«KAAARL» – Hildi stand im Hausgang. Ihre Arme waren mehlüberpudert. An ihren Fingern klebten Teigreisten. «Kaaarl – würdest du mal kommen. ABER SOFORT!»
Karl stand bei der neuen Mieterin.
Er stand vielleicht etwas zu lange – jedenfalls spie Hildi Gift und Galle: «ICH RACKERE MICH HIER MIT GRÄTTIMÄNNERN AB. UND DU SCHLEIMST DICH AN DIESE SCHNALLE RAN!»
Karl ging sofort in Deckung. «Ich bin der Hauswart. Ich musste ihr die Waschhausordnung erklären.» «Karl – du bist ein alter Sabbersack. Kaum siehst du einen Rock, saftest du schon drauf los…» Hildi holte Luft:
«WEISST DU EIGENTLICH, WIE LÄCHERLICH DAS IST … EIN MÖCHTEGERN-CASANOVA MIT 82, DEM DRITTEN HÜFTGELENK UND SCHLAFAPNOE?!»
Karl putzte sich die Brillengläser. Stellte den Hörapparat auf «out». Und wischte sich versonnen mit dem Brillentuch die Nasentropfen weg: «Sie heisst Nikola. Wusstest du, dass in Tschechien auch Frauen Nikola heissen können…»
Hildi toste: «ICH WEISS NUR, DASS SIE ZU LANGE FINGERNÄGEL HAT. WIE SOLL SO ETWAS ANSTÄNDIG ARBEITEN? … Du musst noch Hagelzucker besorgen. Ja, soll ich immer alles alleine machen?!»
Karl seufzte: «Ist recht, Hildi.»
Wie immer traf sich die ganze Familie am 6. Dezember zu Hildis Grättimännern.
Karl hasste diese Familientreffen. Stets gabs Spannungen. Wie etwa an der Weihnachtsfeier bei Sohn Heinrich und diesem grässlichen China-Fondue.
«Sind das Saucen? Oder ist das ein Gemüsesaft?», hatte Hildi beim letzten Mal die Schwiegertochter auf die Palme gebracht.
Die beiden lagen einander konstant in den Haaren. Seit Dorothee wieder an die Universität ging, um den Bachelor in Heimpsychologie nachzuholen, war eh Zoff angesagt: «Wäre es nicht sinnvoller, sie würde zuerst lernen, wie man eine anständige Suppe kocht?!»
Auch jetzt, am Klausentag, war die Stimmung geladen. Dabei lockte Hildis Grättimann verführerisch vom weissen Festtagstischtuch (bei Dorothee: Plastiksets und Küchenpapier für den Mundabwisch – mein Gott!).
Die Enkel quengelten: «Hats auch Fleischburger, Omi?»
UND DOROTHEE GAB GLEICH MAL DEN PFEFFER ZUM HONIG: «Weisst du eigentlich, wie giftig Hagelzucker für den Organismus ist, Hildegard… da muss sich keiner wundern, dass die Gelenke deines Gatten schlapp machen…»
DIES WAR DER MOMENT, ALS HILDI IHR KAKAOTÄSSCHEN AUF DEN BODEN SCHMETTERTE. UND HEULEND DEN TISCH VERLIESS.
«Das habt ihr jetzt davon», seufzte Karl. Und stellte die Lauscher wieder auf «out».
Dann: genervter Aufbruch der Jungmannschaft samt Eltern – und Hildi mit roten Augen zurück am Küchentisch. «Diese Dreckschleuder! Und was machen wir jetzt mit dem schönen Grättimann?»
«Fräulein Nikola…», wagte Karl den Vorschlag.
Zehn Minuten später sass die Mieterin aus Tschechien am Tisch. Sie nahm sich mit einem genüsslichen Seufzer das dritte Stück vom süssen Männerbauch. Und strahlte Hildi an: «Ist wie zu Hause… wir in Brno auch immer viel, viel Zucker auf Kuchen… schmäckt säääär gut, Frau Humbel! Zucker gesund für schönes Haut. Und Fingernääägel…»
So wurde es doch noch ein netter Abend.
Später im Ehebett seufzte Hildi zu Karl: «So eine nette Person: Sekretärin mit 14 Monatslöhnen! D A S wäre für unsern Heinrich das Richtige gewesen…»
Aber Karl hatte die Hörapparate bereits auf dem Nachttisch abgelegt.
Er sagte: «Ist recht, Hildi.»