Vom Kuchenkrieg der Sachers und 830 Kaffeehäusern

Illustration: Rebekka Heeb

«Weshalb ausgerechnet Wien?» Vera sitzt vor mir im Café Weimar. Das Café ist eines der 830 Kaffeehäuser, die Wien diesen einzigartigen Charme verleihen – wie der Schlagobers auf dem Einspänner quasi. Vera gabelt sich durch ein Stück Sachertorte. «Das ist Wien», schwärmt sie.

Sie kam vor einigen Jahren wegen des Glücks hierher. Und sie i s t glücklich. Nicht nur wegen der Torten. Dabei wären wir wieder bei der «Sacher». UND DIESE TORTE WIRD MEINES ERACHTENS TOTAL ÜBERSCHÄTZT. ABER TOTAL, SAGE ICH EUCH.

Es gibt überall «die Sacher». Auch hier im Café Weimar. Klacksen sie ein bisschen Schlagobers daneben, heisst das Ganze «Mohr im Hemd».

ABER DIE SACHE(R) IST TROTZDEM NOCH FURZTROCKEN. Ich meine: nie mit Schwarzwälder zu vergleichen. Oder mit einem Mohrenkopf – sei es der schaumige. Oder der vanillige.

Die legendäre Wiener Torte mit der Schokoglasur und einer oder zwei Schichten Konfitüre wurde von einem Lehrling erfunden: dem kleinen Franz. Damals war er 16. Heute wäre er genau 200 Jahre alt.

Später sollte Franz dann der Schwiegervater der guten Anna Sacher werden. Diese hat mit viel Ehrgeiz und noch mehr Intrigen das Hotel bei der Oper geführt. Aber dafür kann die Torte nichts – obwohl sie auch heute noch in dem alten Kasten süss zelebriert und mit oder ohne Schlagrahmberg serviert wird.

Franz also steckte im zweiten Lehrjahr bei Fürst Metternich. Genauer: in dessen Küche. Und der Fürst taucht eines Tages auf. Macht in der Küche einen Riesenradau: Es kämen ganz besondere Gäste. Eine Hochzeitsgesellschaft. Mit seinem Lieblingsmaler als Bräutigam. Und deshalb müsse auch ein ganz besonderes Dessert auf den Tisch. Und: «…dass er mir ober kaa Schand mach…», blaffte der Herr Fürst zum Koch. Der machte sich natürlich direkt in die Hose: «Melde krank.» Und war dann mal weg.

Nun musste der Kochlehrling Franz einspringen. Und weil er schon immer lieber gebacken als gekocht hatte, rührte er den Teig zu einem Schokoladenkuchen an.

Das Rezept zu diesem Schokokuchen, der später «Sacher» genannt werden sollte, geisterte schon damals in den Kochbüchern herum. Franz überzog aber alles mit einer dünnen, dunklen «Kuvertüre» (so heisst das hier). Und unter den braunen, harten Deckel strich er eine kaum millimeterfeine Konfitürenschicht. Die Konfitüre war von Marillen. Und Marillen sind Aprikosen.

Na ja – jedenfalls waren alle begeistert: so einfach. Und so herrlich. Kurz: Torte gut – alles gut.

SO TROCKEN – das sagte keiner. Das sage ich. Und ich zähle nicht.

Die ganze Tortengeschichte bei den Metternichs geschah im Jahr 1832. «Brav, brav», seufzte der wieder gesundete Lehrmeister. Und strich dem kleinen Franzl übers Haar. Damit hatte es sich. Die Torte geriet in Vergessenheit. Franz eröffnete 1848 ein Delikatessengeschäft. Und nicht einmal dort war sein Kuchen zu haben. Eduard, der Sohn von Franz, hingegen verfeinerte das väterliche Tortenrezept. Dies ausgerechnet bei Hofbäcker Demel. Und so wurden die ersten Sachertorten dann bei Demel verkauft.

Als aber das Hotel Sacher von ebendiesem Demel-Konditor erbaut und vor 140 Jahren eröffnet wurde, kam dessen geschäftstüchtige Frau Anna auf den Kuchen zurück: «Wir servieren die Torte. Es ist immerhin Hausgebäck!»

Also kam die Sachertorte dorthin, wo sie ja eigentlich hingehörte: zu den Sachers. Natürlich tobte Demel.

Er beanspruchte den Namen für sich. Eduard Sacher war hier Lehrling gewesen. Und erst durch Demel sei die Torte bekannt geworden. ES WURDE DER KK WIEN – DER KUCHENKRIEG AN DER DONAU.

Inzwischen stritten auch die Wiener hin und her, welche Sachertorte die bessere sei. Der Unterschied: Bei Demel hat der Kuchen nur eine Schicht Marillenmarmelade. Im Sacher: zwei. Dort geht noch ein feiner Konfitürenaufstrich durch den Schokokuchenbauch.

Die Streithähne gingen nun vor Gericht. Jeder wollte seinem Kuchen den Originalnamen «Sacher» geben. Beim Richter hat man sich dann doch noch kurz vor einer Urteilsverkündung geeinigt: Im «Sacher» soll künftig «die Original Sacher Torte» verkauft werden. Im «Demel» aber die «Eduard Sacher Torte».

Beide haben ein Schokosiegel – die eine (Sacher) rund. Die andere (Demel) ein Dreieck. Viel luftiger hat die Lösung den Kuchen auch nicht gemacht.

Immerhin – noch heute ist «die Sacher» das meistgegessene Kuchenstück Wiens. Man kann es auch als Weihnachtskugel haben. Als Wachskerze. Oder als Weckuhr. Über 360 000 Torten werden jährlich von den Sacher-Bäckern produziert. Das macht gut 1000 Torten pro Tag.

Zurzeit ist der Hotel-Laden des «Sachers» im Umbau. Die Touristen stehen vor dem viel zu kleinen Provisorium zweimal um die Ringstrasse herum Schlange, um ein Stück des Kuchenglücks in alle Welt zu verschicken.

Selbst bei der Netrebko, die ja auch zu den Wiener Süssstückchen gehört, stehen sie nie so lange an.

Allerdings: In Wien bekommt man heute überall die Sachertorte – auch wenn der Kuchen gar nicht aus dem «Sacher» kommt.

Sie schmecken alle ähnlich: etwas sandig. Mit mehr oder weniger dickem Schokoladenmantel. Und die Marille muss man meistens suchen. «Mir ist die Kardinals-Schnitte lieber», sage ich zu Vera, die sich nun den Mund abwischt.

Vera ist bereits total Wienerin. Und grantelt: «Die Kardinals-Torte ist zu rahmig – aber die Sachertorte hat eine vornehme Schlichtheit.»

Ich liebe das Schwere.

Und das Süsse.

Und deshalb lasse ich mir noch einmal eine dieser rahmigen Schnitten der Kardinäle auf den Teller bringen.

Und dann in Gottes Namen halt auch noch ein Stück Sacher – da wollen wir mal nicht so sein…

Mittwoch, 26. April 2017