Von der Wiener Wohnung und Frau Reka

Illustration: Rebekka Heeb

Es war nicht einfach.

Es gibt natürlich Tonnen von Wohnungen in Wien.

Aber wenn einer die Hofburg und Sissis Boudoir gesehen hat, kann man nicht einfach zu jedem Linoleumboden und einem schiefen «Wasch­kasterl» Ja sagen.

Es war mein Prager Freund Pavel, der mir Herrn Franz vermittelte.

Herr Franz hat Häuser und eine ungarische Gattin, die Frau Reka.

Frau Reka tönt so gesund. Und nach einer ruhigen Therapie. Aber Frau Reka hat Paprika im Hintern. Sie macht Gulasch, so feurig wie ein Steppenbrand. Und sie singt. Dies nicht sehr gekonnt – aber sehr laut.

«Ich wär gewordän gutäs Modom Bötterflai, wenn nicht gewäst Unfoll mit Zoltan.» – Diese Arie bringt sie mir als Ouvertüre.

Also ich reime mir die Dinge später so zusammen: Frau Reka ist ein Mädchen im Kirchenchor eines Vororts von Budapest. Herr Franz, Wiener und so auch Liebhaber klerikaler Musik, kommt als Tourist nach Budapest. Lauschige Nacht nach dem Konzert. Sie singt ihm eins privat.

UND PENG! Neun Monate später: Zoltan.

Beide ziehen die Konsequenzen: keine künftige Madame Butterfly … NIE MEHR EIN VERSCHMUSTER ABSTECHER NACH EINEM KIRCHENCHOR-KONZERT!

Frau Reka und Herr Franz erwarten mich zur Besichtigung. Ganz klar: Sie hat die Hosen an. Er wiederum trägt das Leid dieser Welt am Ranzen: einen Morgenrock wie dieser geldgierige Hausmeister aus «La Bohème». Und Finken, wie ich sie seit der Zeit, als mein lieber Freund Innocent sein Hab und Gut aus dem Kinderzimmer zügelte, nie mehr sehen musste.

Natürlich halte ich mich an Frau Reka.

Ich bewundere wortreich ihr Timbre in dieser hochvibrierenden Stimme, die mich sehr an Trudi Gerster erinnerte, wenn sie jeweils die drei lustigen «Süüli» gab. Ich versichere ihr, dass sie bestimmt eine sensationelle Turandot geworden wäre, wenn nicht Herr Franz… die neun Monate… und dann Zoltan…

GUT GEMACHT.

Sie ist schon hin und weg.

Ein Paket Basler Truffes von Herrn Krebs erledigt den Rest.ICH HABE DIE KLAUSE.

Das Haus ist alt. Hoch. Und etwas wackelig.

Seltsame Jugendstil-Köpfe strecken mir die Zunge raus. Steinblumen bröckeln. Und der Keller gäbe einen wunderbaren Sadomaso-Ort. Die Ketten hängen schon. Und Seile liegen auch herum.

Die Wohnung ist höher als drei aufeinander gestellte Menschen und ich hoffe fest, ich werde hier nie eine Glühbirne auswechseln müssen.

Ich verliere mich in sechs Zimmern. Und es gibt riesige Fensterfronten, die eine türkische Zugehfrau mit immer demselben alten Stück ­Krone-Zeitung fleckenlos reibt.

Es gibt überdies Mäuse, aber auch einen Waschhausschlüssel.

JA WAS WILL MAN NOCH MEHR.

Meine neue Wohnung liegt nur drei Marillenknödel von der Volksoper entfernt. Die Volksoper schwächelt zwar im Moment – aber die Marillenknödel sind stark. Man bekommt sie im «Operncafé». Und pro Stück schüttet der Koch die leicht angebräunte Butter einer ganzen Kuh darüber.

Man muss einfach sagen: Nicht umsonst ist Wien Europas Wohlfühlstadt Nummer eins und hat seit ein paar Jahren das arme Zürich vom Spitzenplatz verdrängt.

Die Lebensqualität ist wunderbar: Das Tram in den Farben Österreichs bimmelt seine Passagiere rund um das Herz der Innenstadt und heisst deshalb auch die Bim – ein Name, der das Herz jeder Trämlertochter vor Freude wienerisch walzern lässt. Wunderbar sind auch die Kaffeehäuser. Innocent hat einen Stadtplan gezeichnet, wo die besten «Kardinals-Schnitten», «Mohr im Hemd» (also hier darf man das noch unausgepeitscht sagen – alles andere wäre Quellenverfälschung) und «Topfenkugeln» aufgezeichnet sind.

Die Wiener sind im wahrsten Sinne des Wortes süss. Sie stehen auf im Tram, wenn Innocent ­hereinwackelt. Und sie putzen ihm gar den Sitz «reserviert für Schwangere» mit einem Taschentuch sauber: «Bitte sehr, der Herr Doktor…»

«Sie kennen mich alle…», seufzt Innocent hin und weg vor Glück, bis er schnallt, dass in dieser Stadt jeder ein «Herr Doktor» oder zumindest ein «Herr Graf» ist.

Natürlich sind Herr Strauss und sein Dreivierteltakt allgegenwärtig. Im Stadtpark leuchtet der Walzerkönig sogar als goldene Statue in der Sonne und nachts im Mondlicht (das mit etwas Scheinwerferzugabe verstärkt wird). Bei der Oper, wenn einer auf der Rolltreppe zur U-Bahn hinabschwebt, damdirideit der Donau-Walzer rund um die Uhr vor den öffentlichen Toiletten.

Man sieht das Orchester nicht. Aber der Takt animiert Wiener wie Touristen dazu, mit fröhlichem Taktgefühl und gut drauf ihr Geschäft zu erledigen.

ALSO WENN DAS NICHTS IST!

Natürlich fehlt uns in Wien der Zürichsee. Das wollen wir gar nicht schönreden. Dafür haben sie aber das sauberste Trinkwasser von Europa, den Espresso, den sie «kleiner Schwarzer» nennen, zu einem Drittel vom Limmatpreis und auch den netteren Dialekt.

Und während in Zürich Sushis nur in feinen Läden gerollt werden, bekommt man sie hier an jeder zweiten Tramhaltestelle am Kiosk beim Chinesen. Auch «Walk-Noodles» zum Mitnehmen. Und «coffee to go» – alles made in China. Lediglich die Mozartkugeln sind noch echt «wiienarisch», obwohl wir alle ­wissen, dass das Glanzpapier aus Peking kommt.

Innocent und ich geniessen diese Wiener Tage und die grosse Wohnung, die auch einen Nachteil und immer wieder Telefonate mit sich bringt: «Wir haben gehört, ihr hättet so viel Platz… wir wollten Wien schon immer mal zur Osterzeit besuchen. Holt ihr uns am Flughafen ab?»

ABER HALLO – GEHTS NOCH!

«Wie, Wien – für uns allein…», singen wir in Gedanken im Walzertakt.

Und: «Wir sind schon complet» – reden wir uns laut raus.

Wir lassen uns doch nicht von jedem ­dahergelaufenen Eidgenossen unsern Doktor-Titel streitig machen…

Dienstag, 18. April 2017