Vom Besuch des königlichen Schneiders

Illustration: Rebekka Heeb

Als Karl durchgab: «I’ m coming!», stand alles Kopf.

«Karl» – so nennt ihn die Queen. Aber eigentlich ist er Karl-Ludwig.

Er hat noch immer einen Pass aus dem Ruhrpott. Lebt aber seit 60 Jahren in London. Und ist englischer als die Türsteher von Harrod’s.

Das einzige Deutsche, das er nicht ablegen konnte: die absolute Perfektion. Und Gründlichkeit. DAS HAT IHN DANN AUCH ZUM SCHNEIDER IHRER MAJESTÄT GEMACHT.

Karl redet immer nur von «Ihrer Majestät». Unwillig presst er die Lippen zu einem Strich, wenn ich Wörter wie «Lizi» oder «das gute, alte Mädchen» gebrauche.

HE IS NOT AMUSED.

Irgendwie sind die Paparazzi von Civitavecchia zur Passagier-Liste dieses Luxus-Liners, auf dem Karl von Insel zu Insel schwebt, gekommen. Und bald schon dampfte bei uns das Telefon. Die E-Mails klingelten wie Vorgarten-Weihnachtsmänner im Dezember. Und immer dieselbe Frage: «Bringt er die Queen mit?... darf er sie bei den Proben anfassen... isst sie wirklich keine gefüllten Wachteln?»

Und: «Wie füttert sie ihre Dackel!»

IHRE MAJESTÄT HAT KEINE DACKEL. SIE HAT PRINZ PHILLIP. UND GORKIS!

Paparazzi-Shit eben!

Und da in Italien abgesehen von Clooneys Kapsel-Zwillingen punkto Gossip-Headlines weniger los ist als in Böningen am Brienzersee, da war Karl-Ludig (für die Queen und mich: Karl!) der funkelnde Diamant im Trüben.

ABER EBEN: Karl-Ludwig gibt nie Antworten. Keine Interviews. Er mauerte gegen die Presse, wie der amerikanische Präsident gegen Mexiko. Nur erfolgreicher. Und so liess der königliche Schneider durchsickern: «Fragen Sie meinen Pressesprecher auf der Insel!» Deshalb war dann fünf Tage lang bei uns die Telefonleitung so überhitzt, wie bei Herrn Putin, wenn er Frau Merkel trifft.

Die Paparazzi dachten : «Jetzt bohren wir halt mal diese sprudelnde Schwuchtel an!» Na ja – so in etwa.

ABER FALSCH GEDACHT!

Klar, dass auch der sprudelnden Schwuchtel die Lippen versiegelt waren – denn: «Ein Wort. Und es ist aus mit uns!»

Dabei w a r gar nie etwas.

Solche Worte hat er mir schon bei unserem zweiten Treffen vor die Füsse geworfen. Karl erzählte mir sein ganzes Leben. Ich schrieb mir die dicken Finger blau. Und nach acht Stunden und vier vollen Notizheften meinte er: «Das wars. Doch ein einziges Wort davon in die Zeitung – und wir sind Freunde gewesen!»

Ich habe die Notizen verbrannt. Heftig geweint. Und das Ganze als «typisch britischen Humor» abgebucht.

Ich wartete also am Hafen.

Der Touristenverein von Civitavecchia hat am Porto vor einigen Jahren einen gigantischen Terminal errichten lassen. Der Terminal steht in der prallen Sonne. Der einzige Schatten spendet eine tote Palme. Aber darunter warteten 30 Strassenverkäufer mit chinesischem Glasperlenschund.

Ich stand mir also die Beine bei 40 Grad in den Bauch... Und langsam lief ich aus wie eine vergessene Butter am heissesten Hundstag in der belebten Einkaufsstasche.

Alles klebte an mir. ES WAR KEIN SCHÖNER ANBLICK! Und das in Erwartung jener Person, welche immer eine taufrische Queen vor sich hat.

Wenn in Civitavecchia eines der grossen Kreuzfahrtschiffe einfährt, werden die Passagiere zu Hunderten in einem Extraboot ans Land getuckert. Dort warten Busse. Und schaukeln dann alle in den Terminal.

Es herrscht ein Hin und Her wie an einer Kinderfasnacht. UND IN ALL DEN LEUTEN SOLLTE ICH KARL ENTDECKEN?!

Er hat mir vor seiner Abreise durchgegeben, er käme «getarnt».

ABER WAS IST GETARNT? Ein Polizist betrachtet mich schon seit längerer Zeit. Da ich nicht Dolly Buster bin, muss er miese Absichten haben. Da kommt er auch schon auf mich zu geschlendert: «Kann ich mal den Ausweis sehen?»

Welchen Ausweis?

Ich habe alles ausser einer Kreditkarte und zwei Fünf-Euro-Scheinen im Auto eingeschlossen. Das Auto steht in einer vier Mal gesicherten Garage. Die Garage wiederum ist von einem Schutztrupp bewacht.

IN SO EINEM ORT LAUFE ICH DOCH NICHT MIT EINER OFFENEN HERMESBÖRSE HERUM! «Ich habe keinen Ausweis hier. Er ist im Auto!», sage ich ruppig. «Aha», sagt der Polizist. Seine Augen sind fünf Ausrufezeichen. WAS WILL DER EIGENTLICH?!

Er will meinen Namen wissen. Vor- und Nachname. Dann: Geburtsdatum. Niederlassungsort. Zivilstand – bei «marito con un uomo...» kippt er fast aus den Stiefeln. Schliesslich streng: «Dann kommen Sie mal mit!»

«Ich bin 70!», protestiere ich.

«Und ich bin Polizist», bricht er jede Diskussion ab.

Ich zottelte ergeben mit ihm. Neben dem Passagier-Terminal war eine kleine Hütte. Und diese Hütte war die Dorfpolizei.

Der Polizist nuschelte nun leise ins Funkgerät: «Arriviamo!»

Dann standen wir in dieser Bude, die nach Turnhosenschweiss, Körperpuder und einem Auto-Deo-Tännchen stank.

Es gab nur einen Schreibtisch mit einer verrosteten Lampe. Neben dem Schreibtisch sass ein vergammeltes Männchen – vermutlich ein blinder Passagier, der sich auf einen der Dampfer geschmuggelt hatte. «Ist er das?» – fragte der Polizist das Männchen.

«Ja», nickte der blinde Passagier. Und nahm die grosse Brille ab.

«KARL-LUDWIG!»

«Psssst», zischte er unwillig. Und setzte das Greta-Garbo-Gestell gleich wieder auf die Nase. «Ich bin undercover... der nette Polizist bringt uns jetzt zu deinem Auto... das war ja verdammt mühsam, dich hier in diesem Haufen schlechtgekleideter Cruiser ausfindig zu machen. Und apropos schlecht gekleidet – wie siehst d u denn aus?!»

Also – er darf die Queen beim Massnehmen n i c h t anfassen. Das macht Theresa. Seine Assistentin. Und wenn Karl (wie ihn Ihre Majestät und ich nennen!) mich jetzt wegen Indiskretion zum Teufel schickt, so geht mir das kalt an meinem mies gekleideten Hintern vorbei...

Wäre nicht die Queen im Spiel, hätte ich es hier noch deutlicher gesagt…

Dienstag, 18. Juli 2017