Logistik

Er stand hinter ihr. Sie war gebückt. Aber sie spürte jedes Ausrufezeichen seiner Blicke im Rücken. Schliesslich hangelte sich Hannelore vom Geschirrspüler hoch. Waldemar schüttelte missbilligend den Kopf: «Du hast sie wieder falsch eingeräumt, Hannelore!»

Sein Gesicht war streng. Sein Ton nörglerisch. Alles in allem: EIN RIESENARSCH!

Nun – Hannelore blieb ihm nichts schuldig. Seit ihr Alter pensioniert war, ging er ihr so dick auf den Wecker, dass sie bereits beim Staubsaugen einen Cognac brauchte.

Denn: «Hannelore – feg doch mit dieser Röhre nicht so wild herum. MACH ES MIT SYSTEM. DU FÄNGST DA VORNE LINKS AN. UND HÖRST DORT HINTEN RECHTS AUF. Ja ist das denn so schwierig?!»

ARMLEUCHTER. ARMLEUCHTER. ARMLEUCHTER. Dreimal FETT geschrieben.

Deshalb: «HÖRST DU MIR ENDLICH MIT DIESER BEVORMUNDUNG AUF! Ich habe den Geschirrspüler 35 Jahre alleine eingeräumt. Und es war immer recht. Da werde ich jetzt nicht in einen Spüleinräumekurs gehen, nur weil meinem Ehemann die Studenten fehlen, die er mit Logistik-Blablabla volllabbern kann!» Er überhörte das vornehm: «Die Gabeln gehören mit den Zacken nach oben und...»

Sie spürte, wie ihr Herz flatterte. Ab ins Schlaf­zimmer. Hinter der Bettwäsche war eine Flasche versteckt.

Waldemar war Professor für Logistik. Eigentlich kein richtiger «Professor» – sondern nur so ein «geschenkter» von der Hochschule.

Lange Jahre hatte er in der Sekundarschule «Wahrscheinlichkeitsrechnung» und «Steno­grafie» unterrichtet. Die beiden Fächer interessierten keine Sau.

Deshalb wurde er an eine dieser neuen Hochschulen berufen – ein Abstellgeleise mit akademischem Schnörkel, also.

«...und wenn wir schon dran sind, Hannelore – auch die Badezimmerablage sollte logistisch ­systematisch aufgeteilt sein – deine Sachen auf deiner Seite, meine auf meiner. Nicht dieses wilde Gemisch von Töpfchen, Tuben und Flacons. ­Gestern hätte ich mir fast mit deiner Enthaarungscreme die Zähne geputzt!»

Typisch – er hatte null Fantasie. Null Ahnung. Eine Null rundum.

«Ich habe auch den Apotheker-Koffer frisch eingeräumt, Hannelore!»

Er gab das Pulver in den Geschirrspüler («Du nimmst immer viel zu viel, Hannelore»). Und liess ihn starten. Nach drei Minuten gab die Maschine den Geist auf – leider gabs für solche Fälle im Lehrbuch von Waldemar keine logistischen Lösungen.

Bojan war der Techniker des Notfalldienstes. Serbe. Mit strahlenden Augen: «Falsch eingeräumt – Gabelzack hat sich in der Spühldüse verfangen, schönes Frau...»

Ach Gott – so ein Kompliment hatte sie zum letzten Mal von Kirk Douglas im Film gehört. Und der war doch jetzt auch schon 100. Künftig hatte der serbische Not-Mann einiges bei Hannelore im Haushalt zu werkeln.

Gottlob trieb ihr Mann Sport. Sein Stundenplan war logistisch klar überschaubar. Waldemar ahnte nichts.

Nur einmal schob er Hannelore im Bad ein Flacon auf ihr Regalteil zu: «Dein Rasierwasser hat auf meiner Seite nichts zu suchen. Gestern habe ich auch dein Viagra neben dem Blutstiller gefunden ... wo bleibt da die Logik, Hannelore?»

Wie gesagt: logistisch ein Professor – aber null Ahnung!

Montag, 30. Januar 2017