«Es kommen alle!» – sagt Arthur.
Als ich Arthur das erste Mal begegnete, dachte ich, er sei sein Chauffeur. Ein schlaksiger Kerl im etwas abgetragenen Anzug zottelte auf mich zu. «Und wo ist Herr Cohn?», fragte ich ihn. «Herr Cohn bin ich», lächelte er schüchtern.
ARTHUR PASSIEREN IMMER SOLCHE DINGE.
Als er an der Award-Party in Los Angeles teilnahm, winkte ihn Liv Ullmann herbei: «Für mich bitte ein Glas Mineral, danke!» Fünf Stunden später, als er an der grossen Verleihung die Bühne betrat, rief die grosse Schauspielerin mit weit aufgerissenen Augen: «ICH GLAUBS JA NICHT – MEIN KELLNER HAT EINEN OSCAR GEWONNEN!»
Das war der erste. Es folgten weitere fünf. Damals, als ich ihn für seinen eigenen Chauffeur hielt, hatte er eben den dritten abgeholt. Und wollte mir ein Interview geben. Zu jener Zeit sprach in der Schweiz kein Mensch von Arthur Cohn. In Amerika schon. Seinen Bekanntheitsgrad in Hollywood wurde mir erst so richtig bewusst, als er ein paar Basler bei Mutter Spielberg in ihrem «Milky Way» zu einem Nachtessen einlud.
«Sie bekommen hier die schlechteste Küche von ganz Amerika», strahlte Leah Adler mich an. Und zeigte auf die Tomatensuppe: «Ich kann Ihnen flüstern: D a v o n essen Sie nur e i n e n Löffel.» Na gut. Sie war immerhin die Mutter des bekannten Steve Spielberg. UND DER IST JA WIRKLICH EINE WUCHT. Die Suppe war es nicht. Und Mutter Adler grinste triumphierend: «Na, Dickerchen, was habe ich gesagt?»
Im Restaurant, ein paar Hüpfer von Beverly Hills entfernt, traf sich damals die ganze Illustrierten-Prominenz. Da die eh immer Linienprobleme hat, war das Essen kein Thema.
Gut. Machen wir Namedropping: Die Minnelli war da. Elton John und Shirley MacLaine ebenfalls (sie besprachen sich für den Auftritt an einer Aids-Benefizgala). Und – mir stockte der Atem – jetzt stand gar der (damals noch) deutsche «Wetten, dass...?»-Superstar Thomas Gottschalk unter der Türe. Kein Schwein drehte sich um. Auch nicht, als Claudia Schiffer mit dem magischen Copperfield die Szene betrat. UND DANN TIPPELTE ARTHUR DURCH DIE TÜR.
Es war, als würde ein Gewitter über das «Milky Way» hereinbrechen. Blitzlichter gaben alles. Die Stars umringten Cohn. Und ich dachte nur: «Das sollten die aber mal in Basel sehen.» Denn in Basel lächelte man über ihn: «Ja, ja – unser Arthur.» Mehr nicht. (Allerdings hat er diese Anonymität in seiner Lieblingsstadt immer besonders geschätzt.)
Mit der Zeit wogen die Wellen auch in Helvetien. Arthur Cohns goldene Oscar-Männchen – und welcher Produzent hat schon so viele! – wurden zum Thema, seine Werke zu Klassikern: «Il Giardino dei Finzi-Contini», 1970 gedreht, gehört immer noch zu den zehn berühmtesten Filmen der Welt.
«Sie kommen alle» – das war also Arthur.
«Ich bin in Sizilien», sage ich.
Er überhört solche Einwände einfach: «Der Film wird dir gefallen – Brian Cox spielt grossartig. Ein goldiger Mensch…»
«Ich hasse Galas», stöhnte ich.
«Du sitzt ganz nahe bei Roger Federer.» ACH GOTTCHEN. DER WUNDERBARE ROGER. ABER INS FLUGZEUG STIEG ICH DANN FÜR ARTHUR.
