Nun gut – es war eine kleine Sache: nur mein Geburtstag. Da wollen wir keine grosse Geschichte draus machen!
ABER HALLO! WAS GLAUBT IHR EIGENTLICH! MAN WIRD NUR EINMAL 70. DAS SIND GEFÜHLTE 90. UND MIT PLATTFÜSSEN FAST SCHON 100!
Deshalb: «Ich habe jetzt bald Geburtstag.»
Innocent brütet über dem Sudoku: «Die schreiben ‹Stufe leicht› … aber das sagen die nur, um einen zu ärgern. Ich bekomme es einfach nicht hin.»
Er ist 83. Aber – wenn man ihm glauben darf – «gefühlte 50».
«Du solltest dich geistig nicht mehr vergaloppieren, mein Lieber – sonst hast du wieder Migräne. Und ich den Salat.»
Natürlich könnte ich ausführlicher und noch etwas bissiger werden. Aber mein Geburtstag steht auf dem Spiel. Deshalb noch einmal eine Stufe lauter: «ICH HABE DEN SIEBZIGSTEN!»
Nun radiert er energisch Zahlen weg. Beim Sudoku geht das. Aber nicht im Leben.
«… UND DA HÄTTE ICH EIN SCHÖNES FEST DOCH WIRKLICH VERDIENT.»
Jetzt schaut er hoch: «WIE VIEL?»
«Was – wie viel?»
«WIE VIEL WIRD MICH DAS KOSTEN?!»
MEIN GOTT! Da rackert man sich 48 Jahre für eine Person ab. Wird zu deren Sklaven, Staubsauger und Unterhaltungsprogramm. Macht den Sekretär, putzt die Fenster und legt Zweitohren sowie Drittzähne ein – der Dank ist dann ein hingebelltes «WIE VIEL?!».
Ich breche zusammen. Habe einen Heulkrampf. Zittere wie ein Pudding im Speisewagen. Und was passiert? – Innocent tauscht zufrieden eine Drei mit einer Null : «So. Jetzt sollte es aufgehen. Was hast du gesagt?»
Ich bin sehr schnell wieder auf den Beinen und auf 100: «DU WIRST MIR GEFÄLLIGST ZU MEINEM GROSSEN TAG EIN NOCH GRÖSSERES FEST BAUEN – DENKE DARAN, DASS ICH ZU DEINEM 80. FAST 160 GÄSTE GELADEN UND BLUMEN AUS ZUCKER GESTREUT HABE.»
«Genau deswegen landen wir im Armenhaus», seufzt er. Und dann: «Ich will schauen, was sich tun lässt.»
Es tat sich gar nichts. UND ER NOCH WENIGER. Innocent sudokute die nächsten Tage seelenruhig weiter. Grübelte. Knurrte. Und radierte das Thema «GEBURTSTAG DES ALLERBESTEN FREUNDES» einfach weg.
Ich begann nun Freunde einzuladen – das war etwa die Hälfte der Inselbewohner. Dann verschickte ich E-Mails und altmodische Telegramme (wer seinen Siebzigsten feiert, hat nämlich viele Freunde, die mit dem E-Mail nicht mehr zurande kommen). Ich fragte den Militärflughafen in Grosseto an, ob er ausnahmsweise auch einen privaten Jumbo landen lassen könne. Als ich dank Beziehungen zum Vatikan und der Carabinieri-Männerriege das O.k. hatte, mietete ich die drei besten Hotels am Hafen. Und überlegte, wo ich 850 Leute kulinarisch verwöhnen könnte.
Natürlich war das «Pelicano» in Porto Ercole die erste Adresse. Aber weil dort schon das Berühren einer Serviette so viel kostet wie ein Passagierflug zum Mond, schaute ich mich nach etwas Preiswerterem um. Und da kam mir meine Zugehfrau Lida gerade recht: «Meine Tochter führt das ‹Oasis›.»
