WINTER WAR ADELBODEN-ZEIT. Ich hasste den Schnee. Ich hasste die klobigen Skischuhe. MEINE FÜSSE HATTEN BESSERES VERDIENT: Ballerinaschläppchen – NUN JA: ZUMINDEST TIGER-FINKLI! Ich hasste meinen Vater, der mich 50-mal aufs Kuonisbergli rauf und runter peitschte: «Nur noch das eine Mal… DANN HAST DU DIR EIN STÜCK SCHWARZWÄLDERTORTE IM CAFE SCHMID VERDIENT!» Es blieb nie beim «einen Mal».
UND ICH HASSTE DIESE SKIHOSEN – SCHWARZ UND KRATZEND. ALLES IN DER FORM EINER TAUCHERGLOCKE. Wie hätte ich so verunstaltet je etwas Heisses aufmischen können!
Ich war ein frühreifer Bub. Und mir stand nach allem – ABER NICHT NACH WINTER IN ADELBODEN! Morgens früh prügelte mich mein Vater mit seiner ewigen «Ach, ist das Leben schön»-Stimmung aus den Federn. Die Fensterscheiben waren mit Eisblumen überzogen. Mein Hemd hing gefroren wie ein Eislutscher über der Stuhllehne. Und: «Das wird ein Prachtstag!», jauchzte Vater.
Er biss mich in die Nase (das war eine Marotte von ihm. – Das Resultat: Mit 20 schon hatte ich einen Knollen, der bei jedem Kartoffelbauerwettbewerb auf dem Podest gestanden wäre). Und dann pflückte er mir kopfschüttelnd meinen Schlafteddy aus den Armen: «Bub! Bub! Ein Teddybär mit zwölf Jahren! Weshalb gehst du nicht wie jeder anständige Junge mit einem Gewehr ins Bett?»
Vater riss mir energiegeladen die Decke weg: «Anton wartet schon draussen!» ZUMINDEST DAS! DENN MEINEN SKILEHRER VEREHRTE ICH WIE DIE OMI IHRE HEILIGE AGATHA MIT DEN ABGEHACKTEN BRÜSTEN (natürlich hinkt der Vergleich. Anton hatte weder Abgehacktes noch war er von heiligem Naturell).
Mein Skilehrer war der Sohn der Eiermarie. Um seinen Vater flüsterten die Bauern am Stammtisch nach dem fünften Bäzi-Wasser tausend Geschichten… Die einen raunten, Anton sei das Sturzresultat eines italienischen Slalomfahrers an den zweiten Adelbodner Skitagen gewesen. Andere flüsterten: «Aber ganz sicher nicht… Das Marieli hatte doch ein Gschleipf mit diesem Ständerat und ist immer zu den Sessionen in die Bundesstadt gefahren. Nachtsitzung. Hahaha!»
Mir war der Vater, dens nicht gab, egal. Ich war total auf Anton (oder «Eiermarielis Toneli», wie sie sagten) eingeschossen. Und verschossen, so wie nur ein unglücklicher Bub, der mit einem Teddybären ins Bett geht, verschossen sein kann.
Leider war die Liebe sehr einseitig. Er war einer dieser langweiligen Bergheteros, die sich zur Apérostunde an die Stadtweiber ranmachten. Überdies war ich nicht gerade ein begnadeter Schüler auf den Brettern. Um ehrlich zu sein: Ich knallte bei jedem Stemmbogen hin und kicherte aufreizend, wenn mich Anton aus den Schneehügeln schälte. «Du machst es extra», tobte er, «ich sags dem Hans, was du für einer bist!» Hans war mein Vater. Also kicherte ich wieder kokett: «Der kennt mich ja… und beisst mich stets in die Nase.»
Anton lief im selben Rot an wie seine Wollsocken: «DU DONNERSCHRÜÜFENI … JETZT DUE NIT WIE NES AFFIGS WYBERVOULCH…» Im Chalet hockte er sich dann zu Vater an die Dézaley-Flasche: «Deinem Jungen gehörte mal richtig der Arsch versohlt – der hat alles andere im Grind als Skifahren…» Er klopfte seinem Freund auf die Schulter: «Hans, ich habe da ein schlechtes Gewissen, wenn ich dir das Geld für seine Privatstunden aus der Tasche zupfe. Diese Wattenpfeife lernt nichts. ER IST SO TALENTIERT WIE EINE SAU AUF DEM EIS. Also vergiss es. Und schicke ihn in einen Strickkurs…» SAG ICH DOCH!
