Von Max aus Rom und vom Tellerwaschen

Illustration: Rebekka Heeb

MAX MUSSTE HER!

Max ist eine Seele von Mensch. ABER ER HAT EINEN AN DER WAFFEL. UND ZWAR ZÜNFTIG.

Eigentlich heisst er Massimo. Aber aus Protest zu Italien und der überall herrschenden Korruption im Umfeld nennt er sich MAX. Und redet nur Englisch. Das ist besser so. Denn wenn er in seinem kalabresischen Dialekt dahersprudelt, kapiert ihn eh kein Mensch.

O.k. Das tut jetzt nichts zur Sache. Die Herzenssprache zählt. Und die war schon bei unserm Kennenlernen hunderttausend Ausrufezeichen.

Innocent wollte sich in Rom das Busticket sparen: «Du kennst die doch. Statt kontrollieren hocken sie an einer Bar. Und reden die Welt krumm. Da reiten wir mit dem Bus gefahrlos gratis.» Ich stieg seufzend ein. Um dann nach der zweiten Haltestelle dumm aus der Wäsche zu schauen: «BIGLIETTI PER FAVORE!»

Der Kotrolleur sah blendend aus: schwarzes Lockenhaar. Und eine Nase wie Heinrich Gretler in alten Tagen. Dazu Augen schwarz wie Ruhrkohle.

Innocent setzte diese Miene auf, die er sonst immer aufsetzt, wenn ich ihn frage, weshalb mein Bankkonto mit dem Haushaltsgeld schon seit 23 Monaten nicht mehr aufgestockt worden sei. Er sagt dann nur «ohhh?» und tut ahnungslos. So auch hier.

«BIGLIETTI PER FAVORE!»

«OHHH?»

Dann mit dem Zeigefinger auf mich: «E r hat gesagt, es sei gratis.» Dies in Schweizer Dialektform. Also: «Däää isch tschuld, ääär hett gsait...»

DER KONTRLLEUR: «AHA!»

Innocent schaut mich triumphierend an: «Du siehst – in solchen Situationen immer im Dialekt reden. Diese Analphabeten kennen ja kaum den Unterschied zwischen einem langen L und einem kurzen U und…»

«WÜRDEN SIE MAL IHREN AUSWEIS ZEIGEN!» – das war der Analphabet. In perfektem Deutsch. Und mit ein paar Kenntnissen in Schweizer Dialekt.

Nun jammerte Innocent auf Französisch los: «Oh, mon dieu! Il parle allemand.»

«IL PARLE AUSSI LE FRANCAIS», knurrte der Kontrolleur düster.

SCHLIESSLICH KNÖPFTE ER JEDEM VON UNS 50 000 LIRE BUSSGELD AB. Und er legte der Quittung grinsend einen Zettel mit seiner Telefonnummer bei: «Ich heisse Max. Treffen wir uns doch heute Abend auf einen Campari Soda!»

«SO EIN NETTER MENSCH», seufzte Innocent, «SICHER WILL ER UNS DAS GELD ZURÜCKGEBEN.» «So eine heisse Uniform», hüpften meine Gedanken zum Sprung los. «EIN TRAMKONTROLLEUR FEHLT MIR NOCH IN DER SAMMLUNG!»

Wir gingen mit verschiedenen Hoffnungen auf die Piazza Navona. Bestellten den Apero. Und hingen an Max’s Lippen. Er erzählte, wie er in einem Dorf Kalabriens aufgewachsen sei. Sein Vater, ein angesehener Arzt, schickte ihn nach Rom, als er merkte, dass Max sich während der Pubertät nicht für Loredana, der einzigen Hure in den kargen Dünen, interessierte. «WERDE EIN MANN!», brüllte er. Und warf ihn aus dem Haus.

Aber Max wurde kein Mann. Sondern Psychologe. Und natürlich hatte er keine Arbeit. Also schlug er sich während des Studiums als Tellerwäscher durch. Das ermächtigt ihn heute jedes Mal, wenn ich den Geschirrspüler eingeräumt habe, in einen belehrenden Sermon auszubrechen: «MAMMA MIA – DU BIST DIE TOTALE PFEIFE. DAS IST VON A BIS Z FALSCH AUFGEREIHT. ICH WEISS, WIE MAN SO ETWAS PROFESSIONELL MACHT.» Dann spült er jeden Teller einzeln von Hand vor. Und ich bekomme Flöhe. SO KANN ICH DIE TELLER NÄMLICH AUCH GLEICH ABTROCKNEN. UND FERTIG!

Aber die Kalabresen haben einen Grind, der ist härter als die Köpfe des SVP-Kaders. Und man kann ruhig von Beton sprechen.

«Weshalb redest du Deutsch?» Wir waren jetzt beim Du und dem dritten Campari.

«Die Abwascherei war stinklangweilig. Also hatte ich daneben ein Tonband mit Sprachkursen laufen lassen. Spanisch lernt man übrigens am Besten beim Abwasch von Suppentellern – für Deutsch sind Pfannen ideal.»

Max wurde unser Römer Freund. Irgendwann schickte er einen Brief nach Basel, er sei jetzt bei der Atac (das sind die Stadtbusse von Rom). Und kontrolliere dort in sieben Sprachen die Fahrscheine. Schweizer Bankschalterbeamte und französische Nonnen seien am schlimmsten – immer ohne!

Als die Atac-Chefs Milliarden Subventionsgelder privat einsteckten und der Betrieb pleite ging, wurde einen Drittel des Personals entlassen. Auch Max. Grund: Er hatte keine Kinder. UND DA HÄTTE ER BEI LOREDANA, DER DÜNENHURE IM DORF, EBEN DOCH MAL EINEN SCHNUPPERKURS BELEGEN SOLLEN.

Nun gut. Max schlug sich auch ohne Arbeit durch. Seine Mutter hatte ihm etwas Geld vermacht. Dazu eine Wohnung in Rom. Damit konnte er ganz gut leben. Und kam immer mal auf Besuch zu uns in die Schweiz. Oder auf die Insel.

Ich also ans Telefon: «Max – wir brauchen dich. Innocent liegt mit Schambeckenbruch flach. Und mir fällt das Dach auf den Kopf.» DA STAND ER AUCH SCHON VOR DER TÜR!

So wie er Teller gewaschen und Schwarzfahrer kujoniert hat, so perfekt ist Max als Krankenpfleger. Er hat die Geduld eines Engels, die Treue eines Appenzeller Hundes und die Sauberkeit eines Chemielabors. DAS TELLERWASCHEN HAT IHN GESCHULT.

Auch wenn ihn Innocent in seiner gereizten Art immer wieder wie ein nerviger Pinscher anbellt: «Ja hats dich durchgerüttelt, dass du jeden Teller zuerst von Hand vorwäschst. Weisst du was Geschirrwaschmittel bei uns kosten?

Max lächelt nur. Er besitzt Zeit. Den «Psychologen-Master». Dazu das Diplom «ERFOLGREICH GEPRÜFTER ABWASCHER». So etwas schenkt dem Menschen von heute die nötige Gelassenheit. Die Welt sollte mehr psychologisch geschulte Tellerwäscher haben.

Dienstag, 27. Juni 2017