Da sowohl Lida wie ihre Tochter Eva gut im Futter stehen, wusste ich, dass man in dieser Oase sicherlich reichlich und gut essen würde. Deshalb. «Wunderbar, Lida. Dann buche ich mal. Und lasse euch für den Abend.»
Ich hätte wissen sollen, dass «pleine pouvoir» die falsche Redewendung für Italien war. Aber ich sage eh zu allem immer nur «sì sì» und «va bene» – so, wie ich es in 40 (gefühlten 90) Italienjahren hier gelernt habe.
Als mich Lida jedoch fragte, ob man das einstündige Geburtstagsfeuerwerk, auf der Nachbarinsel Giannutri starten lassen soll, wurde mir dann doch etwas flau um die Magennerven. Ich beichtete alles Innocent.
DA WAR DANN ABER SCHWER FERTIG MIT «SUDOUKU LEICHT».
Natürlich stoppte die alte Geizhenne alles. UND ZWAR WIRKLICH ALLES. Mails wurden versandt, erneut Telegramme aufgegeben: «GEBURTSTAGSFEST WEGEN HORNUSSEN-EPIDEMIE ABGEBLASEN!»
Natürlich bekamen die Inselleute so etwas in den falschen Hals – sie lamentierten: «WIR HABEN SCHON FESTLICHE ROBEN GEKAUFT!»
Gut. Das war so gelogen wie die Hornussen. Denn auf der Insel kannst du gerade mal einen Ballen Acryl bekommen, den Laura, die Schneiderin im Hafen, seit 40 (gefühlten 80) Jahren immer nach demselben Sackmuster verschnurpft: Es sind Hängerchen in Einheitsgrössen.
Bei den einen sieht es aus, als wäre die Wurst am Platzen – bei den andern, als hätten sie ein Militärzelt umgehängt. Am grossen Tag führte mich Innocent dann doch «alla grande» aus. Wir fuhren mit zwei Reisecars über die holprige Sandstrasse aufs Festland. Gleich neben der Autobahn wurden wir vor einem Zeltplatz abgeladen. Der Zeltplatz hiess «Tuttifrutti» – und war auch so.
Von Weitem schon hörte man Rufe aus einem Megafon und ich wollte eben sagen: «Also das wäre nicht nötig gewesen», als ich die Clown-Frau in ihrem grässlichen Kostüm mit dem rot-weissen Ringelhemd und überdimensionierten Hosen sah. Sie trug Schuhe dieser Art, welche auf der Grimmialp mit Geranienstöcken ausgefüllt werden.
Die Clown-Frau war laut. Sehr laut. Ihr unverständlicher Dialekt gellte via 1000-Volt-Verstärker über das ganzen Tuttifrutti-Areal, wo 850 Kinder ihr Schulzeugnis feierten.
Immerhin – auf den Tischen, die für uns reserviert waren, hatte es weisses Papier. Und gelbe Senfblumen.
«Ja was sagst du jetzt?», strahlte Innocent. «Und du kannst dir nicht vorstellen, ZU WELCHEM PREIS!»
Ich wollte mir das auch gar nicht vorstellen. Schnappte von diesem hysterischen Transvestiten-Clown einen Kinderluftballon. Und ging an den Meeresstrand. Dort schaute ich auf die Wellen. Und liess den Ballon fliegen. Er war leicht. Und schwebte dem wolkenverhangenen Himmel zu.
Ich weinte ein bisschen, weil ich auch mal geschwebt und so leicht war. ABER DAS WAR MIT 16. Und (gefühlten) 55 Kilos.
«Sie sind alle happy», holte mich Innocent vom Strand weg, «und sie geniessen die Pizza.»
Dann zauberte er mit verschwörerischem Lächeln ein kleines Päckchen aus dem Hosensack: «Du hast es dir doch immer gewünscht!»
DER GUTE. ICH MUSTE 70 WERDEN, UM DIE KLEINE ROLEX ZU BEKOMMEN.
P.S. Natürlich war es nur ein Bleistift-Set mit Radiergummi.