESHALB: «Ihr braucht Distanz zu allem… eine Pause… macht getrennte Ferien…»
SNIFFSNIFF… Dann unterdrücktes Geschluchze. Und: «Aber die Kinder…» DA WAR ICH DANN VIELLEICHT DOCH ETWAS ZU VOREILIG: «Schick sie zu mir auf die Insel!»
Als die Worte raus waren, wusste ich: DAS WAR JETZT TOTAL SCHEISSE! WAS SOLL ICH MIT EINEM MÄDCHEN, DAS MIR DIE SZENE MACHT, WENN ICH DIE WILDSAU AUS DEM OFEN ZIEHE.
Aber schon ist das Sniffen weg. Und die Stimme ein heiteres Halleluja: «DU BIST EIN SCHATZ – ICH HABE DIE TICKETS FÜR DIE KLEINEN SCHON GEBUCHT! SCHAU BITTE, DASS LARS JEDEN TAG EIN PAAR RECHENAUFGABEN MACHT – MATHEMATIK IST SEINE SCHLAGSEITE. UM KATE BRAUCHST DU DIR KEINE SORGEN ZU MACHEN – PILZ-PIZZA UND PASTA MIT TOMATENSAUCE. EINFACH KEIN TIER.»
Es versprach auch ohne Tier tierisch zu werden.
«Unggi!» – schrien die beiden im Flughafengebäude. Die Leute schauten sich entsetzt um. Man ist ja jetzt so sensibilisiert. Überall lauern ja potenzielle Attentäter. Und wer weiss, was diese seltsamen Kinder im Rucksack tragen.
«UNGGI!» – schon hingen sie an mir wie die Fliegen an der tödlichen Kleberolle.
«SAGT NICHT ‹UNGGI› ZU MIR!», gab ich gleich mal die Regeln durch. Ich hasse es, wenn sie «Unggi» sagen. Das Wort kommt von «Onkel». Aber ich sehe da immer eine alte, verwarzte Kröte vor mir – ein mutierter Greis, der mit seinen Runzeln und Borbeln zur Unke wird. Deshalb: «ICH WILL DAS NIE MEHR HÖREN, SONST GIBTS JEDEN TAG GEFÜLLTE SCHWEINSFÜSSE UND RECHENAUFGABEN ZUM DESSERT!»
«Ach du», grinsten die zwei. Und wir beschlossen im Auto gemeinsam, das Büchlein mit den Rechenaufgaben fürs Grillfeuer zu verwenden. Und auf den Rost dann nur Tomaten, Peperoni und Ziegenkäse zu legen.
ICH WEISS GAR NICHT, WESHALB ALLE WELT SO EIN THEATER UM KINDERERZIEHUNG MACHT. ES IST DOCH GANZ EINFACH!
So einfach dann doch wieder nicht – denn am dritten Tag war ihnen langweilig. Und am fünften kamen sie mit einem Vorschlag, der mir die Tränen in die alten Augen trieb: «Wir bauen ein Zelt. Und übernachten mit dir und ‹Tschenti› darin.» «Tschenti» geht für Innocent. Im Gegensatz zum «Unggi» kann er über seinen Kurznamen lachen.
«NICHT MIT UNS», sprach ich Klartext. «Innocent ist zeltuntauglich. Er kann sich nicht mehr bücken – es sei denn, er sieht einen Zehn-Räppler am Boden funkeln. Da gibt er noch mal alles… und zweitens…»
Ich hole nun tief Luft und mache auf dramatisches Geflüster: «Wir sind hier umzingelt von giftigen Schlangen, angriffslustigen Wildschweinen und heulenden, wilden Hunden.»
«Ach Unggi», jammern die beiden im Chor. Und da fällt mir doch Lida, meine Zugehperle, bereits in den Rücken: «Lustig Kinder können auf Camping meines Tochter.»
DAS HÄTTE JA GERADE NOCH GEFEHLT. ICH HABE SCHON MEINEN RUNDEN GEBURTSTAG INMITTEN VON SCHREIENDEN KINDERN, JAULENDEN MUSIKVERSTÄRKERN UND TOSENDEN FERNSEHERN IN DIESEM CAMPINGHORROR VERBRINGEN MÜSSEN – ICH HABE BESSERES VERDIENT!
«Bitte, bitte, Unggi. Sei kein Frosch! Wir erzählen auch überall herum, wie mega cool du bist.»
SCHON ÜBERREDET!
In der Zeltstadt mit dem lustigen Namen «Tuttifrutti» war Hochbetrieb. 1100 lottrige Wohnwagen, schräge Stoffzelte und wacklige Camper waren bereits nach Ostern in einem ellenlangen Pinienwald aufgestellt worden. «Wir bereiten jeden Morgen 3800 Espressi zu und backen bereits um sechs Uhr früh eine halbe Tonne Gipfel auf!», hiess uns Eva willkommen. «Dort sind die Duschbaracken. Und Toiletten hats auch.»
ICH WOLLTE MIR DAS ALLES GAR NICHT VORSTELLEN. ICH WOLLTE NUR EINES: ZURÜCK INS EIGENE BETT. UND AUF DIE NUR FÜR MICH RESERVIERTE KLOSCHÜSSEL.
Die Kinder waren begeistert. Sie inspizierten das Zelt, das uns Eva zur Verfügung stellte: «Heute Abend machen wir ein Lagerfeuer», versprach sie den Kleinen.
«Ja – dort verbrennen wir dann mein Rechnungsbuch», schrie Lars begeistert. «… und wir braten die frischen Orate, die Enzo heute morgen gefischt hat», lachte Eva.
«Sie isst nichts, was der Schöpfer einmal leben liess», zeigte ich anklagend auf Kate. Aber da hatte Eva die beiden Kinder auch schon an den Händen genommen: «Dort hinten ist der Strand – wir spielen Beach-Volleyball!» Wieder begeistertes Kreischen.
Und schon sass ich alleine auf einem schiefen Dreibeinhocker unter einer schrägen Pinie und einem noch schrägeren Kunststoffzelt. Das Innere des zusammengestückelten Wigwams miefte nach dem ausgetrockneten Gummi der Luftmatratzen und nach dem Giftgas von Mückenspray.
Nach sechs Stunden holten mich die lieben Kinder mit einem Eimer Meerwasser aus dem Mittagsschlaf. Ich lag an die krumme Pinie gelehnt. Und hatte Rückenschmerzen.
«In zwei Stunden gibts Essen», rief Eva, während sie in die Hände klatschte, um eine Mücke zu ermorden. Die Kinder schlafen alleine im Zelt. Ich werde ein Auge auf sie haben. Unser Wohnwagen ist gleich dort hinten. Und für dich habe ich im Guesthouse am Hafenort ein Bett reserviert.»
Vier Tage später erst rief mich mein Patenkind Elvira an: «ICH BIN JA SO GLÜCKLICH!»
Na – zumindest s i e.
«Habt ihr euch zusammengerauft?», frage ich ins Handy.
Perlendes Lachen: «Irgendwie schon, Karl hat hier einen amerikanischen Freund gefunden, der Base-Drum spielt. Er nimmt nun Stunden. Und ich habe einen Surflehrer – EIN TRAUM VON EINEM KERL! Du wärst neidisch.»
SO EINE SCHLAMPE – UND DIES MEINE PATENNICHTE!
«Deine Tochter isst jetzt auch Fisch», beende ich das Gespräch.