Herr Fritz

Karl schüttelte den Kopf: «Dass es so etwas noch gibt!» Er sass in einem der unzähligen, alten Wiener Cafés. Alles zeigte sich ein bisschen verstaubt: ausgebleichter Viola-Plüsch. Aber der Apfelstrudel kam ofenfrisch auf dem Teller. Er war mit einer Vanillesauce umflort, welche die Engel jauchzen liess.

Karl genoss die Tage in Wien. Er liebte die KK-Zeit – die Kaffeehäuser und Kuchen-Epoche. Und er liebte diese Stille in den Kaffeestuben, wo selbst die Kellner flüsterten, wenn sie denn mal kamen.

DIE KELLNER WAREN DIE KÖNIGE DER STADT. Selbst die Wiener Herrschaften buckelten vor ihnen: «Servus, Herr Fritz – wie gehts denn ihrer Hüfte heute?»

Herr Fritz lahmt wie ein alter Gaul. Er lahmt schon seit 40 Jahren im Café Weimar herum. Und seit 40 Jahren lässt Herr Fritz auch seine Herrschaften auf den «Einspänner» lange warten – so, wie eine kapriziöse Jungfer ihren Galan auf Grünlicht zum Flachlegen warten lässt. KARL HAT JETZT SCHON ZUM DRITTEN MAL HERRN FRITZ GEWUNKEN – ER HÄTTE AUCH DEM MOND ZUWINKEN KÖNNEN!

Endlich schlurft der Kellner in seinem schwarzen Jacket und der weissen Fliege unter dem abgewetzten Hemdenkragen an: «Sammer pressiert…!?» Karl schüttelte den Kopf: «Nein. Gar nicht. Ich…» «Na sehns – das Pressieren ist näämlig a Untugand von hait…»

Karl nickt beflissen: «Sicher. Sie haben ja so was von recht. Ich wollte nur…»

HERR FRITZ IST SCHON WIEDER WEGGEHUMPELT.

Seufzend räumt der Kellner nun die Tageszeitungen von den Tischen: «Saauber sanns di Lait… keener und nix hat sai Ordnung mehr!» Dann eilt er zur Türe. Sie geht nur mühsam auf. Sie hats genauso schwer wie Herr Fritz. «A wunderbaren Tag, Frau Professor…» Herr Fritz knickst vor einem uralten, zierlichen Persönchen, welches die Riesenpforte alleine kaum geschafft hätte. «I hob den Tisch frei ghalten…»

«Danke, Herr Fritz…» – ihre alten Äuglein zwinkern listig. Und: «Heut kaan verlängerten Schworzen … y hob schlecht gschlofen. Bringens zum Mohnweggerl en Kräutertee…» Wieder die Verbeugung: «Sehr wohl, Frau Professor…» «…und drückens den Schlips grad, Herr Fritz!»

Der Kellner nistelt am Kragen herum: «Jösses, verzahns, Frau Professor – aber die viele ­Aarbet…» «Jawohl, Herr Fritz!»

Karl überlegt, wie solche Oasen in Wien überhaupt existieren können: Bei uns wäre das schon längst ein Foodcenter mit Espresso-Bar, hüpfen seine Gedanken herum… und Figuren wie diesen Kellner gabs nur noch in den alten Hans-Moser-­Filmen. HIER SPIELTE HERR FRITZ ABER JEDEN TAG LIVE SEIN PROGRAMM!

«Herr Fritz …», machte sich Karl bemerkbar. Er rief dem Kellner zu, der hinter dem Buffet ein Mohnweggerl für die Frau Professor auf eine gefältelte Papierserviette anrichtete. «I komm schon…»

Eine Stunde später sass Herr Fritz bei der Frau Professor am Tisch. Sie hielt seine Hand: «Glaubens mer, Herr Fritz – das Brenesselpfloster tut Wunder, wenn der Hoxen kasperlt…» «Es is die vülle Orbait, Frau Professor», sagt Herr Fritz, «die Lait homms alle so pressant… kai Gmüetligkait mehr…» Dann in Richtung Karl: «I komm schon, der Herr…»

Montag, 3. April 2017