Taittinger Rosé

NEUJAHR!

HALLELUJA!

Willibert rieb sich die Hände: «Noch 54 Tage bis zur Pensionierung!»

Annekäthi trug eine Champagnerflasche in die Stube. Taittinger Rosé. Jahrgang 1989.

«Sollen wir die zur Feier des Tages...»

Willibert schaute entsetzt auf: «ABER NICHT DOCH – ANNEKÄTHI! Die sparen wir uns auf einen grossen Moment auf!»

So gabs zum Jahreswechsel nur eine Dose Bier. Willibert war der Sparstrumpf-Typ. Immer ­gewesen.

«Zuerst die Arbeit, dann die Freud» – nach diesen Maschen war seine Jugend eng gestrickt worden.

«Das heben wir uns auf später auf...» wurde das Leitmotiv. Und: «Die Vorfreude ist die schönste Freude...»

Wenn ihm sein Patenonkel einen Fünfliber zusteckte: «So mein kleiner Willibert – NUN LASS MAL ZÜNFTIG DIE SAU RAUS!», knickste der Bub artig. Und holte die kleine Sparsau mit dem Metallfransenschlitz: «Das hebe ich mir auf später auf, Onkel...»

Den Onkel nervte so ein vernünftiges Patenkind: «...der Junge lebt doch, als hätte er einen Schalldämpfer auf sein Gemüt gepflanzt!»

Als Willibert Annekäthi kennenlernte, öffnete er zwar sein Herz. NICHT ABER SEIN PORTEMONNAIE.

Er nahm sie auf Spaziergänge mit. Doch statt eines anschliessenden Besuchs im Café zupfte er eine Wolldecke aus dem grossen Rucksack. Dazu zwei Blechbecher und eine Thermosflasche mit nur wenig gezuckertem Tee.

«Ich hätte noch ein gekochtes Ei», sagte er vieldeutig. Und kramte im Sack.

MAN KANN VERSTEHEN, DASS ANNEKÄTHI EIN LEBEN LANG EINE HEFTIGE AVERSION GEGEN RUCKSÄCKE HEGTE.

Auf den Trautag hin wurden die Gäste angehalten, für die Hochzeitsreise einen Obolus zu ­entrichten.

Es kamen ein paar Tausender zusammen. Doch statt der kleinen karibischen Insel, die im Wunschbuch angekreuzt war, wurde es ein ­fünftägiger Aufenthalt in einem düstern Schwarzwälder Kneipphaus.

«Die grosse Hochzeitsreise sparen wir uns auf später auf...», rieb sich Willibert freudig die Hände. Und legte mit dem Überschuss nach dem Abzug der beiden Zugtickets und 129 DM Kurgeld das Geld in Aktien an.

«Da wird die Musik in 20 Jahren spielen...», tröstete er Annekäthi, die sich auf Kaffee und Kuchen nach dem Kneippwasser gefreut hatte.

«Wir müssen an die Kinder denken...», hiess es später. Aber es wuchs nichts heran – nur das Bankkonto.

Dann wurden die Kindersorgen gegen den Alterswahn eingetauscht: «Ein neuer Fernseher? ANNEKÄTHI! Nach der Pensionierung brauchen wir Geld – jetzt, wo alles teurer und die Menschheit älter wird...»

SO HABEN DIE BEIDEN VIELE JAHRE LANG KURT ÄSCHBACHER NUR SCHWARZ-WEISS GEKANNT.

Und nun: noch 54 Tage! DANN SOLLS ­ENDLICH KRACHEN!

PS: Wir dürfen dem Schicksal vorgreifen: Es krachte tatsächlich. Drei Tage vor der Pensionierung baute Willibalds Herz die Totalkrise.

VOLLEXPLOSION!

AUS DIE MAUS!

Nach der Trauerfeier fand Annekäthi, der grosse Moment sei nun gekommen. Sie köpfte den ­Taittinger Rosé 1989.

ABER ENTTÄUSCHUNG: KEINE PERLENDE FREUDENEXPLOSION. KEIN KNALL.

N I C H T S.

Der Champagner röchelte nur noch sanft, wie Willibert als sie ihn vor sieben Tagen beim Gasherd gefunden hatte.

(Sie wollten auf einen Waldspaziergang gehen.

Und er hatte zwei Eier gekocht).

Montag, 2. Januar 2017