Karl der Grosse

Er stahl. Nun ja – STEHLEN ist da ein grosses Wort. Er hatte ganz einfach einen an der Waffel – zumindest was diese Sache betraf. Ansonsten war Karl ein problemloses Kind. Zähneputzen, Hände waschen, Müsli essen – alles keine Sache. ABER DANN SCHLUG ER PLÖTZLICH ZU. – UND KLAUTE. Es war die Klauenseuche eines Kindes.

Es begann schon im Kindergarten. Er schob die Blockflöte von Fräulein Zürcher unter seinen Strickpullover. Und präsentierte das Instrument strahlend daheim: «…sie hats nicht gemerkt!» GROSSES THEATER.

Die Oma warf Herztropfen ein. Die Mutter blätterte in der Bibel. Und der Vater klebte Karl eine: «Wer stiehlt, der lügt! ICH WILL KEINEN POLITIKER IN DER FAMILIE!»

Später verlegte sich Karl von Blockflöten auf Naschartikel. Er schob der Kassiererin eine Tube Senf hin. In seinem Schulsack aber kullerten ein Dutzend Kinder-Überraschungseier herum. Karl schaute die Frau an der Kasse mit seinen blauen Augen strahlend an: «Sie SIND genau die heisse Nummer, auf die mein Vater abfährt…» Das Fräulein kicherte: «Du bist mir aber noch einer!» Dabei hatte sie keinen Schimmer, was für einer er wirklich war.

Noch vor dem Laden wurden die Eier an die Klassenkameraden verteilt. Karl mochte es, wenn sie ihn «Karl den Grossen» nannten. So klaute er für sie auch Zigarettenpäckchen, Sonnenbrillen und Präservative – immer für ein Schulterklopfen. Und: «Du bist unser Grösster.»

Als man ihn das erste Mal erwischte, war dies vor seiner Konfirmation. Er hatte eine lachsfarbene Krawatte mit Silbertupfen mitlaufen lassen. Ganz einfach, weil er die zum dunklen Anzug heiss fand. Das Bekleidungsgeschäft machte einen Riesenaufstand. Wieder blätterte die Mutter in der Bibel. Die Grossmutter war eh schon tot. Und der Vater jaulte: «Weshalb lachsfarben? Spinnst du? Wenn du wenigstens eine blaue genommen hättest!»

Mit 20 verliebte sich Karl in Inge. LOVE STORY. UND HEISSE KISTE. Er schwebte auf rosa Wolken. Und hatte schwarze Augensäcke.

Karl erzählte der Geliebten von seiner Macke. Und er musste Inge in die Hand versprechen, nie mehr so etwas zu tun: «Du bist für mich immer ‹Karl der Grosse›», flüsterte sie. Und nahm ihn an ihren Busen.

Karl wollte Inge heiraten. Und er wusste, dass die Alten dagegen waren. ABER TOTAL DAGEGEN! «Zuerst die lachsfarbene Krawatte. Jetzt dieses schreckliche Weib – mir ist lieber, du klaust, Karl!», brüllte sein Vater.

Gottlob hatte der Junge von der Oma geerbt. Und sein eigenes Geld. Inge brachte ihn auf die Idee: «Wir heiraten in Las Vegas. DAS WIRD DER ABSOLUTE WAHN!» Er sah den Busen. Und hob all sein Geld ab. Die 35 000 Franken wechselte er in Dollars.

Sie starteten die Reise in Frankfurt. Und übernachteten vor dem langen Flug im «Hilton». Als Karl erwachte, war Inge weg. Die Dollars natürlich auch.

Auf dem Kissen lag ein Zettel: «Bye-bye, Karl der Grosse. Mich nannten sie immer ‹Inge die Schlaue›!»

Er verliess heulend das «Hilton» (natürlich nicht ohne den Hotelföhn mitlaufen zu lassen).

Montag, 6. Februar 2017