Drei Stunden vor der Gala dann ein Alarm-Anruf des lokalen TV-Senders. «Wir sind von Glam. Du kommst doch heute Abend? Könntest du mit uns die Fummel der Leute kommentieren? STYLE, du weisst… wir haben uns gesagt: DU bist der Experte und…» Fummel-Experte? Mit meinen Einlagen in den Entenschuhen und den immer etwas zu engen T-Shirts ist das wohl sehr, sehr hoch gegriffen. Aber roter Teppich, Kamera und diese unbezähmbare Mediengeilheit. Ich bin nun mal eine Rampensau. Deshalb: «Okay. Mache ich.»
Es war einer der kältesten Abende überhaupt. Als ich im leichten Abendanzug (ich mag keine dicken Stoffe) und einem hauchdünnen Smokinghemd, dem mein Schneider, Herr Kring, die Ärmel abschneiden musste, weil ich lange Hemdarme und Manschettenknöpfe noch mehr hasse als Galas, wie ich da also zum Musical-Theater wackelte, überfiel mich schockartig diese eisige Kälte, die ich nur noch in Irkutsk erlebt habe, als mir jeder und alle im Januar ab Bauchladen Karamelleis im verschneiten Park verkaufen wollten.
Deshalb: «Wenn ich nicht mit Lungenentzündung dahinserbeln will, muss ich dicke Unterwäsche besorgen. UND ZWAR SOFORT. In einer halben Stunde beginnt der Dreh! Ich jagte also in die Hammerstrasse. Ein Inder hatte an Kleiderständern diverse Trainerhosen aufgepinnt – «auch lange Unterhosen?», fragte ich ihn. «Aktion», sagte er. Dann schaute er mich kritisch an: «In ihrer Grösse haben wir aber nur himmelblau. Dazu ein grünes Oberleibchen.» Ich zwängte mich in die enge Umziehkabine, schälte den Galafummel vom Ranzen. Stieg in die himmlische Unterhose. Und stülpte das grüne T-Shirt über. Dann Fummel wieder an. Und ab die Post!
«Wir drehen drinnen…», lächelte die Kamerafrau, «draussen ist es einfach zu kalt.»
Nach zehn Minuten sprühte ich Wasser wie der Rheinfall vor Schaffhausen. Nach zwanzig Minuten hatte ich einen Kopf wie eingeflogene Himbeeren aus Sudan. Und nach einer halben Stunde jagte ich auf die Toilette. Schälte mich zwischen Schüssel und Trennwand aus allem Indisch-Heissen.
JETZT KAM DAS GROSSE PROBLEM: WOHIN MIT DER UNTERWÄSCHE? ANTWORT: DIE LASSEN WIR JETZT EINFACH MAL HIER NEBEN DER SCHÜSSEL LIEGEN!
Nach dem Film traf sich die Prominenz in oberen Gefilden. WUNDERBAR. So konnte ich jetzt also mit Roger ein Selfie selfen. Und dann facebookweit dick damit angeben.
Ich kämpfte mich durch die Promi-Menge, schubste Frau Paola in eine Platte mit belegten Brötchen und war schon fast an Federers Brust, als ein Mann im blauen Overall mich scharf anschaute: «Ich bin der Abwart hier. Sie haben auf der Toilette etwas vergessen…»
Mit spitzen Fingern streckte er mir die lange Unterhose und das lindengrüne Leibchen entgegen. DAS SIND ALL DIESE FÜRCHTERLICHEN DINGE, DIE SICH H I N T E R DEM GLANZ EINER GALA ABSPIELEN.
Roger Federer hat mir dann kein Autogramm gegeben. Aber Brian Cox klopfte mir tröstend auf die Schulter: «Shit happens – you want a beer…? Wie Arthur sagte: ein wirklich goldiger Mann.