Vom «Glückes Schmied» und dem Dreikönigskuchen

Illustration: Rebekka Heeb

Innocent mag den Dreikönigstag nicht. Und schon gar nicht das Kuchenspiel. Er zieht immer die Arschkarte. Es liegt in den Genen, dass die kleinen Dicken stets wissen, wo das Glück steckt. Das heisst: Natürlich muss jeder seinem Glück schon selber etwas nachhelfen. Oder wie meine liebe Mutter rezitierte: «Faber est suae quisque fortunae.»

Sie hatte sich dieses Latein-Sprichwort vom Menschen, der sein Glück selber schmiedet, beim Rezept neben den Dampfnudeln aufgeschrieben. Und servierte es jeden Dreikönigstag. Dann zupfte sie fröhlich das Gipsfigürchen (damals noch!) aus dem Teig. Und tyrannisierte uns einen Tag lang als Königin. Erst später kamen wir der genialen Mutti auf die Schliche: SIE WAR MIT IHREM GYNÄKOLOGEN AUF DU. UND DER SCHOB IHR DEN KUCHEN IMMER UNTERS RÖNTGENGERÄT. So wars ja wohl einfach, das Wonnefigürchen auszumachen. Und am sechsten Januar den Diktator rauszuhängen!

Ich habe keinen Gynäkologen zur Hand, obwohl ich schon manchmal einen hätte brauchen können. Eben jetzt. Denn auch ich will meines Glückes Schmied sein. Und das Zepter führen.

Nun – es gibt andere Wege, zum Ziel und zur Macht zu gelangen: Letztes Jahr knetete ich so lange am Kuchen herum, dass er aussah, als hätte ihn eine Kuh ausgespuckt. ABER IMMERHIN WUSSTE ICH JETZT, WO DAS GLÜCK LAG. ICH HATTE ES IM GEFÜHL – KONNTE MAN SCHON SO SAGEN.

Ich markierte also die Kugel mit einer Rosine. Pappte das Ganze wieder schön in Form zurück. Na ja – so gut es eben ging. Und am Königstag sperrte ich die Augen weit auf. Mimte eine Ohnmacht. Und hauche: «Ich glaubs ja nicht – schon wieder der König. Dies zum 45. Mal in Folge.»

«ICH GLAUBE ES AUCH NICHT», bellte Innocent genervt.

Seit er schlecht hört, wird er immer gereizter. Und wenn er dann explodiert, ist das, als wäre die Milch am Überlaufen. «JA DENKST DU DENN, ICH SEI BLÖD? DIESER KUCHEN IST DOCH SCHON DREIMAL GEGESSEN, SO WIE DER SICH PRÄSENTIERT. DAS IST EIN GETÜRKTES SPIEL!» Immer geht die Welt auf die Türken los!

«Ich weiss nicht, was du hast», erkläre ich in meiner jetzigen Stellung als Königin von oben herab: «DU BIST EIN GANZ MIESER VERLIERER! NIMM DIR EIN ­BEISPIEL AN FRAU MÜCK. SIE HAT NUR EIN GANZ KLEIN BISSCHEN GEWEINT.»

Und was passiert? Herr Innocent holt seinen eigenen Kuchen aus der Küche: «So, jetzt wollen wir doch mal sehen, wer da König wird.» Natürlich werde wieder ich. DENN DIE KLEINEN DICKEN HAT GOTT LIEB! Und die andern sind einfach zu blöd, um ihr Schicksal selber in die Hand zu nehmen.

ES WÜRDE INNOCENT NIE IM LEBEN EINFALLEN, DAS GLÜCK ZU MANIPULIEREN. ODER EINEN DREIKÖNIGSKUCHEN ZU PRÄPARIEREN. DA IST ER DIE ANSTÄNDIGKEIT IN PERSON.

Das Resultat ist dann eben, dass er am Drei­königstag nach meiner Pfeife tanzen muss. UND DAS ÄRGERT DEN ALTEN TATTERHEINI GRÜN – SO GRÜN, DASS ER IN SEINER WUT SCHON MAL DEM OBERHAUPT DIE KRONE VOM GRIND REISST. UND DRAUF HERUMTRAMPELT: «Es ist nicht recht! Es ist nicht recht! Es ist alles Beschiss!» Kurz: Er benimmt sich wie diejenigen Mitbürger, die sich über alles und jedes aufregen. Aber nie zum Stimmen gehen. ODER EBEN: NIE DAS SCHICKSAL SELBER IN DIE HAND NEHMEN WÜRDEN.

Nun steht ja wieder ein Dreikönigstag an. Und ich überlege mir schon seit dem zweiten Advent, wie ich die Sache richtig hinbiegen könnte. Denn es stimmt schon: Nichts ist schlimmer, als Macht abzugeben. Und immerhin bin ich jetzt seit 45 Jahren Königin in Folge. Fast schon ein bisschen gefühltes Buckingham.

Ich gehe also zu meinem Bäckermeister Hefehoch. Bitte Herrn Hefehoch, bei meinem Kuchen die Stelle mit der Figur zu markieren. Und hätte auch eine Kuh um ein Kilo Honig bitten können: «Aber, aber, wo denken Sie auch hin! Wir sind der Anständigkeit verpflichtet, guter Mann.» Ja, Herr Hefehoch kriegt sich gar nicht mehr ein vor lauter Empörung: «Wo kämen wir Bäckermeister denn hin, wenn wir zu jeder Bestellung noch eine Positionslage des Königsfigürchen abgeben müssten und…»

Es ist meine Grossnichte Patty, die mich rettet.

Sie ruft noch vor Neujahr an: «Macht ihr wieder das Königskuchen essen mit uns?» Innocent und ich machen das sehr gerne. Ich – weil ich das Haus gerne mit jungen Menschen auffrische. Innocent – weil er (SEINE WORTE) kaum je eine preiswertere Fete feiert als dieses teigige Dreikönigskuchenessen, das er dann mit ein paar Flaschen algerischem Joli aufmotzt.

Deshalb: «Ja klar – wir freuen uns, wenn ihr alle kommt. Und…» Nun druckst Patty etwas herum: «Ich nehme Cesare mit…» MEIN GOTT – DIE WECHSELT IHRE FLAMMEN WIE DAS SCHICKSAL DIE LOTTOZAHLEN. «…und er hat eine Glutenallergie. Ich backe also den Kuchen für alle. Ist es o.k., wenn ich kein Figürchen reinbacke? Wir sind ja keine Kinder mehr und…»

DIE GUTE PATTY. DER GUTE GLUTENALLERGIKER CESARE. ICH KÖNNTE BEIDE JAUCHZEND UMARMEN. Gottlob habe ich alle alten Königsfigürchen aufgehoben. Und so werde ich eines davon in die Backe stecken. Und dann – O GOTT … NEIN NICHT SCHON WIEDER … ICH GLAUBS JA NICHT … ZUM 46. MAL!

Langsam werde ich die Macht aus dem Mund klauben. Stolz herumzeigen. Und in Ermangelung einer Kartonkrone das alte Diadem meiner Linda selig aufsetzen. DIE MILCH WIRD WIEDER AM ÜBERLAUFEN SEIN!

Doch wie gesagt: Faber est suae quisque fortunae. (Also da musste ich zuerst wieder in Muttis Rezeptbuch bei den Dampfnudeln nachschlagen.)

Dienstag, 3. Januar 2017