Von Verlegern und grünen Männchen

Illustration: Rebekka Heeb

Es gibt Verleger. Und Verleger.

Ich bin ein solcher. Aber keiner für Bücher. Nein. Ich verlege alles andere: die blaue Krawatte mit der Mickey Mouse von meinem Freund Andy Warhol, meine Nagelschere (obwohl ich die Nägel meistens abbeisse; nur an den Zehen nicht, aus Mangel an Beweglichkeit). Ich verlege auch Zahnseide, die Gebrauchsanweisung für den mechanischen Fleischwolf und Blumendünger.

Letzterer beispielshalber war gestern noch da. DAS WEISS ICH GANZ GENAU. Ich stellte ihn auf die Terrasse neben den Stock mit den Allemann’schen Kletterrosen.

UND WAS PASSIERT? Heute steht eine Kiste Mineralwasser dort. Stilles. Das ist das Unheimliche. Denn ich trinke nicht still. Sondern laut.

«HAST DU DEN BLUMENDÜNGER WEGGERÄUMT…?», rufe ich zu Innocent.

Der hat die Leidensmiene der Mutter Dolorosa drauf. Er streckt mir zwei Krücken entgegen: «Wie sollte ich? Ich bin schon froh, wenn ich um den Rosenstock herumhumpeln kann!»

Es sind irgendwelche grüne Männchen, die sich von einer andern Galaxie zu uns rüberbeamen. IHR EINZIGES ZIEL AN DIESEM FIRMAMENT: MICH ZUR SAU ZU MACHEN.

Ich stelle mir vor, wie sie grinsend in den Wolken eine Pause einlegen: «Dem haben wirs aber gegeben!» SIE GEBEN ES MIR KONSTANT. UND BRUTAL.

Ich bin als Verleger auch notgedrungen «der ständige Sucher». Schon meine Mutter hatte das drauf. Murmelnd ging sie durch die Wohnung. Hob geistesabwesend ein Kaffeetellerchen auf. Blätterte im Telefonbuch (damals) oder schüttelte den Mixbecher aus.

«Es ist wieder so weit…» seufzte Vater dann. «Überlege einfach, wo du es das letzte Mal gesehen hast?» «Es – das waren bei Mutter meistens Ohrringe, das Abonnement für Loge 5, oder das Haarteil, das ihr eine Frisur ermöglichte, die selbst Farah Dyba erbleichen liess.

Bei mir war es dieses Mal das Halbtax-Abo der SBB. Es ist eine rote Karte. Man könnte sie auch aufs Handy laden. Aber da bei mir schon der Fahrkarten-Kauf mit dem Handy nicht klappt, weil sie mir immer wieder neue Code-Fragen stellen, habe ich mich für die konventionelle Art der Karte im Portemonnaie entschieden.

Nur ist sie jetzt nicht dort. Und auch sonst nirgends. Ich habe Stunden mit Suchen und Fluchen verbracht.

Deshalb rufe ich jetzt die SBB an. Und bin in der Warteschlange mit Musik, welche dieser Sängerin nachempfunden wurde, die sie Helene Fischer nennen. Und die mit ihrer Wippedi-Wappedi-Schau selbst Innocent ohne Krücken vom Sessel hoch bringt.

Es meldet sich eine Stimme – aber nur um mir zu sagen, dass das Gespräch aus Qualitätsgründen aufgezeichnet würde. Dann kommt eine freundliche Frau: «Wie kann ich Ihnen helfen?»

«Ich habe mein Halbtax-Abo verloren!»

«Oh je – Ihr Name bitte.»

Ich höre das «Dlaggdlaggdlagg» der Tastatur. Dann: «Das ist aber schon das vierte Mal…»

MEIN GOTT – ICH WILL EINE NEUE KARTE. KEINEN ALTEN VORWURF!

Wir einigen uns darauf, dass ich an einem der SBB-Schalter die neue Karte bestellen könne.

DANKE UND TSCHÜSS.

In dieser wunderbaren City, in der ich lebe, ist punkto SBB-Schalter gerade Chaos. UMBAUPHASE! Ich muss eine Nummer ziehen und bin die 329. Auf dem Blinkkästchen sehe ich, dass 211 als letzte aufgerufen wurde. Also werfe ich meine Gedulds- und Rosapillen ein – es sind die, welche dir einen frohen Tag machen, auch wenn du Nummer 329 bist.

Die Pille macht mich schläfrig. Und ich erwache erst bei Nummer 332: DREI STUNDEN DURCHGESCHNARCHT WIE EIN PENNER. DIES IN EINEM PROVISORISCHEN WARTESAAL. ES GEHT NUR NOCH BERGAB.

Am andern Tag bin ich dann früh dort. Und ergattere Nummer 21.

Der Mann am Schalter ist Kummer gewohnt. Er nickt seufzend: «Das kostet aber 50 Franken.» Egal. Wenn ich nur meine Karte wieder habe. «Sie kommt per Post.»

Halleluja! Nach fünf Tagen ist sie da. Ich reisse das SBB-Couvert auf. Und da bin ich: lächelnd. Und als Karte neu geformt. In diesem Moment blitzt etwas auf dem kleinen Schlüsseltischchen. Natürlich ist es die gesuchte alte Karte. Ein bisschen versteckt unter einem Nymphenburger Porzellanschuh. JAGIBTSDENNSOETWAS! Ich höre die grünen Männchen kichern.

Also: Karte entsorgen. Andere Karte ins Portemonnaie. Und ab geht die Post – dieses Mal per Zug nach Zürich. HALBTAX.

Schon nach Pratteln kommt der nette Schaffner, der heute ja anders heisst, aber eben: wie?

Er nimmt mein Ticket. Löchelt. Dann zielt er mit einer Art Laserpistole auf die rot-weisse Karte. Und stutzt: «Dieses Halbtax-Abo ist nicht gültig. Es ist gesperrt…»

Ich gehe in die Luft wie eine dieser bösen Raketen von Herrn Kim Jong-un in Nordkorea: «Der Ausweis ist brandneu!»

Der Schaffner, der titelmässig nicht so heisst, fingert an seinem Handcomputer: «Stimmt. Sie haben eben eine neue Karte bestellt. Aber das ist nicht diese hier. Haben Sie vielleicht die falsche weggeworfen?»

WIEDER ROSA PILLEN!

Wieder eine Nummer.

Wieder ein Dreistundennickerchen. Und wieder: SBB-Schalter.

«Ich brauche ein neues Halbtax-Abo.» Diesmal sitzt eine Frau hinter der Scheibe. Sie klaviert auf den Tasten rum. Und dann kommt der traurige Ton: «Das ist aber schon das fünfte Mal…»

Die grünen Männchen lachen sich einen Bruch.

Dienstag, 20. Juni 2017