Schwieriges Alter

Er wurde schwierig. «Das Alter», seufzte Hilde. Und nahm Egon, der wieder mal wegen einer Bagatelle an die Decke gegangen war, in die Arme: «Ist alles okay, mein Schatz.» So beruhigte er sich schnell.

Egon war ein guter Ehemann. Nichts zu meckern. Er hatte Stil. Geist. Und Geld.

WAS WILLST DU NOCH MEHR!

Hilde kam aus ärmeren Verhältnissen. Ihr Vater war «Gasableser» gewesen. Hatte an Türen geklopft: «Kann ich mal den Stand sehen?»

Er hatte Hilde immer wieder erklärt, wie verantwortungsvoll dieser Beruf sei. Gasmänner hätten auch zu kontrollieren, ob eine Wohnung nach diesem süsslichen, giftigen Duft roch. Es war die Zeit, als ledige Mädchen, die schwanger wurden, die Köpfe in den Backofen steckten.

Natürlich sollte Hilde etwas Besseres werden. Kein Vater sagt: «Meine Tochter soll es einmal schlechter haben!»

Also schaffte sie (mit Ach und Krach) die Matur. Und wollte dann nur noch eines:

MÄNNER…MÄNNER…MÄNNER!

Die Zeit der Hasch-Party und freien Liebe war angebrochen – aber: «Schlepp mir nur nicht so einen wallenden Langhaardackel an», drohte der Gasmann.

Seine Zeit war vorbei: Elektroplatten und Zentralheizung waren der neue Schrei – die Gasherde wurden entsorgt.

Gasmänner auch.

Nach ziemlich wilden Jahren traf Hilde auf Egon. Sie war jetzt Anwaltssekretärin. Sah gut aus – Egon eher nicht: mager… Brillengläser wie Bierflaschenböden… und zwei Schneidezähne, die etwas gar schräg zueinander standen.

Aber er hatte Charme. Geist. Und einen ­Doktortitel.

DER REST ERGAB SICH GANZ VON SELBER.

Papa Gasmann atmete noch einmal glücklich durch: «Das ist der Rechte, Hildilein.» Dann gab er den Löffel ab. Und klopfte künftig in einer andern Welt an die Tür.

Es war eine gute Ehe. Kinderlos zwar. Aber voller Harmonie.

Egon war pflegeleicht. Sanft. Und wurde erst nach seinem 80. Geburtstag schwierig.

Seine Augen machten ihm jetzt zu schaffen. Die Finger hatten Gicht. Und das Gehör – ach lassen wir das!

Natürlich gab es Hilfen: die Kapsel im Ohr…drei Mal eine Linsen-Operation… ein Gicht-­Therapeut, der auf einen Gummiball schwor…

ABER DAS ALTER WAR EINE RIESENSCHEISSE! UND HILDE WUSSTE DAS.

Sie litt mit ihrem Mann.

Als er an Einladungen nur noch verloren am Tisch sass, weil er nichts mehr mitbekam, da explodierte er plötzlich: «WAS SOLL DAS EIGENTLICH? ICH WILL HEIM!»

Er fühlte sich alleine inmitten aller Menschen.

Ausgegrenzt.

Die Ausbrüche wurden jetzt immer häufiger. Hilde suchte eine Beratungsstelle auf. Eine junge Psychologin lächelte: «Das passiert uns allen einmal…» Es war seltsam – nie hatte sie Egon mehr geliebt als jetzt, wo er sie brauchte.

Zu Hause sass er öfters verloren vor dem Fernseher. Er bekam die Filme nicht mehr richtig mit: «Die reden alle so schlecht. Man versteht kein Wort, Hilde…» Er sah nur noch Leichen. Blut. Terror. Und News-Sprecher mit Trauermienen.

Plötzlich war er wieder an der Decke: «DAS IST KEIN LEBEN MEHR!»

Hilde nahm ihn in die Arme: «Ist alles okay, mein Schatz…»

Sie standen in ihrer Umarmung versunken da.

Beide weinten.

Ohne, dass es der andere merkte.

Montag, 13. Februar 2017