Einkauf

Natürlich. Sie standen Schlange. Bei Kasse 4 hatte einer einen Kilosack mit Zucker aufs Fliessband gestellt. Leider war der Sack gerissen und das Fliessband nun auf zuckersüsse Art blockiert. Bei Kasse 6 funktionierte das Lasergerät nicht. Es machte «Piiieeep». Gab aber bei allen Code­strichen immer nur 7 Centimes ein. Und «HERR JUHASZ – KASSE 6» – rief eine Mikrofonstimme verzweifelt. Die Kassen 1, 2, 3 waren geschlossen. Man sparte Personal ein.

Tino schüttelte den Kopf. Er sollte schon seit zehn Minuten beim Kegeln sein … Es hatte seine Zeit gedauert, bis er diesen Höhlen-Emmentaler gefunden hatte, der auf Annas Liste stand. Es gab Dutzende von Käsesorten. Alle in Folie erstickt. Irgendwie erinnerten Tino diese bleichen Käseteile an den Sonntagskrimi: Leichen im Tiefkühlhaus. Alle mit Einlieferungs-Data.

Neben der Käseauslage hatte das Super-Center einen grossen Tisch aufgestellt. Darauf: vier stark duftende Käselaibe nach einem uralten Rezept, das diese noch älteren Männchen auch Uwe Ochsenknecht nie verraten wollen. APPENZELLER WOCHE! Hinter dem Tisch schnitt ein gut gerundeter Mann im Trachtenfummel Käsestücke vom Ganzen. Er kam mit Säbeln kaum nach. Die Leute rissen sich um ein Stück Appenzeller, das von Hand zugeschnitten wurde.

Tino seufzte. In seiner Kindheit war alles «handgeschnitten» und «handabgefüllt» gewesen. Er dachte an den dicken Itin, der ihm stets ein Rädlein von der Lyonerwurst zugeschoben hatte. Er dachte an die alte Frau Handschin. Bei ihr hatte seine Grossmutter nie mehr als drei Eier gekauft: «So sind sie immer frisch, Bub!» Und wenn die Grossmutter «bitte nur 50 Gramm Butter» verlangte, war das kein Problem. Frau Handschin trennte die 100-Gramm-Portion in zwei Hälften. Und wickelte eine in festes Metzgerpapier. Dann – UND DAS WAR DAS HÖCHSTE! – griff sie zur Glasdose mit den vielen bunten Bonbons drin. Tino durfte sich eines nehmen.

«Die Lebensqualität in den Schweizer Städten ist extrem hoch», hatte Tino kürzlich gelesen.

WIE? WAS? WO? Er schüttelte den Kopf: «Die Menschen hatten doch überhaupt keine Ahnung, was Lebensqualität bedeutet…» Die Schlangen vor den Kassen wurden immer länger. LEBENSQUALITÄT!? – TINO SCHNAUBTE.

«Dort kann man die Ware selber einscannen», hört er eine junge Stimme neben sich. Sie gehörte einer Studentin. Das Mädchen trug einen Einkaufskorb mit Orangensaft. Zwei Schalen Himbeeren. Und einem Paket Slipeinlagen. «Kommen Sie – ich zeige Ihnen, wies geht!» – Sie nahm Tino einfach am Arm: «Hier ist der Scanner – das ist der Bildschirm. Es ist ganz einfach…», strahlte ihn das Mädchen an.

«Wir werden wohl bald auch die Eier selber in die Regale auffüllen müssen…», knurrte Tino. Die Studentin lachte: «Und jetzt müssen Sie hier am Apparat nur noch bezahlen…» «Früher gabs ein Bonbon», seufzte Tino der alten Zeit nach. «Jetzt gibts Treuebon-Bons», konterte die junge Frau. Zu Hause kontrollierte Anna die Quittung: «Hier sind zwei Flaschen Orangenjuice drauf… auch Himbeeren… und wofür brauchst du Slip­einlagen, Tino…?»

DIESES BLONDE LUDER! «Ich muss zum Kegeln», antwortete er.

Montag, 27. März 2017