Vom Stress mit Kindern und von Joints dagegen

Illustration: Rebekka Heeb

Rosie löchert mich. Rosie ist meine älteste Freundin. Die beste aller adoptierten Schwestern. Und die gross­herzigste aller Grossmütter.

Aber jetzt: «DAS BRINGT DICH DOCH NICHT UM!»

Nein. «Um» nicht. Aber es bringt mich an den Rand des Wahnsinns. Ich soll nämlich ihre Grosskinder hüten. So quasi als männliche Kita-Tante mit Schnauzer. ABER BEI MIR HERRSCHT NULL BOCK AUF KINDER. ICH MEINE, WENN ICH GERNE KINDER GEHABT HÄTTE, HÄTTE ICH MIR SELBER ETWAS GEBASTELT. IST JA KEINE HEXEREI!

Aber nein! Zu viel Verantwortung. Zu viel Nervengetöse. Zu viele herumliegende Spielsachen.Und vom Duft der vollen Pampers wollen wir hier gar nicht erst reden. Deshalb: «Ich bin nicht der Pampers-Wechsler-Typ.»

Rosie bekommt eine leicht dickere Halsschlag­ader: «Diese Pampers-Scheisser sind jetzt elf und zwölf Jahre alt. Also beinahe erwachsen. Heute sind Kinder frühreif. Du willst gar nicht wissen, was die an ihrem 10. Kindergeburtstag schon so alles draufhaben und…»

NEIN. WILL ICH NICHT. Und deshalb: «Was ist mit den Eltern?»

«Ach die!», wischt Rosie mit Nasenrümpfen ihre Tochter und deren Angeheirateten aus dem Gespräch, «die haben ein Wellness-Weekend im Schwarzwald gebucht. Ich selber muss nach Winterthur an dieses Klassentreffen. DA BLEIBST NUR DU!» Sie schaut mich wieder resolut an: «DAS BRINGT DICH DOCH NICHT UM! DENKE AN ALL DIE COLAFRÖSCHE, DIE ICH DIR ABGEGEBEN HABE!»

Stimmt. Aber: «Du hattest Früh-Diabetes…!»

Ich hole Lisa und Ralf am Adelbodner Busbahnhof ab. Sie tragen je einen Rucksack, aber keine Geschenke bei sich. Schon ziehen sie einen Flunsch: «Hier ist es aber schweinekalt … weshalb müssen wir zu dir?»

ICH MEINE: DAS SIND BEGRÜSSUNGEN, DIE DAS HERZ ERWÄRMEN!

«Ihr seid bei mir, weil eure lieben Eltern ein paar Ruhetage von euch mehr als verdient haben…» – Ich sage das, weil Rosie es mir so gesagt hat.

Aber die Kleinen gehen voll aufs Ganze: ­«VERDIENT?! SEIT UNSER VATER NUR NOCH HALBTAGS ARBEITET, HOCKT ER JEDE FREIE SEKUNDE AM COMPUTER UND ZIEHT SICH DIESE FILME MIT DEN NACKTEN WEIBERN REIN. MUTTI BRÜLLT DANN HERUM UND ­BERUHIGT SICH MIT EINEM JOINT. UNS BLAFFEN SIE AN: ‹HABT IHR KEINE HAUSAUFGABEN?› ABER HALLO – WER HAT DA EIN WELLNESS-­WEEKEND VERDIENT?»

Ich bin geschockt.

Die armen Kinder.

Sie bräuchten Liebe, Verständnis, kompetente Unterstützung – und was bekommen sie? NACKTFILME UND HASCH.

Rosie, Rosie – ich muss mich doch sehr wundern. Kann man da ruhigen Herzens an einen Klassentreff nach Winterthur verduften?

MEIN HERZ IST GROSS, MEIN HERZ IST REIN – SO LAD’ ICH SIE ZUM KUCHEN EIN!

Aber die Kleinen motzen schon wieder rum: «Wir essen keinen Kuchen. Die sind meistens nicht glutenfrei. Und wenns Rosinen drin hat, essen wir sie eh nicht…»

Ich denke an die Apfelwähe, die ich daheim für die Kinder vorbereitet habe: BOSKOP, ZUCKER, ZIMT – KUCHENTEIG MIT GLUTEN. UND ZWEI HANDVOLL ROSINEN. In Gedanken entsorge ich die Wähe im Schweinetrog.

«Haben Sie auch irgendetwas Glutenfreies?», erkundigt sich Lisa bei der Serviertochter im Café Schmid.

Diese lächelt freundlich wie ein Schneehase vor der Rübe: «Aber sicher: Fruchtsalat. Oder Röschti mit Spiegelei.»

«HABEN SIE AUCH DIESES GESÖFF, WO MAN DANN FLIEGEN KANN?»

Die Serviertochter aus Tschechien behält die Contenance: «Red Bull ist nicht jugendfrei. Aber für besonders nette Gäste machen wir ­Schoko-Shake…» – «Ich bin ein Lactose-Fall», erklärt Ralf wichtig. Und bis sich die Kinder endlich zu Ananas mit Loch und zweimal Cola Light durchgerungen haben, habe ich im ganzen Stress bereits drei Stück Schwarzwälder und vier Thon-Brötli intus.

ALLES HOCH LACTOAKTIV UND GLUTENVOLL!

Der Weg vom Café Schmid zu unserem Chalet sind dann 15 Minuten. ABER DIESE KINDER TUN, ALS WÄRE ES EINEN AUSFLUG AUF DEN MARS!

«Gibts in diesem Kaff kein Taxi?», meckert Lisa.

Und nun werde ich zum ersten Mal wurmig: «ES GIBT. ABER NICHT FÜR KLEINE VORLAUTE BÄLGER! JETZT HEBT MAL EUREN ARSCH, ­VERDAMMICH!»

Oh, das hat aber gewirkt. Die Kleinen warfen einander vielsagende Blicke zu. Pressen die Lippen zusammen. Und stapfen durch den Schnee.

Zu Hause tat mir der Ausbruch dann bereits wieder leid: «Wir könnten heute Abend ins Kino gehen. Sie bringen ‹Heidi›. Ihr wisst schon: das fröhliche kleine Mädchen von der Alp, das nach Frankfurt zieht und…»

«HEIDI IST SO WAS VON SCHEISSE!», werde ich vom frohen Kindermund belehrt. «DA HOCKT DIESE GÖRE IN EINEM PRACHTSPALAST VON FRANKFURT. BEKOMMT VON DIENERN DIE FEINSTEN DINGE ­SERVIERT. UND SO ETWAS WILL DANN IN DEN STALL UND ZU DIESEM ABGEFUCKTEN GEISSENMILCH-OPI ZURÜCK – JA WER GLAUBT DENN SO EINEN MIST?»

Ich sage nichts, weil es nichts zu sagen gibt.

«OMA ROSIE HAT GESAGT, WIR KÖNNTEN BEI DIR SCHWEINE SEHEN!»

Oma Rosie ist eine Kuh. Die Schweine sind in Gilbach. Und gehören dem Göpfi. Die kann ich jetzt nicht einfach in die Stube zaubern. Deshalb: «Morgen spazieren wir hin!»

«Können wir zusehen, wenn sie die abstechen?», das war Ralf.

Und Lisa: «Wenn es so lange zu laufen ist wie heute, dann kannst du auf mich pfeifen. Es sei denn, du nimmst ein Taxi und…» Ich buche schon mal ein Wellness-Weekend im Schwarzwald. Und organisiere Vorrat für 20 Joints.

Dienstag, 21. Februar 2017