Natürlich war es nicht die königliche Kutsche.
Es war meine Insel-Karre. Sie hat 220 000 Kilometer am Arsch. Ist mit Möwenkacke zugekleistert. Und die Klimaanlage funktioniert nicht.
«Mach einfach die Fenster runter», sage ich zu Karl. «Dann ist es wie Lüftung!»
Karl schaut mich mit diesem eisigen Blick an, den die Engländer sonst nur für ihre neue Mutter Theresa haben, seit sie bekannt gab, dass der Eierpreis erhöht wird.
Als ich meinen drei «Donne» erzählte, dass der Schneider der Queen zu Besuch komme, war gleich mal Chaos. Nicht, dass sie sofort die Fensterscheiben geputzt oder die Handtücher gebügelt hätten – ihr ganzes Sinnen und Streben kreiste nur um eine Frage: «Was ziehen wir an?!»
Sie eiern sonst immer in Acryl-Leggins und T-Shirts, auf denen «FUCK YOU» steht, herum.
Ihre vielen Haare (UND WIE ICH DIESE WEIBER DARUM BENEIDE!) halten sie mit Dutzenden von farblich schrillen Plastikklammern zusammen. Und an ihren Fingern sind ellenlange Kunststoffnägel aufgeklebt, die mit lilafarbenem Glitterspray besprüht worden sind.
ICH MEINE – WIE SOLLEN DIE DAMIT JE EINEN NUDELTEIG KNETEN!?
Ich versuche gleich mal alles auf eine klare Ebene zu bringen: «Erstens kommt Signore Karl anonym. Ihr sollt gar nicht wissen, dass er der Schneider der Königin ist. Und …»
«ABER SIE HABEN DOCH EBEN GESAGT, ER SCHNURPFE IHR DIESE SELTSAMEN MÄNTEL. UND STREUE DIE BLUMEN AUF DIE KRONE. UND …»
Ich gebe es auf: «Seid einfach nett. Und raucht nicht auf seinem Klo!»
Im «Vergessen» sind die Weiber erste Sahne. Sie vergessen, wenn ich ihnen sage, sie sollen vom Hafen Spülmittel mitbringen. Sie vergessen, Innocent die Ohrenverstärker aus dem Hosensack rauszunehmen: Und waschen sie dann einfach im Kochgang.
Sie vergessen, dass ich den Kaffee ungezuckert trinke. Und süssen ihn mir, dass mich die Altersdiabetes bereits aus dem Jenseits anruft.
SIE VERGESSEN ALLES – NUR NICHT DEN ZAHLTAG. UND DASS KARL MIT DER QUEEN EIN NÄHKÖRBCHEN-VERHÄLTNIS HAT, AUS DEM ER NICHTS AUSPLAUDERN DARF.
«Müssen wir einen Knicks vor ihm machen?», fragt Lida nun. Und zuckelt probehalber schon mal auf eine halblange Position, aus der sie ihre 200 Pfund kaum mehr hochbringt.
«Spinnt ihr! Er ist ein Schneider. Und er zieht Fäden an der Königin – das ist nichts Aussergewöhnliches. Jetzt kriegt euch wieder ein. Und wenn bis Samstag hier nicht alles blinkt und blank ist, verbiete ich euch, je wieder von meinem Rasierwasser zu benutzen!»
Die Frauen kichern albern. Knicksen voreinander, indem sie affig die Schürze spreizen und «Hello … hello, Karl» sülzen.
Dann zwicke ich sie in die Leggins. Und das ist kein sexueller Übergriff und auch nicht sexistisch. Sie erwarten das hier von einem rechten Mann. Und wer sie nicht zwickt, ist eine lahme Schwuchtel. (WER WILL IN DIESER HOMOPHOBEN ZEIT SCHON EINE LAHME SCHWUCHTEL SEIN!)
Die alte Karre gibt ihr Letztes. Wir jagen mit 100 Sachen auf der «Aurelia». Und der Fahrtwind rüttelt an Karls rötlich getönten Locken . Er ist wie Vivien Leigh «vom Winde verweht».
«Ich hoffe doch sehr, dass du niemandem gesagt hast, wer ich bin?», überbrüllt Karl streng das Holterdiepolter des Schrottkarrens.
«Ich habe dich als Hühnerhändler aus Brighton angekündigt», gebe ich genervt Gas. Und dann: «… natürlich waren meine Lippen versiegelt! Kein Mensch weiss Bescheid.»
Er schaut argwöhnisch durch seine Garbo-Brille: «Versiegelte Lippen? Das ist ja ganz neu …»
Als wir dann vorfahren, erwartet mich eine Szene aus «Tanz der Vampire». Meine drei «Donne» haben sich herausgeputzt, als würden sie an die Hochzeit ihrer Nichten gehen.
Statt der Plastikklammern stecken da plötzlich Federn und Blumen. Die Leggins haben sie mit wallenden Röcken im spanischen Flamenco-Stil überdeckt. Und jede trägt ein paar von diesen klobigen Plateauschuhen, wie sie jetzt so üblich sind und erstmals von Frankenstein persönlich auf den Markt gebracht wurden. Sie stellen sich in Reih und Glied auf. Gackern wie ein Hühnerhof.
Dann knicken sie ganz langsam in die Knie, wobei Nicoletta, die mit den höchsten Plateau-Sohlen, sofort in die Melonen kippt.
Und nur noch: «Oh Karl … Highness … God bless you … Amen» hauchen kann.
Die Worte, so hatte sie mir später gestanden, hatte sie vom katholischen Pfarrer nach der Abendandacht eingetrichtert bekommen.
Karl schaut mich von der Seite an: «Machst du hier auf lustige Weiber von Windsor», fragt er scheinheilig.
Dann ziemlich streng: «Ich hoffe doch fest, mein Bett ist sauberer als diese Gläser hier …»
Lida hatte zum Empfang eisgekühlten Limoncello in die Muranogläser abgefüllt.
Es sind mit Glasblumen verkleisterte Kostbarkeiten, die schon seit 35 Jahren hinter der Buffetvitrine vor sich hinstauben.
In diesem Moment taucht Gianni auf dem Traktor auf. Er hüpft vom Blechsitz. Und gibt den agilen Macho.
Dann schaut er fragend zu dem Kostümzirkus. Und schliesslich zu mir: «Wer ist dieser Rumpelstilz … was tut er hier … und weshalb findet ein Kostümfest statt?»
Karl verstand kein Wort. UND DAS WAR GUT SO. Er kam auf Gianni zugewedelt. Nahm Hut wie Garbo-Brille ab – und schaute ihn mit flatternden Wimpern an: «Hello, lovely man. I am Karl … ich bin der Schneider der Queen!»
SO VIEL ZU VERSIEGELTEN LIPPEN!
Natürlich verstand Gianni keine Silbe. Er schaute mich nur mit grossen Augen an: «Sehen so die Hühnermännchen aus Brighton aus?»
Manchmal ist es gut, dass die globale Verständigung noch nicht bis auf die Insel durchgedrungen ist.