Innocent rasselt mit den Stöcken – so wie früher die Mistkübelmänner mit den grauen Ochsner-Mülleimern.
Heute ist es bei der Müllabfuhr ja nur noch ein teures Rascheln von blauen Säcken. Aber zu meiner Kinderzeit ging mit Gepolter die Post ab.
Innocent schlägt die Krücken also gereizt aufeinander: «Ich habe es satt. Einfach satt. Man kann so etwas doch sicher auch zwei Noten eleganter haben.»
Assistente Max nimmt Haltung an: «Jawoll Comandante!» Dann schaut er etwas ratlos zu mir.
«Wir könnten die drei Buchstaben AKW übermalen», schlage ich vor.
Die Krücken von Innocent stammen nämlich aus dem AKW. Dabei handelt es sich um das Allgemeine Krankenhaus Wien.
Auf seinem Heimtransport haben sie ihm die Pissflasche, den Kackeimer und die beiden Krücken mit einem herzlichen «Servus aus Wien!» als Nettigkeit mitgegeben.
In Basel habe ich die Utensilien dann auf der Spitalrechnung unter dem Posten «Benutztes Inventar» wiedergefunden.
«Irgendwie bin ich jetzt in einem Alter, wo ich auch nach dem Fall zum Stockgänger werde», holt Innocent jetzt aus. «Johannes Heesters hat bis weit über hundert sein Stöckchen geschwungen und…»
ES WAR BEI HEESTERS DAS EINZIGE, WAS ER NOCH SCHWANG. UND INNOCENT IST NICHT HEESTERS.
Nun wurde unserm Besucher vom «Assistente» eine Visite gemeldet: «Comandante: Ihre liebe Cousine, Frau Elisabeth, steht vor der Tür.»
«SOLL REINKOMMEN, WENN SIE ES OHNE CORAMINE NOCH SCHAFFT!» – Das Wunderbare an betagten Menschen ist, dass sie ihre Bissigkeit so unsensibel ablassen wie ein altes Pferd den Furz.
Innocents Cousine ist punkto Outfit immer eine Wucht. «Wie aus dem Druggli», hätte die Kembserweg-Omi gesagt.
Elisabeth also erscheint im eleganten eierschaligen Cool-Wool-Kleid. Dazu der Schmuck der Ahnen. Und die Korrektur von Elizabeth Arden.
«WAS MACHST DENN DU FÜR SACHEN?!» – Der Fall von Innocent wurde in seiner Familie heftig diskutiert. Und man kam zum Schluss, dass ich alleine die Schuld tragen würde. Denn: «MAN NIMMT SICH JA AUCH NICHT SO EIN VERRÜCKT WILDES HUHN ZUR SEITE!»
In seiner Familie war niemand wild. Jeder zahm. Und züchtig. Ich meine: Da wurde nicht mit Tellern geworfen. Alles fein wie es sich gehört – und die Omelettenpfanne war für Vogelheu da – und nicht, um dem Gatten eins überzubraten.
Innocent fuchtelt nun ganz wild mit seiner Krücke in Richtung Base: «So einen will ich – Assistente. Schaff mir so einen Stock her!»
Nun stützt sich die Seite von Innocent ja immer auf ihre alte Familiengeschichte. Das reicht aber nicht. Deshalb stützt sie sich auch auf einen Stock. Und Cousine Elisabeth – das muss ihr der Neid lassen – hat mit ihrem treffsicheren Geschmack das schönste der stützenden Exemplare ausgesucht: eleganter Griff – und das Holz wurde herrlich verglimmert, sodass der Stock in jedem Weihnachtsmärchen bei Frau Holle durchgegangen wäre.
Elisabeth schaut gelassen zum Assistente: «Da können Sie lange suchen, schöner Mann – den Stock habe ich von einer Curling-Partie aus Kanada mitgebracht. Man kann über die Kanadier sagen, was man will: Aber Stöcke bauen können die!»
Kanada lag nun doch etwas zu weit. Also machten sich Max und ich auf den Weg. Und klopften einschlägige Läden nach Gehstöcken ab.
DIE AUSWAHL WAR ETWA SO BUNT WIE EIN AFRIKANISCHER ELEFANT: GRAU … GRAU … GRAU. UND FÜR DEN TRAUERFALL: SCHWARZ.
«Haben Sie auch etwas Peppigeres», fragten wir eine der Verkäuferinnen.
Die tat gleich eingeschnappt: «Wollen Sie mit dem Stock zaubern? Oder wollen Sie sich darauf stützen können?»
In einem Antiquitätengeschäft fanden wir dann schliesslich etwas Passendes: ein mageres, allerliebstes Gehstöcklein mit einem Nilpferdkopf aus Elfenbein als Griff.
Max, als Kalabreser und in einem Land daheim, wo es nur Meerschweinchen gibt, die sie gerne essen, war vom Nilpferd beeindruckt. Und weniger vom Preis. Aber Innocent drehte daheim total durch: «450 Eier für diesen Schutt! Das ist erstens kein Gehstock. Der bricht doch schon bei 30 Kilo Lebendgewicht sofort ein. Und einen Gummi hat er auch nicht. Bei Stöcken weiss doch jeder: NIE OHNE GUMMI!»
Er legt nun richtig los: «Zweitens seid ihr zwei Pfeifen auf einen billigen Kunststofframsch aus China reingefallen. Der Kopf ist Hartplastik!»
Nun hatten wir ein chinesisches Plastiknilpferd, aber noch immer keinen eleganten Gestock.
Es war dann meine Freundin Esther, die mich aus Rom anrief: «Wir haben ein Geschäft entdeckt. Da stöckeln sie in allen Preislagen!»
«NIMM ALLE!», rief ich durchs Handy zum Tiber, «ER HAT JA GEBURTSTAG!»
Und so kommt es, dass Innocent zwischen neun Stock-Arten wählen kann. Es gibt darunter zwei traumschöne Exemplare aus Ebenholz mit Silbergriff und eingebauter Schnapsröhre, dann einen mit einem Hirschhorn als Abschluss. Und einen mit einer geschnitzten Ente, die man von ihrem Nest abschrauben kann, in das man dann drei Prisen Hanf unter ihrem Gefieder als Notvorrat legen kann.
«Ach ihr Guten!», schneuzte Innocent gerührt, als wir zu den Stöcken auch noch einen Geranienstock stellten. «So viel Schönes… und jetzt, wo ich fast wieder ohne laufen kann!»
DOCH WAS TUT ER?
Er wackelt weiter mit seinen AKW-Krücken herum. Und erklärt: «Diese schönen Stöcke wollen wir noch etwas aufsparen… für miesere Zeiten.»
P.S. Dasselbe hat er auch über die teuren Schiesser-Unterhosen gesagt, die wir ihm vor 23 Jahren gekauft haben.
Sie liegen noch immer ungebraucht in der Kommode. Für miesere Zeiten…