Vom Twittern und fliegenden Pfannkuchen

Illustration: Rebekka Heeb

«UNGGI – ZEIG DAS MAL MIT TWITTER!»

Ich wusste es: Der Tag beginnt mies.

«Unggi» steht für Onkel. Die Grossnichten haben das Wort erfunden. HASSE ICH! Aber da ich als Kind darunter gelitten habe, meine Omama nicht «Omama», sondern «Lydia!» rufen zu müssen, verklemme ich mir Vorschriften. Ich maule nicht. Habe aber noch vor dem vierten Espresso einen dicken Hals.

Ehrlich: «Unggi» tönt doch echt wie Unke. Aber eben: «Ist gut Kinder. Unggi zeigt euch jetzt, wie das Vögelchen zwitschert…»

Hand aufs Herz – haben Sie schon jemals ge­­twittert? Alle reden davon. Alle twittern über alles. UND JEDER POLITIKER HAT SEINEN VOGEL.

Obama twitterte als Ritter der guten Sache. Und auch Trump meldet sich als politisch zwitschernder Zwitter-Twitter: Keiner weiss, wo seine Sache hingehen soll. Seltsamer Vogel, das! Ein stolzer Adler? Oder einfach nur ein kleiner Dreckspatz. Jedenfalls werden viele andere Vögel Federn lassen müssen.

WAS HABEN DA KINDER ALSO MIT DIESER TWITTEREI AM HUT? Ich muss mich doch sehr wundern. Im Übrigen ist Unggi ein elektronischer Warmduscher. TOTAL WEG VON DER PISTE. BEI COMPUTERTECHNIK HERRSCHT: Fragezeichen. Fragezeichen. Fragezeichen.

Wenn mein Handy vibriert und die Melodie des Big Ben ertönt, rast mein Puls. Und ich gerate sofort in Panik: WELCHEN KNOPF MUSS ICH JETZT…? So kommt es, dass manch realer Verehrer durch diese tuntige Schussligkeit ins Irreale der technischen Cyberwelt weggedrückt wurde.

Wie schön war die Zeit, als man die Menschen noch auf der Gabel aufhängen durfte. Auf diesem sehr handlichen Höreraufhänger wurden Gespräche und Beziehungen beendet. Klatsch. Aufgehängt. FERTIG.

Heute? WhatsApp: «Tschüüüüsli – aus du Sau!» Und Taste: SENDEN.

Natürlich sagt Unggi nicht, dass er die grosse Flasche ist. Wenn man Kindern Schwäche zeigt, fallen sie über dich her wie die Löwen über das hinkende Zebra. Ich greife also zu meinem Computer. Und suche im App-Laden nach dem Vögelchen. Es ist blau. Und das Logo könnte auch für «Blaulicht bei Vögeln» oder für die Brüder-Vereinigung «Kampf dem Satan Alkohol!» stehen.

Die Seite öffnet sich. Und ich bekomme gleich mal einen Tiefschlag versetzt – etwa so: «Auf ihrer alten Computer-Schwarte ist Twittern ein Ding der Unmöglichkeit. Wir haben ein lustiges, junges Vögelchen als Logo. UND NICHT DEN GERUPFTEN GEIER.»

Natürlich sagen die das netter. Ich werde aufgefordert, irgendwelche Updates zu laden. Aber – «ups!» – WAS IST EIN UP? WAS BEDEUTET UPDATEN? Ich kenne nur das gewöhnliche «Date». Und das bringt schon Bauchweh genug.

«UNGGI – ZEIGST DU UNS JETZT ENDLICH, WIES GEHT?!» Ich versuche Zeit zu schinden: «Weshalb wollt ihr denn überhaupt twittern, Lisa? Macht doch der Mammi eine schöne Zeichnung von dem Schneemann vor dem Chalet.»

«WIR FINDEN SCHNEE MEGASCHEISSE!»

Ja also – was sagt man als Unggi dazu? «Aber ihr könntet euch doch den Film vom Schellenursli reinziehen. Jetzt habe ich den extra für euch gekauft und…»

«IM FILM HATS NUR SCHNEE. WIR WOLLEN ANS MEER!»

Aha.

Ich rufe Paddy an. Paddy ist ein begnadeter Twitterer. Er hat mir immer wieder vom Vogel vorgeschwärmt: «Du hast nur ganz wenige Buchstaben zur Verfügung. Es ist die neue Art des Schreibens.»

Nun gut. So kurze Sätze haben etwas für sich. Heute ist ja alles knapp. Und abgehackt. Es ist der Sprachrhythmus einer bombigen Zeit: Wir reden nur noch plakativ. Und mit zehn Ausrufezeichen!! (Hier sind mal zwei.)

Paddy ist ein Fehlgriff. Er ist Krankenschwester und hat Mundschutz. Eben stösst er einen frisch Operierten zu den Schläuchen. Und hat keine Zeit. Niemand hat mehr Zeit in dieser Welt. Deshalb immer diese kurzen Sätze. ACH JAMMERTAL!

Ich sehe, wie die Kinder jetzt untereinander tuscheln. Schliesslich baut sich Ralf vor mir auf. Er trägt einen Strickpullover aus indischen Maschen. Und arme Inder-Kinder-Hände haben «FUCK YOU ALL» drauf gestickt. «Sags doch gleich, dass dus nicht draufhast, Unggi».

WENN SIE MICH WENIGSTENS «Dunti» NENNEN WÜRDEN!»

Ich stemme die Fäuste in die Hüften: «Spinnt ihr eigentlich? Natürlich weiss ich, wie Twittern geht. Ist ja pipieinfach. ABER ICH FINDE, IHR SOLLTET JETZT EIN BRIEFLEIN NACH HAUSE SCHREIBEN. WIE ES EUCH HIER GEFÄLLT. UND DASS IHR GESTERN PFANNKUCHEN SELBER GEBACKEN HABT.» Oh Gott. Ich darf nicht an die Küche denken. Sie ist das absolute Chaos. Am Freitag kommen die Maler.

«WIR WOLLTEN ABER TWITTERN STATT BRIEFE SCHREIBEN. DA MUSS MAN NÄMLICH NUR WENIG WÖRTER WISSEN…» – Die Kleinen schauen mich streng an. Dann streckt mir Niels sein neustes iPhone entgegen: «HIER, DU PFEIFE – WIR HABEN VOR FÜNF MI- NU­TEN TWITTER GANZ ALLEINE INSTALLIERT!»

Ach, der frohe Kindermund. Und diese technische Hochbegabung der Pampersklasse.

Aber mir ist lieber, sie sagen «Pfeife» zu mir. Als «Unggi».

Dienstag, 7. Februar 2017