Die Hoffnung stirbt zuletzt – zumindest tat sie das bei meinem Vater. Er sah seinen Sohn noch immer im schweizerischen Skikader. Und engagierte Frieda. Frau Dänzer hatte eben eine Weltmeister-Medaille gewonnen. Und war auch sonst eine mega Nummer: burschikos … mit Zähnen wie ein Nussknacker … und einem Lachen wie eine Herde Hyänen.
Mein Vater war am Empfang im Hotel Adler gewesen, als die Adelbodner nach der Medaille ihre Einwohnerin frenetisch feierten: «Du könntest meinem Buben das Skifahren beibringen – er ist unglaublich talentiert», machte er sich an sie ran. WIEDER DAS HYÄNENLACHEN, ALS SIE MICH SAH. Dann zeigte sie die langen Zähne. Und gab mir einen Box, sodass ich durch den ganzen Saal flog: «E schööne Büeberl – aber das Dunners-Bürschtleni isch doch ehnder es Pirouette-Dänzerli…» So viel Witz von Frau Dänzer.
Nach dem schönen Anton war diese Frau rein optisch ein böser Schlag. Aber sie machte das Pferdegesicht mit ihrer fröhlichen Art wett. Und bald waren wir dicke Freunde. Ja, bereits nach der sechsten Stunde brüllte mein Vater begeistert zu seiner Gattin: «HAST DUS GESEHEN – DER JUNGE WEDELT JETZT…» Meine Mutter schaute ihren Alten schräg an: «Aha. Das tut er beim Kirchgang doch auch…»
Das Schönste war die Stunde danach. Anders ausgedeutet: Frieda – ich durfte sie so nennen. Als ich sie nämlich «Tante Dänzer» rief, bot sie mir erschreckt das Du an: «Sag einfach Frieda zu mir.» – Frieda also lud mich nach der Skistunde stets in den «Adler» zu einem Skiwasser ein. Sie nannten es «Omnibus». Bei Frieda war viel Omni drin. Der Omni war Kirsch. Und der Bus ein Sirup. Ich bekam nur den Bus.
Natürlich jagte sofort alles auf die Weltmeisterin los. Sie wollten Autogramme auf ihre Skipullover haben. Andere wollten ihr ganz einfach nur die Hände drücken. Mehr wollte keiner. Sie war nicht der Typ, den man in die Nase biss.
ABER VON ALL DIESEM RUHM FIEL EBEN DOCH EIN HÄUCHLEIN VON GLANZ AUF MEINE KRATZENDEN PUMP-SKIHOSEN UND DEN NETTEN KLEINEN MIT DER PUDELMÜTZE AB: «Ehh Frieda… wär isch de das Chrüfeni?» Sie zwinkerte dann: «Hammu Hausis Schlyyfschueh-Prinzässleni…» Die Leute lachten. Und ich fühlte mich wie später Lady Di im Banne der Medien.
Viele Jahre später, als ich die Bretter verbrannte und auch nie eine Goldmedaille für die Schweiz geholt hatte, spazierten Innocent und ich von Adelboden nach Gilbach. Vor dem Ort rief ein etwas abgefucktes Schild den Spaziergänger zur Einkehr auf: «Willkommen bei Frieda, der Weltmeisterin».
Als wir in das dunkle Stübchen eintraten, zögerte die alte Frau mit den Nussknackerzähnen einen Moment. Langsam hangelte sie sich vom Stammtisch hoch. Und knallte mir wieder einen Box in den Bauch: «E myner Droi, we das net s Schlyyfschueh-Prinzässleni isch…»
«Was hat sie gesagt?», trompetete Innocent. Und drehte an Herrn Kindl in seinem Ohr. «Sie sagt, du sähest nach einem Omnibus mit viel Omni aus...», brüllte ich zurück.
Da nahm mich Frieda lachend in die Arme. Im Winter später starb ihr Lachen mit 85 Jahren.