«Lass sie doch!» Silvia seufzte.
Jedes Jahr dasselbe Theater. Wenn die Frühlingssonne endlich den Rasen wärmte und die ersten goldenen Löwenzahn-Blumen wie vom Himmel gefallene Goldstücke im Grün funkelten – dann kam Arthur.
Er setzte seine spitze Schaufel an. Und packte das Übel bei der Wurzel.
«ARTHUR – DU WEISST, DASS ICH LÖWENZAHN LIEBE!» Arthur stach ungerührt die Blumen ins Jenseits. «JA. ICH NICHT!» Und: «ICH BIN HIER DER GÄRTNER!»
Manchmal fragte sie sich, wie sie das seit 40 Jahre aushielt. Alles ging nach seinem Kopf.
ALLES NUR, WIE ER ES WOLLTE.
IMMER: ARTHUR! ARTHUR! ARTHUR! Er war ein egomanisches Männchen, das sich wie ein Kreisel um sich selber drehte.
Schon als Kind hatte sie Löwenzahn geliebt. «In der Blume wohnt eine Fee», hatte ihr Tante Trude erzählt. «Sie verzaubert die Blüte in eine weisse Schneewolke. Und wenn man die in einem einzigen Atemzug wegbläst, darf man sich etwas wünschen …» Die kleine Silvia hatte tausend Wünsche. Manchmal liess die Fee sie in Erfüllung gehen.
«Ich werde ein Unkrautgift spritzen», knurrte Arthur. «Dieser verdammte Löwenzahn kommt immer wieder. Er verwüstet mir meinen englischen Rasen…»
Und die Frühlingskrokusse? Die wilden Veilchen? Das geht doch bei dieser Giftspritzerei alles drauf, dachte Silvia laut. «WER IST HIER DER GÄRTNER?!», blaffte Arthur.
Der Grünabfall-Sack war nun ein Leichenbett von schlaffen Stängeln und erloschenen Blüten.
«Es werden keine Schneekugeln mehr. Und die weissen Schirmchen vom Wind nie weggetragen …», spürte Silvia eine leise Traurigkeit.
«DAS WÄRE JA NOCH… – DIE WEISSEN SAMEN VERBREITEN DAS ÜBEL. DU BIST EINE HOFFNUNGSLOSE ROMANTIKERIN, SILVIA! ABER ICH BIN DER GÄRTNER!»
Er nahm sein Velo. Und radelte in die Stadt: «Ich hole jetzt das Gift!» – «Pass auf bei diesem Verkehr!», rief Silvia ihm nach. «WER IST HIER DER VELOFAHRER?!», rief Arthur zurück.
Und dann sah sie die weisse Kugel. Etwas verloren, ängstlich zitterte sie auf dem dünnen, grüngelblichen Stängel.
Silvias Herz hüpfte freudig: ARTHUR HATTE SIE ÜBERSEHEN: Etwas verborgen beim Johannisbeer-Busch hatte sich die goldene Blüte zur Pusteblume verwandeln können.
Sorgfältig hielt Silvia den gelbgrünlichen, Stängel in der Hand. Behutsam pflückte sie die Blume, sodass die Kugel nicht auseinanderfiel.
Dann betrachtete sie die weisse, grazile Pracht. Und dachte an Tante Trude. An die Fee. Und an den Wunsch.
Sie schloss die Augen. Atmete tief durch – und schon tanzten die Samen wie weisse Miniatur-Fallschirmchen in der Luft.
Eine Stunde später kam die Polizei. «Silvia Müller? Wir müssen Ihnen leider eine traurige Nachricht überbringen… Ihr Mann… er bog ohne Handsignal ab… ein Lastwagen…»
Sie übergaben ihr einen Plastiksack – darin war Arthurs Portemonnaie. Und eine Dose mit Unkrautvernichter. Das Portemonnaie nahm Silvia an sich. Die Dose wollte sie später im Giftmüll entsorgen.
Silvia lächelte: In ihrem Garten würden künftig weisse Löwenzahn-Kugeln in der Sonne flimmern. Und jede der Pusteblumen sollte ihr einen Wunsch erfüllen…