Flohmarkt

Lilli schüttelte unwillig den Kopf: «SCHUTT. NUR SCHUTT!»

Sie hatte sich unter einem «Flohmarkt» etwas anderes vorgestellt. Nicht vergammelte Kleider, verrostete Büchsen und ein Berg von schmuddeligem Plastik.

Früher hatte sie auf solchen «marchés aux puces» ein Schnäppchen gemacht. Lilli liebte Grossmutter-Sachen. Sammelte Jugendstil. Und Porzellan. Vor allem altes Meissen.

Max war eher der nüchterne Spartaner gewesen: kein Chichi. Und: «So wenig Ballast als möglich!» – sagte er immer. Sein einziger Ausrutscher: ein prunkvolles Schachspiel aus Marmor und Onyx.

Lilli hatte nie Schach gespielt. Das Ganze war ihr zu kompliziert. Für Max aber bedeutete Schach «ENTSPANNUNG!»

Jeden Freitagabend besuchte er seinen Schachclub. Und kam dann besser gelaunt als sonst nach Hause.

Lilli wollte eben wieder zum Auto zurückgehen, als sie die Tassen sah. IHRE TASSEN!

Sie ging zum Tisch, wo die Mokka-Tässchen mit dem Meissner Streublumenmuster ziemlich achtlos am Tischrand neben einem scheusslichen Gummi-Tiger und einem Stapel Jerry-Cotton-Krimis vor sich hin staubten.

Lilli hob eines der Tässchen auf: TATSÄCHLICH. DIE ZWEI GEKREUZTEN SCHWERTER!

14 solche Tassen waren Lilli gestohlen worden. Sie hatte 40 davon gesammelt.

Anfangs merkte sie den Verlust nicht. Lange Zeit hatte sie dann ihre Haushälterin als Diebin in Verdacht gehabt. Sie hatte nichts gesagt. Aber Erna spürte ihr Misstrauen. Und kündigte.

UND JETZT STAND HIER 14 MAL MEISSEN!

Lilli räusperte sich: «Was wollen Sie dafür?»

Die Frau hinter dem Tisch war in Lillis Alter. Ungepflegt. Aber eine Frohnatur: «Werfen Sie einen Fuffer auf!» Fuffer? «Ja. 50 Franken…»

Lilli atmete durch. Die arme Seele hatte keine Ahnung. Für ein solches Tässchen bezahlten Sammler bis zu 300 Franken.

«Ok», lachte die Frohnatur nun. «Einen Vierziger für alle – ich bin froh, wenn ich den Schmetter los bin… habe keine gute Erinnerungen daran.»

«Aha», sagte Lilli.

«Ja – immer auf Weihnachten brachte er mir so ein Tässchen. Mit Pralinen gefüllt. Da gingen ja kaum 50 Gramm rein. Er war ein Geizkragen … hielt mich hin… sprach immer von Scheidung … aber natürlich blieb er bei seiner Alten!»

Jetzt sagte Lilli gar nichts mehr. Aber die Frohnatur kam in Fahrt: «14 Jahre ging der Zauber – 14 Jahre und 14 Tässchen lang. ZU LANGE!»

Sie holte nun Luft: «Dann meldete er sich einfach nicht mehr. Das war vor acht Jahren!»

Lilli war seit acht Jahren Witwe!

Die Frohnatur grinste jetzt: «Sein Drache daheim hat gemeint, er würde Schachfiguren rücken. Dabei ging der Läufer jeden Freitag zu seiner Königin…»

Die Frau schaute leicht beunruhigt zu Lilli: «Sie sind ja ganz käsig … ist der Preis zu hoch? Na dann – für einen Dreissiger können Sie alles abräumen!»

«Kann man mit Ihnen handeln?» – fragte Lilli nach einer Weile leise. «Nur zu – immer!»

Am nächsten Flohmarkt verkaufte die Froh­natur ein Schachbrett mit Onyx-Figuren.

Und Lilli hatte wieder 40 Tässchen.

Montag, 12. Juni 2017