Von der Suche nach Kaffee und Pfingstrosen

Illustration: Rebekka Heeb

Das Wiener Tageserwachen sieht so aus. Um 05.30 Uhr rumpelt es. Es ist, als würde die U-Bahn durch unser Schlafzimmer fahren. Aber es ist nur der Hausmeister. Er schleppt die Abfall-Container für den organischen Müll an unserer Parterre-Wohnung vorbei.

Die Container stehen schön aufgereiht im Hinterhof. Organischer Müll. Grüner Müll. Papier-Müll. Blech-Müll. Flaschen-Müll. Im Hinterhof wohnen auch die Müll-ers. Zumindest haben sie das Fenster zum Schutt. UND DAS IST GUT SO.

Die Müllers sind nämlich Kotzbrocken. Unsympathisch bis unter die Arme. Sie murmeln kaum «Grüass Gott». Und sie haben mich schon am ersten Tag, als ich mir im unheimlich dunklen Hausflur eine Zigarre ins Gesicht steckte, angeblafft: «HIER WIRD NIX GRAUCHT... MER SAAN EN ANSTÄNDIGS HAUS!»

SOLCHE SIND DIE MÜLLERS!

Ich also: «HUCH!» Und die brennende Zigarre in die Manteltasche. Resultat: Loch im Cashmere.

Nachdem der Hauswart also sämtlichen Organ-Wegwurf über die ziemlich niedrig gehaltenen Steinstufen vors Haus auf die Gasse gekarrt hat, ist von Schlaf keine Rede mehr. Ich schlurbe in die Küche. Und habe schon den ersten Durchhänger: «GEORGE? WO BIST DU?»

Herr Clooney fehlt mir an allen Ecken und Enden. Hier wird nicht gekapselt. Der Vermieter und seine nette Ost-Frau haben mir einen Melitta-Filter hingestellt. Und eine halbes Paket «WIENER KAISERMISCHUNG».

Der Kaiser schmeckte nach dem, was schon die Kebserweg-Omi sechsmal aufgekocht hatte. Und meine liebe Mutter, gotthabsieselig, eine «Bambeluure» schimpfte.

Ich wusste nie recht, was sie mit «Bambe­luure» gemeint hat. Jetzt weiss ich es. Und «George!», flehe ich zum Himmel, obwohl er ja noch nicht dort weilt. «Oh mein George! – was haben die Österreicher gegen dich?»

WESHALB KLÖNT HIER JEDER. UND CLOONEYT NIEMAND? Sie mixen sogar ihren «kleinen Schwarzen» mit der Wiener­mischung, die schon der Kaiser bei Billa eingekauft hat.

Innocent ist auch keine Kaffee-Koch-Hilfe. Er ist gestern eingeflogen. Und pennt noch. Im Übrigen ist er mehr auf der Tee-mit-Rum-Seite daheim.

Na gut – ich geh ins «Weimar». Ist ja gleich um die Ecke. Aber es ist kurz vor sieben. Und die öffnen erst um halb neun.

Ihr Pianospieler, der Herr Gustav, der übrigens sein Repertoire immer pünktlich fünf Minuten vor Mitternacht mit Udo Jürgens’ «Der Teufel hat den Schnaps gemacht» ausklingen lässt, hat gewerkschaftlich sieben klimperfreie Schlaf­stunden zugute. Also schliesst Herr Franz im «Weimar» die Türe erst um halb neun Uhr wieder auf. Um neun sitzt Herr Gustav schon wieder an den Tasten. Er startet das Morgenprogramm meistens mit dem «Radetzkymarsch».

Okay. Herr Radetzky und die zackige Melodie nutzen mir jetzt einen Dreck, weil die Uhr noch nicht einmal sieben zeigt.

Immerhin – die Bimmelbahn bimmelt schon. Und ich fahre von der Volksoper zur Spitalgasse. Dort leuchtet mir von Weitem «Aida» in der pinkigen Farbe frisch geföhnter Flamingos entgegen.

Das «Aida» ist in Wien ein Unikum. Überall stösst man auf die geschwungene Schrift und die rosa Farbe der Service-Mädchen. Überall tragen sie pinkige Rüscheröckchen und sachertortenbraune Schürzen darüber.

DIES SEIT 140 JAHREN!

Und obwohl «Aida» sich bis zu den 50er-­Jahren immer wieder neu erfunden hat und nicht – wie die andern Wiener Kaffeehäuser – in der Hofstaatstarre und den Gründerjahren ­eingefroren ist, obwohl hier also alles aussieht, wie ein Musikfilm aus den 60ern ist der Kaffee (so sagen ­Kenner) der preiswerteste und beste von Wien.

Vor allem: «Aida» hat offen! Schon früh. Wenn auch ohne Pianisten. Doch immerhin schon mit einer wunderbaren Auswahl an frischen Brötchen, Croissants und Wiener Gebäck.

DER TAG IST GERETTET!

Beim Naschmarkt herrscht eine Stunde später bereits Hochbetrieb. Die Touristen fallen wie die Heuschrecken ein. Irgendwie erinnert mich das alles an den römischen Campo dei Fiori: Hier wie dort haben die Blumen- und Gemüsehändler einst ihr frisch gepflücktes Angebot in alten, verschnörkelten Jugendstil-Häuschen oder an Holzständen angeboten.

DANN KAM DIE HYGIENE.

ALLES WURDE RESTAURIERT.

RENOVIERT.

UMGESTYLT.

Alles wurde um einen Zacken hässlicher. Und touristischer.

Statt Blumen und Kohl gibts jetzt verzuckerte Ingwerstückchen, steirisches Öl in geschliffenen Flacons und Marillenkonfitüre mit Trocken­röschen garniert. Jedes Töpfchen kostet etwa so viel wie ein Flug nach Mumbai.

Immerhin, bei «Hannerl», meiner Blumenfrau, die den ganzen aufgefrischten Jetztzeit-Zauber überlebt und ihre Blumen wie einst in Blech­eimern feilhält, kaufe ich die ersten Pfingstrosen.

Sie sind schweineteuer. Aber sie sind meine Lieblingsblumen. Und Innocent hat mir zu Hause, als er das Brot des Vormonats in den Toaster ­hämmerte, nachgerufen: «Wenn du Pfingstrosen siehst, dann kauf dir eine aus der Haushaltskasse. Ich weiss doch, dass sie dir Freude machen. Und da will ich mal nicht so sein...»

ICH KAUFE BEI HANNERL ALLE ­PFINGST­ROSEN, DIE SIE FRISCH IN IHREM GRINZINGER GARTEN GESCHNITTEN HAT.

Und dann schenke ich ihr noch eine Tafel ­Toblerone. Und sie mir drei Hyazinthen.

ICH MEINE: SO MACHT MAN FREUNDE. FREUDE.

UND EINANDER DEN TAG.

Dienstag, 2. Mai 2017