Sonnige Mimosen

Sie sah die Mimosen. Sie standen auf einem kleinen Rolltisch vor dem Spitalzimmer. Und Ingrid ärgerte sich. Hatte sie nicht gesagt, man solle die Blumen nicht aus dem Zimmer entfernen!

Für Franco waren diese Blumen wichtig – ein Gruss aus seiner Jugend.

«Blumes haltet eh nicht lange… krankes Mann bekommen Kopfweh von dieses stark Geschmack» – so hatte die Krankenschwester ­argumentiert.

Sie war die Gattung: resolute Giftschleuder aus irgendeinem Balkanstaat. «IHM MACHEN SIE FREUDE. NICHT KOPFSCHMERZEN! DIE BLUMEN KOMMEN ZURÜCK!» – hatte Ingrid die ­weisse Schürzenfrau angefaucht.

Sie hatte das Glas mit den eidottergelben, ­kückenflaumigen Blüten genommen. Und es ihrem Mann ans Bett zurückgestellt.

Francos Nase bebte dann: «Mimosen… ach, ­Ingrid … das Leben verblüht so schnell wie diese Blumen hier…»

Ingrid hatte ihm die Hand gedrückt: «Red keinen Unsinn, Franco. In zehn Tagen bist du wieder daheim. Dann unternehmen wir unsere Reise zu den Mimosenbäumen von Bordighera…»

«… wir wissen es beide besser, Ingrid …», hatte Franco geflüstert. Sie war aus dem Zimmer gegangen. Und hatte vor der Türe geheult.

Die kratzbürstige Krankenschwester brachte ihr einen stark gesüssten Espresso: «Das hier ­trinken … Sie haben grosses Schmerz. Aber für Mann wird gut gesorgt…»

Die Frau in der weissen Schürze hatte dann Ingrids Arm gestreichelt: «Ist immer mehr schlimm für Angehöriges als für krankes Mensch selber…»

Es waren Mimosen gewesen, die Ingrid auf Franco aufmerksam gemacht hatten. Die Blumen standen zum Valentinstag vor einem Blumengeschäft in einem Plastikkübel. Der junge Mann mit den schwarzen Haaren steckte seine Nase in die sonnengoldenen Blüten. Und weinte.

Für Ingrid war es ein Schock.

MÄNNER WEINTEN NICHT.

Schon gar nicht schöne, südländische Macho-­Typen. Deshalb: «Kann ich Ihnen helfen?»

Der Mann schaute sie an: «Mimosen sind meine Heimat… ich komme von Bordighera … dort ­blühen sie jetzt. Und verströmen den Duft des Frühlings und der Sonne…»

Dann schluchzte er erneut: «ICH HABE HEIMWEH...»

Sie wurden ein Paar. Immer Anfang Februar, wenn die allerersten Mimosen aus dem Süden in die Blumengeschäfte des Nordens kamen, kaufte Ingrid die Duftblüten. Und stellte sie zu Hause auf den Tisch: «Ein Gruss aus deiner Heimat, Franco!» Francos Vater war in den Norden ausgewandert. Der Bub hatte eben den zehnten Geburtstag ­gefeiert.

Der Junge war dann nicht unglücklich in diesem Gastland, das ihm später auch den Heimatpass ausstellte. Aber die Sehnsucht nach Sonne und Mimosen blieb. Ein Leben lang.

Als er 75 Jahre alt war, stellte der Arzt die ­Krankheit fest. Unheilbar.

Er kam ins Spital. Und es war Mimosenzeit – ­Ingrid brachte ihm jeden Tag einen frischen Zweig.

NUN HATTE DIESE BLUMEN WIEDER JEMAND VOR DIE TÜRE GESTELLT!

Ingrid packte die Vase mit den goldenen Blüten. Und betrat das Krankenzimmer: «Hallo, Franco…»

Das Bett war abgezogen – das Zimmer leer.

Die Balkan-Schwester kam auf sie zugeeilt: «Suchen Frau mit Telefon. Schon seit eines Stund…»

Dann nahm sie Ingrid erneut in die Arme.

Die Blumen waren jetzt nur noch harte, dunkle Knöpfe.

Mimosen verblühen schnell.

Montag, 23. Januar 2017