Von Après-Ski-Schuhen in Weiss und eisigen Füssen

Illustration: Rebekka Heeb

Ich friere an die Klötze. Meine Nase tropft. Meine Augen heulen. Und der Schnauzer ist ein klirrendes Wirrwarr aus Kristall. Überdies schlagen mir die eiskalten Schenkel auf die Blase: ALLE DREI MINUTEN PIPIHALT.

Da stellt sich dann doch die legitime Frage: WAS FINDET DER MENSCH AN SCHNEE UND WINTER LUSTIG?

Innocent wackelt auch knirschend vor sich hin. Er knirscht nur unter den Sohlen. Ansonsten ist er hip drauf: «SO EIN ADELBODNER WINTER IST EINFACH EINE PRACHT. HAST DU DEN SCHNEEHASEN GESEHEN?!»

Mein Gott!

Statt auf den Weg zu achten, äugt er herumhopsendem Kleinvieh nach. MAN WEISS, DASS STÜRZENDE 90-JÄHRIGE NIE MEHR AUS DER GRUBE HOCHKOMMEN! Im Übrigen ist es kein Schneehase. Sondern einer dieser Kläffer, die im Schnee herumtollen. Das Bein heben. Und gelb verpisste Grüsse hinterlassen.

Herr Brugger, der Schuhverkäufer des Ortes, hat die Nerven behalten, als ich den Laden betrat.

«E grüess-Ech … syd Ir net dr jung Hammu?»

Ich bin 70. Ich bin dick. Ich habe einen rosa Schal mit herumwuselnden Patchwork-Jesuskäfern drauf. Aber vor allem habe ich meinen eigenen Namen. HIER JEDOCH BIN UND STERBE ICH ALS «dr jung Hammu».

«Ja», nicke ich (etwas gereizt). Schäle die Jesuskäfer vom Hals. Und zeige auf meine Füsse: «Ich brauche Schuhe für diesen Schnee hier. Ich kann mir keinen Sturz leisten und…»

«Ihre-n-Ättu isch de aber besser zwääg gsi … y bring Ech emou d Schueh wu ou dr out Hammu gääre kchaa hett u…» DAS WÄRE JETZT NOCH!

Ich kenne die Winterschuhe meines Vaters. ES WAREN KLÖTZE. HART WIE EIN PFERDEARSCH!

«Das kommt leider nicht infrage. Meine Füsse sind fragil: zehn malträtierte Ballettzehen. Ich habe sie mir als schwarzer Schwan in den Ruin getanzt…»

«Aha», sagt Herr Brugger.

Ich kann in seinen Augen lesen, was er denkt: «O jerum. Das ist ein Tag! Noch so eine Plattfuss-Tusse und ich schliesse den Laden!»

Ich schäle meine eisigen Füsse aus den Schlurben. Sie tauen langsam auf wie zwei Tiefkühlschnitzel in der Mikrowelle. Und sie hinterlassen lustige Eispfützchen auf dem Kunststoffboden. Dann ziehe ich die angefrorenen Ein­lagen, die mir Herr Gygy, mein Plattfuss-Orthopädietechniker, mit viel Liebe gehobelt hat, aus den Schuhen. Ich zupfe dabei allerdings zu stark. Und die Einlagen sind keine Ein- sondern Zwei-Lagen. ALSO IN STÜCKE ZER­BROCHEN. WIE EIN HINGEWORFENER MEISSENTELLER.

«Hoppela», sagt Herr Brugger.

«Ich habe noch zwölf Paar», sage ich. Und erläutere nun doch etwas expliziter meine Wünsche: «Also – ich suche einen Schuh, der elegant aussieht. Das ist das Wichtigste. ER MUSS AUCH IM ABGASVERDRECKTEN SCHNEE ETWAS HERMACHEN. Männer wie ich sollten da ja Kontraste setze...»

«Eh, jaa», sagt Herr Brugger.

Er guckt verzweifelt ins hintere Magazin, ob ihm da nicht jemand zu Hilfe eilen könnte.

«…der Schuh muss eine grelle Farbe haben, damit er nachts auch leuchtet. Ich bin immer nachts unterwegs. Und natürlich sollte er schnittig geschnitten und aus feinstem Leder sein – haben Sie so etwas?!»

«Eh jaaa.»

Nach zwei Stunden liegen etwa 150 Paar Schuhe und Pantoffelarten vor mir. Also eine Auswahl hat dieser Herr Brugger – da gibts nix zu meckern! CHAPEAU! Innocent ist hinter dem Schuhberg schon längst eingeschlafen. Er sägt derart im Crescendo, dass die Vitrinen klirren. Und Frau Brugger jetzt mit grossen Augen im Laden erscheint: «Was bohrst du denn in die Wand, Erwin?» Herr Erwin hüstelt. «Kannst du mal kurz übernehmen, Lore?»

Ich vermute, er wirft sich jetzt von diesen rosigen Beruhigungspillen ein, die das Leben froh und einfach machen.

«U de…?», fragt Frau Brugger.

Sie schaut lachend zum Schuhberg. «Hat er Ihnen die anhängen wollen? Das passt nicht zu einem so eleganten Mann wie Ihnen. Ich weiss, was Sie suchen…»

Es ist ein Après-Ski-Stiefel im eleganten Weiss eines toten Schneewittchens. «Er ist dezent gefüttert. Mit Lammfell. Sie können die Sohle rausnehmen. Und die Einlage reinziehen. Und sie werden tanzen wie ein Schneeflöckchen…»

DIE GUTE FRAU HAT MICH ALS SCHWARZEN SCHWAN AUF SPITZEN GESEHEN!

Mittlerweilen ist auch Innocent erwacht. Er schnäuzt sich die Nase. Und knurrt: «Mit solchen Latschen laufe ich nicht neben dir…»

«Sie sind für mich. Nicht für dich…», lächle ich sonnig. Und Frau Brugger nickt verständnisvoll. Ich vermute, sie hat daheim ähnliche Sorgen.

Draussen schneits wieder Flocken – zart und gross wie Fasnachtsküchlein. Ich gehe auf den Schuhen tatsächlich wie auf Wolken – und Innocent zehn Schritte hinter mir. Im Café Schmid machen wir unsern obligaten Kaffee-mit-Kuchen-Halt. Und ordern ein Stück Apfelwähe mit dem Rahmberg in diesem leuchtenden Weiss meiner Après-Ski-Schuhe.

Die Serviertochter schaut auf meine Füsse: «Syt Iir net dr jung Hammu…?» Wie gesagt: 70 Jahre. 90 Kilo. Und ein eigenes Leben. Aber: «Jawohl, der bin ich…»

Sie schüttelt den Kopf. «Isch de guet, muess das dr Ättu nümme gseh…»

ICH HASSE DEN WINTER IM SCHNEE!

Dienstag, 31. Januar 2017